Schwabmünchner Allgemeine

Der halbe Deutsche

Der Brasiliane­r Caiuby ist in dieser Saison ein Mitgarant für den Aufschwung des Bundesligi­sten. Dabei spielt er schon seit Wochen mit einem kaputten Zeh, der gestern für Aufregung sorgte

- VON ROBERT GÖTZ

Seinen rechten Fußballsch­uh hatte Caiuby für das Training schon länger präpariert. Dort, wo der große Zeh sitzt, ist das Leder aufgeschni­tten. Vor ein paar Wochen hatte der Brasiliane­r im Dienste des FC Augsburg einen Schlag auf den großen Zeh bekommen. Der war angeschwol­len und empfindlic­h. Da Caiuby normalerwe­ise mit dem linken Fuß schießt und den Ball passt, spielt das Loch im Schuh im Training normalerwe­ise keine Rolle. Man übersieht es auch leicht.

Doch gestern war es auf einmal wichtig. Denn kurz vor dem Ende des Trainingss­piels hatte der Linksaußen des FCA kurz aufgeschri­en und dann die Übungseinh­eit abgebroche­n. Kollege Gojko Kacar war ihm wieder auf den lädierten Zeh getreten. Nach ein paar Minuten Behandlung humpelte Caiuby mit einem dicken bunten Verband vom Platz und hatte eben seinen aufgeschni­ttenen Schuh in der Hand. „Ich habe nicht weitertrai­niert, weil es so schmerzhaf­t war. Aber es wird schon gehen.“

Auch FCA-Trainer Manuel Baum glaubt nicht, dass der Einsatz des 29-Jährigen am Samstag im Auswärtssp­iel beim 1. FC Köln gefährdet ist. „Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass Caiuby ausfällt.“Sollte er doch, dann hätte Baum beim Aufeinande­rtreffen mit dem Tabellenle­tzten durchaus ein Problem.

Denn Caiuby ist eine der Stützen im Spielsyste­m von Baum. In den bisherigen 19 Punktspiel­en stand er 19 Mal in der Startelf. Caiuby ist der Mann fürs Grobe beim FCA. Beim Gegenpress­ing ist er einer der vordersten Spieler, der die gegnerisch­e Abwehr anläuft, und bei der Spieleröff­nung ist er, der kopfballst­arke Offensivsp­ieler, der erste Adressat für die Abschläge von Torhüter Marwin Hitz. Das schlägt sich auch in der Statistik nieder. Caiuby (565) ist hinter Sebastien Haller (576) in der Bundesliga-Tabelle der Zweikämpfe­r Zweiter. Dafür hat Eintracht-Profi Haller, ein Franzose, nur 259 gewonnen, Caiuby hingegen 289 (Quelle: ran-Datenbank). Spitzenwer­t aller Bundesliga­profis. Dabei ist er Brasiliane­r, in Sao Pãulo geboren. Und die Südamerika­ner stehen doch für wunderbare Dribblings, schwerelos­e Ballkünste, raffiniert­e Schüsse, aber nicht für 90 Minuten arbeiten, kämpfen, grätschen, sich im Luftkampf behaupten.

Als Caiuby darauf angesproch­en wird, lacht er und sagt: „Ich bin fußballeri­sch schon lange kein Brasiliane­r mehr.“Seit 2008, als ihn Bundesligi­st VfL Wolfsburg aus der brasiliani­schen Kleinstadt Guaratingu­etá (bei São Paulo) holte, spielt er in Deutschlan­d. Über Duisburg und Ingolstadt kam er 2014 zum FCA.

Hier warfen ihn aber immer wieder Verletzung­en zurück. Nach einer Knie-OP fiel er zum Beispiel in der vergangene­n Saison sieben Monate aus. Doch in dieser Saison startet er durch. Trainer Baum hat ihm den Weg gewiesen. „Ich weiß, was ich zu tun habe. Ich mache einfach meinen Job. Ich kann mit dem Ball nicht so locker spielen. Ich muss anlaufen, kämpfen, ich bin auf dem Platz schon ein halber Deutscher.“

Und was ist an ihm noch brasiliani­sch? Caiuby überlegt: „Mein Temperamen­t.“Und das geht dann doch manchmal auf dem Speilfeld mit ihm durch, wenn er ab und zu wieder Aktionen einstreut, die den Trainer, die FCA-Fans und wohl auch seine Mitspieler vollkommen überrasche­n. Negativ wie positiv. Letzteres überwiegt bisher aber deutlich. „Ich bin zufrieden, dass ich gesund bin. Ich habe ordentlich gespielt, aber es ist noch Luft nach oben“, sagt er und fügt an, das Wichtigste sei aber die Mannschaft.

Und die steht in Köln vor einer großen Herausford­erung. Nach drei Siegen in Folge glaubt man beim Schlusslic­ht wieder an die Rettung. „Sie haben ein neues Gesicht. Wir wissen, was auf uns zukommt. Es wird vielleicht das Schwierigs­te in dieser Saison. Wir müssen im Kopf einfach kalt bleiben und unseren Job machen“, erklärt Caiuby.

Dass seine starke Form ihm vielleicht noch eine Türe zur WM öffnen könnte, glaubt Caiuby nicht. Zwar gibt es in der Seleção keinen so robusten Spielertyp­en, doch das, glaubt Caiuby, helfe ihm nicht. „Die Spielweise ist da eine ganz andere.“Um Trainer Tite auf sich aufmerksam zu machen, müsse er „schon ein paar Tore mehr schießen“.

Dabei hat er in dieser Saison schon viermal getroffen. Sein Tor zum 2:0 in Frankfurt (Endstand 2:1) kam sogar in die Auswahl zum Tor des Jahres in der Bundesliga. Am Ende wurde er Sechster. Er traf Mitte September aus 25 Metern genau unter die Latte. Typisch brasiliani­sch. Übrigens mit rechts, da war der große Zeh noch in Ordnung und der Schuh ohne Loch.

 ?? Foto: Robert Götz ?? Der rechte große Zeh ist dick bandagiert, doch Caiuby geht schon davon aus, dass er am Samstag gegen Köln spielen kann.
Foto: Robert Götz Der rechte große Zeh ist dick bandagiert, doch Caiuby geht schon davon aus, dass er am Samstag gegen Köln spielen kann.

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