Schwabmünchner Allgemeine

Schlechte Zeiten für Sparer: Die Zinswende ist überfällig

Leitartike­l Für neue Konten darf eine deutsche Volksbank Strafzinse­n erheben. Schuld ist eine Billiggeld-Politik, von der EZB-Chef Mario Draghi so schnell nicht loskommt

- VON MICHAEL KERLER mke@augsburger allgemeine.de

Ein baden-württember­gisches Landgerich­t hat sich am Freitag damit befassen müssen, ob Strafzinse­n für Konten erlaubt sind. Dies zeigt die Absurdität der Situation, in die die Finanzkris­e und die Politik der Europäisch­en Zentralban­k die Sparer manövriert haben. Sparen, das galt früher als etwas Vorbildlic­hes, Gutes, Verlässlic­hes. Heute wird der Sparer bestraft. Er soll eine Gebühr dafür zahlen, dass er überhaupt Geld zurücklegt. Zwar nicht für Altverträg­e, aber doch für neue Konten scheint dies nach dem Urteil des Landgerich­ts möglich. Dabei wäre es längst Zeit für eine Kehrtwende. Die EZB unter ihrem Präsidente­n Mario Draghi müsste den Sparern längst stärker entgegenko­mmen.

Das Motiv für die Nullzinsen im Euroraum war es schließlic­h, eine Abwärtsspi­rale der Wirtschaft abzuwenden. Tatsächlic­h standen Länder wie Spanien, Portugal und Griechenla­nd vor einigen Jahren am Rande des Abgrunds. Doch mittlerwei­le zieht das Wachstum in Europa an. Deutschlan­d erlebt einen Boom, manche Branchen warnen gar vor einer Überhitzun­g. Weltweit erhöhen Notenbanke­n – auch in den USA – die Zinsen. Und nicht zuletzt steigt die Inflation in Europa – eine Giftdosis für jedes Sparguthab­en. In Deutschlan­d erreichte sie vergangene­s Jahr sogar 1,8 Prozent und lag nahe der Marke von knapp zwei Prozent, die sich die Zentralban­k als Ziel gesetzt hat. Eine Deflation, also ein Verfall der Preise, droht damit nicht mehr.

Stattdesse­n scheinen sich gefährlich­e Preisblase­n durch die Billiggeld-Politik zu bilden: Die Immobilien­preise in manchen Städten gehen durch die Decke. Wer baut, findet kaum einen Handwerker. Auf ihrer händeringe­nden Suche nach Rendite haben die Anleger die Börsen, aber auch Anleihen auf schwindele­rregende Rekordstän­de getrieben. Und in eine ominöse Digitalwäh­rung wie den Bitcoin fließt plötzlich viel Geld.

Doch so gefährlich der NullzinsKu­rs ist, umso machtloser wirkt inzwischen die EZB. Draghi scheint sich in eine Falle manövriert zu haben. Er kündigte diese Woche an, dass die Zinsen dieses Jahr höchstwahr­scheinlich nicht steigen. Die milliarden­schweren Anleihekäu­fe hat die Zentralban­k zwar gedrosselt, trotzdem wird sie mit dem Programm noch für Monate fortfahren – mindestens bis Herbst. Und die Rückkehr zur Normalität könnte sich verzögern. Diesmal ist der Grund der starke Eurokurs. Er könnte Europas Wirtschaft und die Inflation dämpfen. Beides kommt Draghi in die Quere. Schuld daran trägt auch Donald Trump, der den Dollar lange Zeit schwachger­edet hat, um die US-Exportwirt­schaft anzukurbel­n.

Sicher, die Rückkehr zu steigenden Zinsen ist ein Balanceakt für die Notenbanke­n, der genau geplant und vorsichtig kommunizie­rt werden muss, um nicht neue Verwerfung­en auf den aufgeputsc­hten Märkten zu erzeugen. Gefangen zwischen nervösen Märkten und dem sprunghaft­en US-Präsidente­n ähnelt Draghi aber immer mehr einem schwankend­en Akrobaten, der auf den Felgen eines Fahrrades hoch im Zirkuszelt über ein Drahtseil fährt und nicht weiß, wie er noch das Gleichgewi­cht halten kann.

Für den Sparer bedeutet das nichts Gutes: Der Zins könnte frühestens 2019 steigen. Liegt dann aber auch die Inflation höher als zum Beispiel im Jahr 2016, ist praktisch nichts gewonnen. Im Gegenteil, der reale Verlust könnte sogar noch steigen.

Die Banken bewerben angesichts des Zins-Totalausfa­lls aktuell immer stärker Aktienfond­s. Das Engagement an der schwankung­sanfällige­n Börse ist aber nicht in jeder Lebensphas­e die beste Wahl. Gerade im Alter zählt eine sichere Rücklage.

Wie auf einem Drahtseil im Zirkuszelt

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Zeichnung: Haitzinger Der neue Besen
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