Schlechte Zeiten für Sparer: Die Zinswende ist überfällig
Leitartikel Für neue Konten darf eine deutsche Volksbank Strafzinsen erheben. Schuld ist eine Billiggeld-Politik, von der EZB-Chef Mario Draghi so schnell nicht loskommt
Ein baden-württembergisches Landgericht hat sich am Freitag damit befassen müssen, ob Strafzinsen für Konten erlaubt sind. Dies zeigt die Absurdität der Situation, in die die Finanzkrise und die Politik der Europäischen Zentralbank die Sparer manövriert haben. Sparen, das galt früher als etwas Vorbildliches, Gutes, Verlässliches. Heute wird der Sparer bestraft. Er soll eine Gebühr dafür zahlen, dass er überhaupt Geld zurücklegt. Zwar nicht für Altverträge, aber doch für neue Konten scheint dies nach dem Urteil des Landgerichts möglich. Dabei wäre es längst Zeit für eine Kehrtwende. Die EZB unter ihrem Präsidenten Mario Draghi müsste den Sparern längst stärker entgegenkommen.
Das Motiv für die Nullzinsen im Euroraum war es schließlich, eine Abwärtsspirale der Wirtschaft abzuwenden. Tatsächlich standen Länder wie Spanien, Portugal und Griechenland vor einigen Jahren am Rande des Abgrunds. Doch mittlerweile zieht das Wachstum in Europa an. Deutschland erlebt einen Boom, manche Branchen warnen gar vor einer Überhitzung. Weltweit erhöhen Notenbanken – auch in den USA – die Zinsen. Und nicht zuletzt steigt die Inflation in Europa – eine Giftdosis für jedes Sparguthaben. In Deutschland erreichte sie vergangenes Jahr sogar 1,8 Prozent und lag nahe der Marke von knapp zwei Prozent, die sich die Zentralbank als Ziel gesetzt hat. Eine Deflation, also ein Verfall der Preise, droht damit nicht mehr.
Stattdessen scheinen sich gefährliche Preisblasen durch die Billiggeld-Politik zu bilden: Die Immobilienpreise in manchen Städten gehen durch die Decke. Wer baut, findet kaum einen Handwerker. Auf ihrer händeringenden Suche nach Rendite haben die Anleger die Börsen, aber auch Anleihen auf schwindelerregende Rekordstände getrieben. Und in eine ominöse Digitalwährung wie den Bitcoin fließt plötzlich viel Geld.
Doch so gefährlich der NullzinsKurs ist, umso machtloser wirkt inzwischen die EZB. Draghi scheint sich in eine Falle manövriert zu haben. Er kündigte diese Woche an, dass die Zinsen dieses Jahr höchstwahrscheinlich nicht steigen. Die milliardenschweren Anleihekäufe hat die Zentralbank zwar gedrosselt, trotzdem wird sie mit dem Programm noch für Monate fortfahren – mindestens bis Herbst. Und die Rückkehr zur Normalität könnte sich verzögern. Diesmal ist der Grund der starke Eurokurs. Er könnte Europas Wirtschaft und die Inflation dämpfen. Beides kommt Draghi in die Quere. Schuld daran trägt auch Donald Trump, der den Dollar lange Zeit schwachgeredet hat, um die US-Exportwirtschaft anzukurbeln.
Sicher, die Rückkehr zu steigenden Zinsen ist ein Balanceakt für die Notenbanken, der genau geplant und vorsichtig kommuniziert werden muss, um nicht neue Verwerfungen auf den aufgeputschten Märkten zu erzeugen. Gefangen zwischen nervösen Märkten und dem sprunghaften US-Präsidenten ähnelt Draghi aber immer mehr einem schwankenden Akrobaten, der auf den Felgen eines Fahrrades hoch im Zirkuszelt über ein Drahtseil fährt und nicht weiß, wie er noch das Gleichgewicht halten kann.
Für den Sparer bedeutet das nichts Gutes: Der Zins könnte frühestens 2019 steigen. Liegt dann aber auch die Inflation höher als zum Beispiel im Jahr 2016, ist praktisch nichts gewonnen. Im Gegenteil, der reale Verlust könnte sogar noch steigen.
Die Banken bewerben angesichts des Zins-Totalausfalls aktuell immer stärker Aktienfonds. Das Engagement an der schwankungsanfälligen Börse ist aber nicht in jeder Lebensphase die beste Wahl. Gerade im Alter zählt eine sichere Rücklage.
Wie auf einem Drahtseil im Zirkuszelt