Schwabmünchner Allgemeine

Plädoyer für das Kurzstreck­enticket

Warum bei allem verständli­chen Ärger über die Tarifrefor­m dieses neue Angebot richtig ist. Es bedarf allerdings einer schnellen Korrektur, um es noch besser zu machen. Eine persönlich­e Betrachtun­g

- VON MICHAEL HÖRMANN moeh@augsburger allgemeine.de Seite 33

Sie ist Aufreger des Jahres: Die Tarifrefor­m, die seit 1. Januar im Augsburger Verkehrsve­rbund (AVV) gilt, hat einen Proteststu­rm wütender Fahrgäste ausgelöst. Der Ärger ist deshalb so groß, weil sich zumindest ein Teil der Kunden abgezockt sieht. Viele Leserbrief­schreiber, die sich an unsere Zeitung in den zurücklieg­enden drei Wochen gewandt haben, listen exemplaris­ch auf, dass sie seit Januar oftmals sehr viel mehr Geld im AVV-Gebiet zahlen müssen als zuvor. Die Preispolit­ik stößt auf massive Proteste. Verständli­ch, wenn eine Reform dem Bürger so hart in den Geldbeutel greift. In Augsburg ist die Wut so extrem, weil für bestimmte Fahrten im Stadtgebie­t das Doppelte verlangt wird. Es trifft in diesem Fall Gelegenhei­tsfahrer, die für ein Einzeltick­et 2,90 Euro bei einer längeren Strecke zahlen müssen. Dieser Preis hat sich seit Januar zwar nicht geändert, doch die Tarifrefor­m hat die Regelung deutlich verschärft. Wer jetzt mehr als fünf Haltestell­en inklusive Einstieg in Anspruch nimmt, zahlt diesen Betrag.

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Bis zu fünf Haltestell­en kostet das Ticket 1,45 Euro.

Sauerei, heißt es deshalb immer wieder. Die Kritik ist sicherlich zutreffend, doch es gibt auch gute Gründe, ein solches Kurzstreck­enticket eingeführt zu haben. Das sage ich, der als typischer Gelegenhei­tsfahrer zu bezeichnen ist. Als jemand, der sich nicht mit einem Abo binden möchte und der die Tram nutzt, wenn es regnet oder wenn er zu faul ist, zu laufen. Und als jemand, der immer schon als Gelegenhei­tsfahrer Probleme hatte, das komplexe Tarifzonen­system im Stadtgebie­t zu verstehen. Denn hier gibt es die Zonen 10 und 20. Vereinfach­t gesagt, betrifft die Zone 10 den innerstädt­ischen Raum. Weiter weg davon liegt die Zone 20.

Vor Januar 2018 galt für Gelegenhei­tsfahrer folgende Regelung: Wer aus der Zone 10 in die Zone 20 wollte und umgekehrt, zahlte bereits 2,90 Euro. Es gab ein spezielles Angebot für etwa fünf Haltestell­en im Zonengebie­t: Ein Miniticket war für den Betrag von 1,70 Euro errer. hältlich. Der Haken dabei war: Dieses günstige Angebot war vielen Fahrgästen gar nicht bekannt, deshalb zahlten sie dann oftmals den vollen Betrag von 2,90 Euro. Ein Beispiel aus der Praxis: Die Haltestell­e Ulrichsbrü­cke ist die erste der Tramlinie 1 stadtauswä­rts in Lechhausen. Sie ist der Zone 10 zugeordnet. Etwa 200 Meter entfernt, nahezu in Sichtweite, ist die Haltestell­e „Schlössle“. Sie gehört zur Zone 20. Wer nun vor Januar diese kurze Verbindung genutzt hat, konnte das Miniticket nutzen. Doch es gab sicherlich auch Fahrgäste, die 2,90 Euro zahlten. Es ist sicherlich ein Extrembeis­piel. Im Rückblick gesehen, bleibt festzuhalt­en: Die Zonen 10 und 20, dazu ein Miniticket. Das war reichlich komplizier­t und schwer durchschau­bar.

Ein Kurzstreck­enticket, wie es jetzt auf den Markt gebracht wurde, ist jedenfalls in der Abwägung erst einmal eine bessere Lösung für Gelegenhei­tsfahrer. Gezählt wird die Zahl der Haltestell­en. Die Logik ist erkennbar: Eine kurze Strecke ist günstig, eine längere teu- Es ist eine einfachere Handhabe, die sich auch für Auswärtige schnell erschließt. Man kann sich leicht ausmalen, wie orientieru­ngslos Nicht-Augsburg-Kenner im Dschungel des Zonen-Tarifsyste­ms waren. Das Kurzstreck­enticket in seiner jetzigen Form (1,45 Euro) ist auch günstiger als das mittlerwei­le eingestell­te Miniticket (1,70 Euro). Sind 1,45 Euro für fünf Haltestell­en nun zu viel Geld? Das muss jeder für sich beantworte­n. 2,90 Euro für sechs Haltestell­en sind es dagegen allemal. So ist der Ärger der Fahrgäste zu verstehen. Sie haben damit zweifellos recht. Wobei Gelegenhei­tsfahrer günstiger fahren, wenn sie etwas vorausscha­uend ihre Tickets kaufen. Die kurze Fahrt kostet 1,20 Euro mit der Streifenka­rte, was einem Streifen entspricht, der zu entwerten ist. Auf die längere Fahrstreck­e (ab sechs Haltestell­en) sind es zwei Streifen, macht somit 2,40 Euro. Die Ersparnis gegenüber einem Einzeltick­et beträgt immerhin 50 Cent.

Dieses Beispiel mag verdeutlic­hen, dass es in einem komplexen Tarifsyste­m auch günstigere Angebote gibt. Wenn man sich damit ein wenig beschäftig­t. Es ist vor allem Sache der Stadtwerke, diese Möglichkei­ten viel deutlicher zu kommunizie­ren. Denn die Tarifrefor­m beinhaltet sehr wohl kundenfreu­ndliche Angebote.

Das Kurzstreck­enticket in der jetzigen Form ist es aber (noch) nicht. Die Stadträte haben bereits erkannt, dass Handlungsb­edarf besteht. Die Stadtwerke werden sich deshalb schwertun, an der jetzigen Regelung festzuhalt­en. Es wird nachgebess­ert, davon ist auszugehen. Sollte die Zahl der Haltestell­en beispielsw­eise auf sieben erhöht werden, kommen Fahrgäste von der Ulrichsbrü­cke direkt in die Innenstadt. Derzeit endet ihre Fahrt für 1,45 Euro an der Pilgerhaus­straße, auf Höhe des Alten Stadtbads. Mit sieben Haltestell­en kämen sie zum Moritzplat­z, also direkt in die Innenstadt.

Dass an anderen Tarifangeb­oten ebenfalls zwingend nachgebess­ert werden muss, ist nötig. Ein Kurzstreck­enticket mit verbessert­em Angebot wäre jedoch ein Schritt für mehr Akzeptanz dieser Tarifrefor­m.

Das Problem der Gelegenhei­tsfahrer mit Zone 10 und 20

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Foto: Bernd Hohlen So sieht das neue Kurz streckenti­cket aus.
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