Auf dem Weg zum geklonten Menschen?
Der Fortschritt in der Wissenschaft stellt uns vor grundlegende Fragen – aber auch vor den Zweifel, ob moralische Bedenken überhaupt Grenzen setzen könnten
Es wäre so einfach und so beruhigend schön, jetzt mal wieder mit voller Leidenschaft für die Notwendigkeit eines moralischen Rahmens für den menschlichen Fortschritt einzustehen. Denn stehen uns mit den neuen Meldungen aus China, dass dort erstmals das Klonen von Primaten gelungen ist, nicht all die längst in düsteren Zukunftsvisionen eingeübten Szenarien vor Augen? Geklonte Menschen, designte Babys, unsterbliche Mischwesen, die digitalisierte Diktatur… – der Mensch ermächtigt sich zum Designer des Lebens, greift in die unkontrollierbar komplexen Zusammenhänge der Natur ein und verändert dabei die Grundlagen des Menschseins. Also, mit Emphase: Das darf doch nicht…! Da muss man doch…!
Gewiss. Aber die Antwort darauf lautet: „Hören Sie, das ist keine produktive Einstellung. Ihr Weltpolizisten wollt alles verbieten, aber letztlich werden die Menschen jedes verfügbare Mittel nutzen, um davon zu profitieren. Moral lässt sich nicht gesetzlich verordnen.“Und: „Ich sage nur, was machbar ist, wird auch gemacht, und es ist besser, die Forschung findet im Licht der Öffentlichkeit statt als in den dunklen Winkeln der Welt.“Die Sätze stammen aus dem neuen Roman eines der derzeit besten Autoren von düsteren Zukunftsszenarien, vom Amerikaner Daniel Suarez („Bios“).
Und damit erst ist das eigentliche Dilemma aller Fortschrittsfragen gefasst. Denn mal ehrlich: Die Argumente der Produktivität, der Machbarkeit und der vermeintlichen Transparenz mögen angesichts womöglich unabsehbarer Folgen des Fortschritts noch so zynisch wirken – aber wer glaubt wirklich, dass moralische Bedenken all dem Einhalt gebieten könnten? Die EU-Europäer und vor allem die Deutschen mögen samt ihrer Ethikkommissionen noch vergleichsweise restriktiv sein – aber über kurz oder lang wird auch hier der Druck wachsen. Im globalen wirtschaftlichen Wettbewerb siegen die Skrupellosen und auf dem globalen Markt der Lebensoptimierung sichert jeder sich und seinen Lieben, was er sich nur leisten kann. Ein Durchbruch der Vernunft hin zu verantwortungsvollem Handeln? Als hätte es den bislang bei Waffengeschäften, in der Klimapolitik oder auch beim individuellen Konsum je nachhaltig gegeben! Also: Sparen wir uns für diesmal die wohlfeilen moralischen Appelle an Forscher und Politiker.
Es gibt nur zweierlei, was derzeit den Blick in die Zukunft erhellen könnte. Erstens, dass zum Beispiel der Weg zum Klonen von Menschen technisch eben gar nicht so eben ist, wie es die aktuellen Meldungen in Kombination mit den vertrauten Zukunftsszenarien erscheinen lassen. Je weiter Wissenschaftler vordringen, desto mehr zeigt sich die unfassbare Komplexität natürlicher Zusammenhänge. Und auch wenn Abermilliarden in die Forschung investiert werden, lässt sich Fortschritt nicht einfach erkaufen oder durch wilde Experimente erzwingen. Wie heißt es bei Daniel Suarez: „Mutter Natur hat eine höllische Rückhand.“
Die zweite Lichtquelle wäre die Rückkehr zu einer fast schon vergessenen Zuversicht. Die düsteren Visionen mögen mächtig wirken – tatsächlich mächtig ist, welche Entwicklung die Wissenschaft dem Menschen ermöglicht hat: in Gesundheit, Mobilität, Kommunikation… Das hat die Zukunft vor wenigen Jahrzehnten wie ein Paradies leuchten lassen. Inzwischen befinden wir uns längst in einem Wettlauf: Kommen künftige Entwicklungsschritte groß und schnell genug, um drohende Folgen des bisherigen Fortschritts auszugleichen? Es ist keine Wette auf die Vernunft, sondern auf die Forschung. Vielleicht also müssen wir ausgerechnet das: an die Zukunft glauben!
„Ich sage nur, was machbar ist, wird auch gemacht.“