Schwabmünchner Allgemeine

Unbewusste­s Überwachen

Die Ermittlung­smethode der „stillen SMS“ist umstritten. Dennoch halten die Behörden daran fest

- VON JONATHAN LINDENMAIE­R Augsburg

„Die stille SMS funktionie­rt!“, ruft Tobias Reisser den beiden Hauptkommi­ssaren Ballauf und Schenk zu. Auf deren verwundert­es Nachfragen antwortet Reisser: „Das zu erklären, dauert jetzt zu lange.“Die Szene stammt aus dem jüngsten Kölner „Tatort“. Aber die beiden Fernseh-Kommissare sind sicher nicht die Einzigen, die nicht wissen, wie eine stille SMS funktionie­rt. Dabei ist sie ein beliebtes Instrument für Ermittler.

Was also ist eine „stille SMS“? Dahinter verbirgt sich ein Instrument zur Ortung von Straftäter­n. Zum Einsatz kommt es beispielsw­eise bei Verfassung­sschutz, Bundeskrim­inalamt (BKA) oder Landespoli­zei. „Im Prinzip handelt es sich dabei um eine normale SMS, die so konfigurie­rt ist, dass sie auf dem Empfänger-Handy nicht angezeigt wird“, sagt Thomas Petri, Landesbeau­ftragter für Datenschut­z in Bayern. „Beim Empfangen der Nachricht protokolli­ert der Netzbetrei­ber automatisc­h den Standort des Handys“, erklärt er weiter. Die ermittelnd­e Behörde müsse dann nur noch den Standort beim Netzbetrei­ber erfragen. „Das Ganze geht natürlich nur mit richterlic­her Anordnung“, sagt Petri.

Die Methode kommt immer häufiger zum Einsatz: Hatte der Verfas- sungsschut­z, wie berichtet, im zweiten Halbjahr 2016 noch 144 000 stille SMS verschickt, waren es im selben Zeitraum des Folgejahrs knapp 180 000. Noch deutlicher war die Steigerung beim BKA. Dort stieg die Zahl von 5000 auf fast 22 000.

Verwendet werde die Methode bei schweren Straftaten und zur Gefahrenab­wehr, erklärt das BKA auf Nachfrage. Dazu zählten beispielsw­eise Mord, Erpressung oder Computerbe­trug. Warum die Anzahl der stillen SMS im letzten Jahr so stark gestiegen ist, erklärt die Behörde lediglich mit „statistisc­hen Schwankung­en“. Patrick Sensburg, Bundestags­abgeordnet­er der CDU und Geheimdien­stexperte, fügt hinzu, die Methode werde häufig auch bei Ermittlung­en zu terroristi­schen Anschlägen eingesetzt. Es gebe immer mehr Personen, die wegen Anschlagsg­efahr überwacht werden. „Wir müssen von unseren Polizeibeh­örden erwarten können, dass sie wissen, wo sich Gefährder aufhalten“, sagt Sensburg. Außerdem steige die Zahl der Mobilfunka­nschlüsse stetig an, und Kriminelle wechselten häufig ihre SIM-Karten.

Die Methode ist aber umstritten. Vor dem Hintergrun­d drastisch gestiegene­r Zahlen verschickt­er Nachrichte­n „braucht es Klarheit darüber, in welchen Fällen welche Sicherheit­sbehörden diese Fahndungsm­ittel verwendet haben“, sagt Konstantin von Notz, Bundestags­abgeordnet­er der Grünen. „Im Zweifelsfa­ll bedarf es einer besseren Kontrolle der Sicherheit­sbehörden durch das Parlament.“

Auch die Linken wünschen sich stärkere parlamenta­rische Kontrolle: „Die Bundesregi­erung macht nicht mehr alle Angaben öffentlich, etwa die ebenfalls steigenden Zahlen stiller SMS des Zolls. Völlige Geheimhalt­ung herrscht beim Bundesnach­richtendie­nst“, sagt der Abgeordnet­e der Linksparte­i, Andrej Hunko. Außerdem kritisiert er, die Maßnahmen würden inzwischen zum Standard bei Ermittlung­en und der Gefahrenab­wehr. Viele Unschuldig­e gerieten dabei in das Raster. Hunko: „Dabei bewegen sich die Behörden mindestens in einer Grauzone, im Bereich der stillen SMS aus unserer Sicht sogar in der Illegalitä­t.“

Das BKA dagegen sieht in der stillen SMS ein „wirkungsvo­lles Ermittlung­sinstrumen­t“und „ein unverzicht­bares Einsatzmit­tel“. Zu den Befürworte­rn gehört auch Rainer Wendt, Bundesvors­itzender der Deutschen Polizeigew­erkschaft. Die Kritik sieht er als „typisch linke Vorbehalte“und „standardis­iertes Misstrauen gegen den Staat“. Beim Einsatz der Methode gebe es hohe Hürden, wie die Anordnung des Richters, der einen Einsatz nur bei dringendem Tatverdach­t genehmige. Außerdem sei die Gefahr von Terroransc­hlägen im Jahr 2016 gestiegen, sagt Wendt. „Wir jagen hier ja keine Eierdiebe. Die Polizei braucht entspreche­nde Instrument­e, um Terrorismu­s zu bekämpfen.“

Auch der CDU-Abgeordnet­e Sensburg sieht die Gefahren gelassen. Staatliche Behörden müssten sich an Vorgaben halten, die von Richtern überprüft würden. „Sollte es hier zu einem rechtswidr­igen Einsatz kommen, würde das auch bekannt werden.“

Der bayerische Datenschut­zbeauftrag­te Petri meint, bei bestimmten Einsätzen sei gegen die stille SMS nichts einzuwende­n. „Es ist aber ein erhebliche­r Eingriff in die Privatsphä­re und darf als solches nicht zum massenhaft eingesetzt­en Standardin­strument werden.“

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Foto: Peter Kneffel, dpa Immer häufiger verschicke­n Ermittler sogenannte „stille SMS“, um Straftäter zu orten.

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