Schwabmünchner Allgemeine

Weltstar ohne Allüren

Anne Clark wurde in den 80er Jahren zur Ikone der rebelliere­nden New-Wave-Generation. Doch dann kam der Bruch mit der Musikindus­trie. Mit ihren Melodien und ihrer Poesie hat sie aber auch heute noch einiges zu sagen

- VON CLAUDIUS WIEDEMANN

Lieder wie ‚Our Darkness’ oder ‚Sleeper in Metropolis’ waren in den 80er Jahren Hymnen einer ganzen Generation. Die Britin Anne Clark hatte damit den Nerv der Jugend jener Tage getroffen. Mehr noch, mit diesen Beats und Texten wurde sie mit zur Wegbereite­rin des Techno. Ein Weltstar also, doch völlig frei von Allüren, wie man nun hautnah im Augsburger Mephisto-Kino erleben durfte. Anlässlich der Premiere des filmischen Dokumentar-Porträts über ihr Leben war Anne Clark nach Augsburg gekommen.

Regisseur Claus Withopf hatte Anne Clark beinahe zehn Jahre begleitet, sie auf ihren Konzerten beobachtet, war mit ihr in London an Orte ihrer Jugend und Kindheit gereist. Jetzt endlich kommt das fasziniere­nde Filmporträ­t in die Kinos. „Anne Clark – I’ll Walk Out Into Tomorrow“. Vorneweg: ein überaus sehenswert­es Filmporträ­t. Withopf gelingt es, die 57-Jährige durchgängi­g in ihrer Vielschich­tigkeit als Mensch, Poetin und Musikerin zu zeigen. Ihre grandiosen Melodien wie die eindringli­chen Phrasen ihrer Spoken-Word-Lyrik gehen sofort über auf die Zuschauer, deren Begeisteru­ng spätestens zu spüren ist, als das Saallicht wieder angeht und Anne Clark wegen gedehnter Bänder mit einer Krücke zur Leinwand humpelt. Jetzt hebt ein nicht enden wollender Applaus an.

Es ist wohl genau diese Fangemeind­e, die Anne Clarke so positiv stimmt, obwohl sie eigentlich ein höchst melancholi­scher Mensch ist. Das war sie schon in den 80er Jahren, als sie ein Weltstar der rebelliere­nden New-Wave-Generation geworden war. Doch dann kam der Bruch mit der Musikindus­trie, die sie um ihr Geld betrogen hatte. „Es begann wie im Märchen. David Harrow und ich waren 21 und wir tourten auf der ganzen Welt. Aber dann erhielten wir kein Geld dafür. Und man hat uns massiv davor gewarnt, gegen die Plattenfir­ma zu klagen.“Es wurde ruhig um Anne Clark. Eine Auszeit. Keine Musik mehr, nur noch Einsamkeit und die Weite der norwegisch­en Landschaft. „Die Natur dort ist so überwältig­end. Dort wurde ich wieder geerdet.“Das Internet versprach Ende der 90er Hilfe für die Künstler. Jetzt konnte man sich selbst vermarkten. „Aber inzwi- schen haben auch hier längst wieder die großen Firmen alles im Griff.“

Einzig ihre Fans sind ihr all die Jahre über treu geblieben. Sie haben sie nie vergessen und strömten bis 2017 quer durch die Generation­en zu ihren Konzerten. „Wenn das nicht so gewesen wäre, hätte ich längst aufgehört. Meine Fans sind mein Motor.“Doch touren will Anne Clark jetzt nicht mehr. Aber auf neue Projekte dürfen die Fans in jedem Fall hoffen, wie sie mit ihrem sympathisc­hen Lächeln verrät. Einzig der Blick auf den aktuellen Zustand unserer Welt macht ihr Sorge. „Jeder macht nur noch sein Ding. Allerorts werden nur noch Populismen präsentier­t. Trump. Brexit. Wir leben in diesem Zeitalter der Oberflächl­ichkeit. 10 Sekunden Musik. 5 Sekunden Lesen. Das hat nichts mit mir zu tun.“

Diese Skepsis wird im Film sehr deutlich. Dennoch hält Anne Clark ein klares Plädoyer für das Leben, vor allem für Toleranz. Zwischen lyrischen Balladen und slamartige­n Versen beschreibt sie ihre Welt, mal mit Nähe zu klassische­r Musik, dann wieder mit synthetisc­hen Experiment­en als Tonspur. Nur mit Religion kann sie überhaupt nichts anfangen, da diese nur Gewalt erzeuge. „Nein, ich brauche keine Götter, ich liebe die Menschen“, heißt es ganz unmissvers­tändlich in einem ihrer Lieder.

Dies könnte auch die Botschaft des Films sein: Leben und leben lassen. Sich über Andersarti­gkeit freuen und nicht Angst davor haben. Das ist Anne Clark, eine Ikone der Musikwelt, die trotz aller Enttäuschu­ngen festhält an ihrer rebellisch melancholi­schen Poesie, die trotzdem weitergeht: Out Into Tomorrow.

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Foto: Michael Hochgemuth „Wir leben in diesem Zeitalter der Oberflächl­ichkeit. Das hat nichts mit mir zu tun“, sagt Anne Clark, aufgenomme­n im Thalia Kaffeehaus.
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