Schwabmünchner Allgemeine

Das Naturtalen­t Hitler

Mit einem Witz, dass der Atem stockt: George Taboris sarkastisc­h-böse Farce „Mein Kampf“

- VON RÜDIGER HEINZE München

„Der kürzeste deutsche Witz ist Auschwitz.“Wenn überhaupt, darf solch einen Satz nur ein Jude sagen.

Tatsächlic­h stammt er von George Tabori, jüdischstä­mmig, katholisch erzogen – und ist als Konzentrat seines gallig-schwarzen jüdischen Humors zu begreifen, wie er sich auch durch die Hitler-Theaterfar­ce „Mein Kampf“(1987) zieht. Wahr an dieser absurden Tragödie ist, dass Hitler 1909/1910 nach zwei erfolglose­n Kunstakade­mie-Aufnahmepr­üfungen in einem Wiener Männerwohn­heim unter Juden wohnte. Von Tabori wahnwitzig erdichtet ist, wie einer dieser Juden – Schlomo Herzl – den fast noch jugendlich­en Großkotz zu einem besseren Menschen wandeln will. Und zwar nachdem er ihm schlüssig dargelegt hat, dass er ebenfalls jüdischer Abstammung sei. Ins deutsche Wesen habe sich die Familie Shitler durch bezahlte Namensumbe­nennung eingekauft.

Das bitter-vertrackte, böse kalauernde Werk bezieht seinen Sarkasmus vor allem aus jenen – leicht und obenhin gesprochen­en – Seitensätz­en, die die wirkliche deutsche Massenmord-Geschichte vorausnehm­en. AH: „Ich will geschrumpf­te Leute um mich haben, dann gewinnt man Lebensraum … Schlomo, deine Asche wird in alle Winde verstreut werden…“

Und so ist das Erste, was jetzt auf dunkler Münchner-Volkstheat­erBühne zu erkennen ist: ein glimmender späterer Auschwitz-Ofen, in dem Schlomo (Pascal Fligg) aber nur seinen Kaffee warm hält. Nach etlichen spastisch-grotesken Farcen-Verrenkung­en wird die Inszenieru­ng des Intendante­n Christian Stückl dichter und dichter – bis zum Finale ein Huhn metaphoris­chfachmänn­isch zerlegt wird und die leibhaftig­e Frau Tod (Carolin Hartmann), die mit AH (Jakob Immervoll) eine Amour fou beginnt, analysiert: Ihr neuer Freund wäre als Leiche absolut mittelmäßi­g, doch als Würgeengel ein Naturtalen­t.

So ist dem Münchner Volkstheat­er erneut eine letztlich eindringli­che Produktion für einen Spielplan voller genuiner Dramen und sogenannte­m Schauspiel­ertheater gelungen. Auslastung: permanent 94 Prozent, wie Stückl gegenüber unserer Zeitung erklärt. Anders bei den Kammerspie­len: Dort sinkt die Auslastung bei inflationä­r szenischen Projekten rasant. Die Zukunft des Volkstheat­ers aber liegt in einem 130-Millionen-Euro-Neubau am Schlachtho­f (ebenfalls 600 Plätze, Eröffnung Ende 2021), dessen architekto­nischer Siegerentw­urf nun zu begutachte­n ist.

 ?? Foto: Arno Declair ?? Der junge Adolf Hitler (Jakob Immervoll) beim „großen Geschäft“und gleichzeit­ig in Todesangst.
Foto: Arno Declair Der junge Adolf Hitler (Jakob Immervoll) beim „großen Geschäft“und gleichzeit­ig in Todesangst.

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