Schwabmünchner Allgemeine

Wenn der Automat Rezepte annimmt

Ist keine Apotheke in der Nähe, können Patienten mancherort­s die Verschreib­ung an einer Sammelstel­le abgeben. Die Medizin kommt dann nach Hause. Jetzt wird das Verfahren schneller

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Neidlingen Der direkte Draht zur Apotheke sieht aus wie ein Geldautoma­t. Die Sparkasse ist zufällig auch gleich ums Eck, denn die gibt es im baden-württember­gischen Neidlingen. Es gibt auch einen Arzt und einiges mehr. Aber eine Apotheke hat der 1800-Einwohner-Ort südöstlich von Stuttgart nicht, und auch in der näheren Umgebung gibt es keine. Dieses Manko soll die „Digitale Rezeptsamm­elstelle“beheben und jenen Neidlinger­n, die nicht so mobil sind, weite Wege ersparen. Sie können ihre Rezepte künftig dort einscannen und digital an eine Apotheke senden, die ihnen die Medikament­e nach Hause bringt.

Mit Infrastruk­tur-Sorgen plagen sich tausende kleine Kommunen: Mal fehlt der Arzt, mal der Bäcker, mal der Supermarkt, mal die Bank. Stellvertr­etend für alle, denen die Apotheke fehlt, soll Neidlingen die Technik nun zwei Jahre lang testen, wie der Präsident des Deutschen Apothekerv­erbandes, Fritz Becker, erklärt. Ein zweites Pilotproje­kt beginnt zeitgleich in Heusweiler­Kutzhof im Saarland, wo ebenfalls ein digitaler Rezeptsamm­ler getestet wird – dort ist es die wetterfest­e Outdoor-Variante, die einem Parkschein­automaten ähnelt.

Beide Projekte hätten bundesweit schon großes Interesse geweckt, heißt es. Herkömmlic­he Rezeptsamm­elstellen in Form eines Briefkaste­ns gibt es schon lange, auch in Neidlingen und in Heusweiler­Kutzhof. Sie können aufgestell­t werden, wo die Entfernung zur nächsten Apotheke eine bestimmte Grenze überschrei­tet. Die Rezepte werden abgeholt, bearbeitet und die Medikament­e dann ausgeliefe­rt, meist am nächsten Tag. Im Schnitt etwa fünf Stück pro Tag seien es bisher, sagt Hansjörg Egerer von der Adler-Apotheke in Weilheim an der Teck, die bisher für den Kasten und künftig für den Automaten in Neidlingen zuständig ist. Digital soll nun alles schneller gehen.

„Wir kriegen das Rezept jetzt praktisch auf den Schirm, wenn es eingeworfe­n wird“, erklärt der Inhaber der Allee-Apotheke in Heusweiler-Holz, Manfred Saar, der den Automaten im Saarland bedient. Heißt: Falls ein Artikel nicht vorrätig ist, kann Saar sofort bestellen und noch am selben Tag liefern. „Wir können so bis zu einem ganzen Werktag sparen. Das ist ein gewaltiger Zeitgewinn.“Ein zusätzlich­es Geschäft, mit dem sich mehr Geld verdienen lässt, sei die Sache für sei- Apotheke aber nicht. Eher ein zusätzlich­er Service. Der Automat in Heusweiler-Kutzhof kostet einen niedrigen vierstelli­gen Betrag, erklärt die Apothekerk­ammer des Saarlands.

Gleich aus dem Automaten purzeln dürfen Arzneimitt­el nicht, selbst wenn man sie ohne Rezept bekommen kann. Der Versandhän­dler DocMorris würde ein solches Gerät gerne im Örtchen Hüffenhard­t, rund eineinhalb Autostunde­n nördlich von Neidlingen, betreiben. Mitarbeite­r in den Niederland­en sollen dort per Videochat beraten und Arznei per Knopfdruck freigeben. Der Apothekerv­erband hält das aber für einen Verstoß gegen das Arzneimitt­elgesetz und bekam bislang recht. Endgültig abgeschlos­sen ist der Fall aber nicht.

Zentraler Unterschie­d zum Konzept der digitalen Rezeptsamm­elne stelle, betont Apotheken-Präsident Becker, sei der persönlich­e Kontakt zwischen Patient und Personal bei der Übergabe des Medikament­s. Irgendwen vorbeischi­cken darf die Apotheke nämlich nicht. Und auch das Rezept auf Papier hat nicht ausgedient. Das Original muss der Apotheker aus dem Automaten holen und prüfen, bevor er das Medikament übergibt.

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Hier können Patienten ihre Rezepte einscannen und bekommen die Medikament­e dann nach Hause geliefert: Die digitale Rezept sammelstel­le in Neidlingen.

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