Kretschmanns Krisen Koalition
Die CDU will von der mit den Grünen ausgemachten Reform des Wahlrechts plötzlich nichts mehr wissen
Eigentlich hätte man am Tag nach dem Desaster gerne die Meinung von CDU-Chef Thomas Strobl zum Streit um die Änderung des Landtagswahlrechts in BadenWürttemberg gehört. Aber der Innenminister lässt alle Anfragen abwimmeln, nachdem ihm die eigene Landtagsfraktion am Dienstagabend mit ihrem einstimmigen Nein zu einer Wahlrechtsreform ein politisches Fiasko bereitet hatte. Es ist einsam geworden um den CDU-Politiker. In der Sitzung der Fraktion am Dienstag hatte er sich entschuldigen lassen. Dabei war klar, dass die Fraktion das Thema diskutieren wird. Fraktionschef Wolfgang Reinhart argumentierte gegen eine Änderung des Wahlrechts. Dann diskutierten die Abgeordneten über drei Stunden. Am Ende hebt sich keine Hand für die Reform.
Die Wähler in Baden-Württemberg haben nur eine Stimme, mit der sie den Direktkandidaten und ihre bevorzugte Partei wählen. Bei den Zweitmandaten kommen die Bewerber mit den höchsten Prozentergebnissen zum Zuge. Vor allem Frauen beklagen, dass es in diesem System zu wenige weibliche Abgeordnete ins Parlament schaffen. Sie fordern die Vergabe der Zweitmandate über eine Kandidatenliste. So könnten die Parteien dafür sorgen, dass mehr Frauen auf sichere Plätze kommen. Alternativ könnte man das Verfahren der Bundestagswahl übernehmen, wo jeder Wähler zwei Stimmen hat. Mit der ersten wird ein Kandidat direkt gewählt, mit der zweiten die Partei. Wer den Wahlkreis nicht gewinnt, kann über die Kandidatenlisten der Parteien noch zum Zug kommen.
In der ersten Empörung über das Nein der CDU hatte Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz noch
eine Koalitionskrise ausgerufen. Gestern klang er schon deutlich moderater. „Die Koalition wird das auf jeden Fall überleben“, sagt er. Über Konsequenzen habe er sich noch keine Gedanken gemacht. Doch für diese Woche hätten die Grünen alle gemeinsamen Sitzungen mit der CDU abgesagt. Außerdem fielen ihm schon ein paar Punkte ein, die der CDU besonders wichtig seien und den Grünen weniger. Klingt nach Revanchefoul.
Nach einem Treffen mit den CDU-Granden Strobl und Reinhart verhängte Grünen-Regierungschef Winfried Kretschmann für beide Seiten einen Maulkorb. Kretschmann hat am Dienstag zwar darauf gepocht, dass der Koalitionsvertrag einzuhalten sei. Aber für die Sache geworben hat er ebenso wenig wie Strobl. Von Kretschmann wird ein aufschlussreicher Satz kolportiert. Er sage nix zu dem Projekt. Denn wenn er seine Meinung kundtue, riskiere er ein Amtsenthebungsverfahren, angestrengt von den eigenen Leuten. Kretschmann gilt als Gegner, da er in einem Wahlverfahren über die Kandidatenliste selbst den Sprung nicht ins Parlament geschafft hätte.