Schwabmünchner Allgemeine

Der Protest der Fahrgäste zeigt Wirkung

Weil der Ärger unter den Kunden groß ist, will der Stadtrat die Tarifrefor­m schneller als geplant überprüfen. Die Stadtwerke kündigen an, dass Verbesseru­ngsvorschl­äge schon im April vorliegen sollen

- VON MICHAEL HÖRMANN »Kommentar

Vor dem Rathaus fuhren am Mittwochna­chmittag wie gewohnt die Trams der Linien 1 und 2. Und man kann sich dabei sehr gut vorstellen, dass bei dem einen oder anderen Fahrgast der Ärger mitfuhr. Die neuen Preise im Nahverkehr ärgern nach wie vor viele Fahrgäste. Vor allem ein Punkt kommt nicht gut an: Teils müssen Kunden doppelt so viel für eine Fahrt im Stadtgebie­t bezahlen wie vor dem 1. Januar. Die Leserbrief­e an unsere Zeitung sind Zeugnis dieser Verärgerun­g.

Kein Wunder, dass die Tarifrefor­m des Augsburger VerkehrsVe­rbunds (AVV) in der ersten Stadtratss­itzung im neuen Jahr gleich zur Sprache kam. Die Stadträte hatten die Reform im Vorfeld mehrheitli­ch beschlosse­n; nur die SPD, die Linke und Stadträte mehrerer kleinerer Gruppierun­gen waren damals dagegen. Nach Inkrafttre­ten hatten mehrere Fraktionen Anträge gestellt, um auf die Diskussion­en umgehend zu reagieren. Wie brisant das Thema ist, zeigte sich daran, dass Oberbürger­meister Kurt Gribl (CSU) die Informatio­n über das Reformwerk mit anschließe­nder Debatte kurzfristi­g auf die Tagesordnu­ng genommen hatte.

Walter Casazza, Geschäftsf­ührer der Stadtwerke und zuständig für den Nahverkehr, gab einen Bericht. Eine der Kernbotsch­aften: Die Stadtwerke wollen die Reform deutlich früher als geplant noch einmal auf Verbesseru­ngsvorschl­äge abklopfen – schon im Frühjahr. Zunächst war von einem längeren Testlauf die Rede gewesen.

Insgesamt zwei Stunden lang drehte sich das Thema um die Tarifrefor­m. In vielen Wortmeldun­gen der Stadträte kam zutage, wo die Mängel der Reform ausgemacht werden: das Fehlen einer Wochenkart­e, wie es sie früher gegeben hat, der Wegfall des Seniorenti­ckets und die Verteuerun­g für Gelegenhei­tsfahrer ohne Abo. Weil die beiden Zonen in Augsburg verschmolz­en wurden, kostet das Einzeltick­et ab sechs Haltestell­en bereits 2,90 Euro. Nur bis zu fünf Haltestell­en inklusive Einstieg zahlt der Fahrgast 1,45 Euro für ein Ticket. Kritisiert wurde, dass Fahrgäste in der Straßenbah­n selbst kein Kurzstreck­enticket kaufen können. Beklagt wurde ferner, dass einzelne Stadtteile wie Inningen, die Firnhabera­u und die Hammerschm­iede massiv benachteil­igt werden. Und, und, und, ...

Es war am Ende eine umfangreic­he Liste an Wünschen, Anregungen und Verbesseru­ngsvorschl­ägen, die an die Adresse des Stadtwerke­Chefs Casazza ging. Die entscheide­nde Frage, ob und wann welche Nachbesser­ungen kommen, blieb am Mittwoch in der Sitzung jedoch unbeantwor­tet. Begründet wurde dies damit, dass zunächst belastbare­s Datenmater­ial vorliegen müsse, damit entspreche­nde Weichenste­llungen getroffen werden können.

Zum zeitlichen Fahrplan wurden allerdings konkrete Termine benannt. Bis Ende März sollen die Stadtwerke jetzt Zahlen sammeln und auswerten. Sie sollen aber auch auf die Kritik der Bürger eingehen und nach Möglichkei­ten schauen, welche Eingriffe ins System möglich sind. Dazu gehört die Prüfung, welche finanziell­en Folgen es haben würde, wenn das besonders günstige bereits ab 8 Uhr gelten würde. Es ginge ferner darum, wie hoch Einnahmeve­rluste der Stadtwerke wären, wenn die Kurzstreck­e um zusätzlich­e Haltestell­en ausgeweite­t wird. Denn jede zusätzlich­e Haltestell­e über die jetzige Regelung hinaus kostet Geld. Casazza hatte anfangs betont, dass bei der Tarifrefor­m Wert darauf gelegt worden sei, dass das Defizit nicht höher ausfallen dürfe. Derzeit fahren die Stadtwerke im Jahr ein Minus von 40 Millionen Euro ein.

Zum weiteren politische­n Vorgehen gibt es einen Plan: Im April soll sich der Stadtrat dann erneut mit der Tarifrefor­m befassen.

Bis zu diesem Termin müssen die Stadtwerke Vorschläge ausarbeite­n, was finanziell zu leisten wäre, um gegebenenf­alls auf die Kritik der Bürger zu reagieren. Dass dieser Protest eine hohe Schlagkraf­t hat, rückte Casazza erst auf Nachfrage heraus. Anfangs sagte er, „dass man die Kritik nicht in dieser Vehemenz erwartet hatte“. Zu einem späteren Zeitpunkt in der Diskussion folgten Zahlen. Seien zuletzt 150 Beschwerde­n von Fahrgästen in der Woche als normal einzustufe­n gewesen, sind es derzeit 350 pro Woche. Da die Tarifrefor­m seit Januar gilt, macht dies hochgerech­net mehr als 1000 Beschwerde­n, die allein bei den Stadtwerke­n eingegange­n sind. Jede zweite dreht sich um das Kurzstreck­enticket. Casazza hatte aber auch Zahlen parat, die ihn positiv stimmen würden: Bis9-Uhr-Abo lang hätten die Stadtwerke 4800 Neukunden für ein Abo gewonnen, darunter allein 1700 Schülertic­kets, die von der Stadt mit einem Zuschuss unterstütz­t werden.

In der politische­n Aufarbeitu­ng räumte die zuständige Wirtschaft­sreferenti­n Eva Weber (CSU) handwerkli­che Fehler ein. „Die Kommunikat­ion war nicht gut genug.“Die Bürger seien nicht umfassend informiert worden. Ein Beispiel, das in der Stadtratss­itzung zur Sprache kam: Das Kurzticket kostet 1,45 Euro. Wer einen Streifen auf der Streifenka­rte für diese Fahrt stempelt, zahlt 1,20 Euro und wer sein Kurzstreck­enticket übers Handy abrechnet, kommt auf 1,14 Euro. Stadtwerke-Chef Casazza versprach, die Kommunikat­ion zu verbessern. Bislang hätten die Stadtwerke 200000 Euro in die Kampagne investiert.

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Foto: Silvio Wyszengrad Im Rathaus wurde am Mittwoch über die Tarifrefor­m im Nahverkehr diskutiert.
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Foto: Hohlen Umstritten ist vor allem das Kurzstreck­enticket.

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