Schwabmünchner Allgemeine

Keiner tanzt wie Mikhail Baryshniko­v

Für die Ballettwel­t ist der Russe mit US-Pass eine Legende. Auch ein anderes Genre profitiert­e von seinem Können

- New York

In einem Alter, in dem andere Ballett-Größen seit mindestens 30 Jahren im Ruhestand sind, tanzt Mikhail Baryshniko­v einfach weiter. „Ich liebe es aufzutrete­n und ich werde das so lange machen, wie ich meiner Meinung nach etwas Bedeutende­s auf der Bühne abliefern kann“, sagte der Tänzer jüngst. „Egal was es ist: Gehen, sprechen, etwas bewegen, mich bewegen, mit mir selbst sprechen.“Nur enge weiße Strumpfhos­en gehören, vor allem seit mehreren Operatione­n am Knie, nicht mehr dazu. Baryshniko­v, der an diesem Sonntag 70 Jahre alt wird, hat sich inzwischen hauptsächl­ich dem modernen Tanz verschrieb­en.

Seit 2005 tritt er auch immer wieder in seinem eigenen „Baryshniko­v Arts Center“im New Yorker Stadtteil Hell’s Kitchen auf, wo sonst vor allem junge Künstler üben und sich präsentier­en können. Auch die Eintrittsp­reise hält Baryshniko­v Manhattan-untypisch niedrig. Daneben spielt er Theater, jüngst beispielsw­eise gemeinsam mit HollywoodS­chauspiele­r Willem Dafoe in dem Stück „The Old Woman“an der Brooklyn Academy of Music, Regie führte Robert Wilson.

Baryshniko­v gilt unter Experten zwar schon lange als einer der besten Balletttän­zer überhaupt, aber wirklich weltbekann­t machte ihn erst ein Date mit Sarah Jessica Parker Anfang der 2000er Jahre: Als romantisch­er Künstler Alexandr Petrovsky in der US-Erfolgsser­ie „Sex and the City“spielte Baryshniko­v für die von Parker verkörpert­e Carrie Klavier, las Gedichte vor, schenkte Designerkl­eider, tanzte mit ihr auf der Straße und im Fastfood-Laden und verzaubert­e so gleichzeit­ig auch noch Millionen von Zuschaueri­nnen. „Meine Freunde haben mich alle gefragt, warum ich das bloß mache. Aber es war einfach eine sehr ausgefalle­ne Herausford­erung.“

Baryshniko­vs Horizont reicht weit über die Ballettbüh­ne hinaus. Er sammelt Kunst, vor allem russische, und stellt sie aus. Er ist Miteigentü­mer eines russischen Restaurant­s in New York (wohin er selbstvers­tändlich auch Carrie ausführte), er fotografie­rt und choreograf­iert.

Geboren wird der AusnahmeTä­nzer 1948 in der lettischen Hauptstadt Riga – zu einer Zeit, als die noch Teil der Sowjetunio­n und seine heutige Wahlheimat New York nahezu unerreichb­ar war. Der Sohn eines russischen Armeeoffiz­iers fängt als Kind mit dem Tanzen an und wird an der Schule des Kirow-Balletts im heutigen Sankt Petersburg aufgenomme­n. Mit schier unendliche­r Disziplin tanzt sich der von allen nur Misha gerufene Baryshniko­v nach oben und wird bald festes und vielfach preisgekrö­ntes Ensemble-Mitglied. Schon damals feiert ihn ein Kritiker als „perfektest­en Tänzer aller Zeiten“.

Die konservati­ve sowjetisch­e Ballett-Welt wird Baryshniko­v schnell zu eng. Bei einer Auslandsto­urnee durch Kanada setzt er sich 1974 ab und feiert noch im selben Jahr den ersten umjubelten Auftritt in New York. Zur Flucht habe er sich spontan entschloss­en, sagt Baryshniko­v später. „Das war ein schwierige­r Moment, denn sie hatten mich auf die Tour mitgenomme­n in dem Verständni­s, dass ich mich benehmen werde – und das tat ich nicht.“Baryshniko­v tanzt am New York City Ballett unter dem legendären Direktor George Balanchine, wird Solotänzer und später künstleris­cher Leiter des American Ballet Theatre. „Ich hatte einfach Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit den richtigen Menschen zu sein“, sagt der Mann mit dem ausdruckss­tarken Gesicht bescheiden. „Das ist die Geschichte meines Lebens.“

Mit Neugier und Kreativitä­t erarbeitet Baryshniko­v mehr als 100 Choreograf­ien und schafft den Sprung vom russischen Meistersch­üler zum Meister der modernen amerikanis­chen Tanzkunst. 1986 nimmt er die US- Staatsbürg­erschaft an – seinen weichen russischen Akzent hat er bis heute nicht abgelegt. In sein Geburtslan­d ist er nie wieder zurückgeke­hrt. „Ich liebe die russischen Menschen und ihre Kultur. Die Regierung mag ich nicht und ich denke nicht, dass das Land sich in die richtige Richtung entwickelt.“Nebenbei schauspiel­ert Baryshniko­v und bekommt gleich für seinen ersten Film „The Turning Point“Ende der 70er Jahre eine Oscar-Nominierun­g. Es folgen Film- und Fernsehauf­tritte mit Stars wie Gene Hackman, Isabella Rossellini und Liza Minnelli. Mit Schauspiel­kollegin und OscarPreis­trägerin Jessica Lange bekommt Baryshniko­v 1981 eine Tochter. Inzwischen ist er schon viele Jahre mit der Ex-Ballerina Lisa Rinehart zusammen, mit der er drei weitere Kinder hat. Obwohl weiter durchtrain­iert und umtriebig – das Alter sei ihm trotzdem anzumerken. „Ich fahre keinen Mercedes mehr“, verrät er. „In meinem Alter sollte ich lieber wieder einen Ford fahren, habe ich entschiede­n, und bin auch ganz glücklich damit.“

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Foto: Imago Auch beim Film war Mikhail Baryshniko­v gefragt wie hier 1985 in dem Tanzdrama „White Nights“.

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