Freistaat machen
Als Bayern 1918 von der Monarchie zur Republik wird, regieren in München für eine kurze Zeit die Dichter. Wohl selten wurde so leidenschaftlich die Zukunft erprobt. Ein Rückblick und ein Rundgang zu den Orten der Revolution
In jenen Tagen vor 100 Jahren geht das Deutsche Reich zum Teufel. Der Krieg wird verloren und auch die Sache mit der bayerischen Monarchie ist rum. Der bayerische König Ludwig III. geht als Erster. Kaiser Wilhelm II. wird schon bald sein Volk eine „Schweinebande“heißen. Aber aus seinen Untertanen werden Bürger werden. Die Revolution ist endlich da. Wohl selten danach wird so leidenschaftlich eine Zukunft, die Demokratie, erprobt werden wie damals in München. Als Bayern Freistaat wird und für eine kleine Weile auch die Dichter regieren, wird wild geträumt, dann böse erwacht, aber: dazwischen wird sich was getraut.
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Kurt Eisner ist einer dieser Dichter und Träumer. Ihn hat es 1910 nach München verschlagen. Publizist, Theaterkritiker, Sozialdemokrat, bald schon Kriegsgegner, deshalb im Konflikt mit seiner Partei und folgerichtig seit 1917 bei der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei). 1867 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Berlin geboren. Ja, der Mann, der den Freistaat Bayern ausrief und dessen erster Ministerpräsident wird, war ein Revolutionär, ein Linker und Preuße. Auch das noch. Mit üppigem Wildwuchs im Gesicht, in schönem Kontrast zu des Kaisers akkurat gezwirbeltem Schnauzer. Wegen Majestätsbeleidigung hat Eisner auch schon mal gesessen. Allerdings lange bevor sich die Ereignisse auch in München zuspitzen.
Genau vor hundert Jahren, Ende Januar, beginnt wieder eine Streikwelle, die das Ende mit herbeiführen wird. Und Eisner ist in München der „geistige Leiter und Organisator der Ausstandsbewegung“ gewesen, wie die Staatsanwaltschaft das danach formulierte. Der Streikführer, der die Arbeiter der Münchener Rüstungsbetriebe dazu bringt – wie in vielen Städten im Deutschen Reich auch – die Arbeit niederzulegen. Kriegsmüde, hungrig, verzehrt waren sie in auch in Bayern, und bereit, etwas zu riskieren.
Es ist noch eine Zeit bis zum 7. November, aber ein Anfang, der ist Ende Januar geschafft. Eisner muss allerdings zunächst wieder in den Bau. Erst ins Gerichtsgefängnis am Neudeck. Dann Stadelheim. Und was treibt ihn um? Auf der ersten Seite seines Gefängnistagebuchs schreibt er über diese alles mit in Gang setzenden Januartage: „Es waren die schönsten (...) meines Daseins, die Tage der Erhebung, des Kampfes. Ich sah wieder Menschenseelen, nicht nur Tiermägen. Und ich konnte an all dem Großen mithelfen. (...) Das deutsche Proletariat ist wieder aus hoffnungsloser Starre erwacht. Die Bewegung, einmal bewusst geworden, kann nicht mehr aufhören. Sie muss wachsen, sich steigern, endlich siegen.“Er ist überzeugt, hätte man ihm nur zwei Tage mehr gelassen, „mit geistigen Waffen vor den Massen die Wahrheit zu erkämpfen, das ganze Proletariat wäre gewonnen geworden“. Noch zehn Monate. Bis er wieder draußen ist, werden im Mathäser, im damals größten Bierausschank der Welt, noch viele Maß gehoben, um den Wahnsinn des Kriegsalltags aus den Köpfen zu spülen. Bis es endlich so weit ist.
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Am Eingang des Mathäser, also dort, wo früher das Hauptquartier der Revolutionäre war, zwischen Stachus und Hauptbahnhof, geht es heute nur noch auf der Leinwand ums Ganze. Früher wurde hier das Weißbier mit Zitronenlimo gestreckt, damit die Revolutionäre und Rotarmisten einen klaren Kopf behielten (Russnmaß genannt!). Heute blickt einen vom Eingang her Bruce Willis mit seiner typisch nachsichtigen Unerbittlichkeit an. „Death Wish“heißt der
Film. Das Mathäser heute ist ein „Multifunktionsgebäude“, das Mietern und Besuchern „Entertainment, Shopping und Office in Top-City-Lage“bieten soll. Dazu gehören 14 Kinosäle. Es ist Münchener Filmwoche. Ein paar Medienmenschen tragen tatsächlich noch Vollbart. An damals, an Revolution, an den historischen Ort erinnert zunächst: nichts. Fast nichts. Die KurtEisner-Stele ist ein bisschen eingequetscht zwischen dem FilmwochenEingangs-Dings, aber es gibt sie. Auf einer dicken Glasplatte sein Bild und auf weiß-blauem Grund folgende Zeilen: „Im ehemaligen MathäserBräu übernahm am Abend des 7. November 1918 der Arbeiter- und Soldatenrat unter der Leitung von Kurt Eisner die Regierungsgewalt in München und schuf damit die Voraussetzung für die wenige Stunden später erfolgte Proklamation Bayerns zur Republik.“Im Restaurant „35 millimeter“gegenüber ist Schnitzeltag. Da wird man satt. Und die Schulz-SPD diskutiert auch an diesem Tag in wirklich mitreißender Gründlichkeit, ob man nach so naja gelaufenen Sondierungsgesprächen tatsächlich in Koalitionsverhandlungen eintreten soll. Deutschland hat seit vier Monaten keine tatsächliche Regierung. Wenn es eine gibt, wird es wohl wieder eine GroKo. Die politische Zukunft ist 2018 eine realpolitische Notlösung. Früher – als natürlich nicht alles besser war – ist mehr Risiko, mehr „mit geistigen Waffen die Wahrheit erkämpfen“.
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Und deshalb beginnt die Zukunft für Eisner am 7. November 1918. Er ist wieder in Freiheit und als Spitzenkandidat der USPD für die in München anstehende Ersatzwahl zum Deutschen Reichstag aufgestellt. Auf der Theresienwiese ist eine Friedensdemo angesetzt. Zehntausende Soldaten, Gewerkschafter, Munitionsarbeiter und Matrosen sind gekommen. Wenige Tage zuvor, Ende Oktober, haben in Wilhelmshaven die Besatzungen der Hochseeflotte gemeutert. Ihre Bereitschaft zur Ehre des Kaisers im letzten Gefecht gegen Großbritannien ruhmreich zu ersaufen, war begrenzt. Der Aufstand im hohen Norden war das bis München reichende Fanal. Von dem, was folgte, würden sich die 22 Souveräne, die mit ihren größeren und kleineren Ländern das Deutsche Reich bildeten, nicht mehr erholen.
In Bayern regieren die Wittelsbacher. König Ludwig III. war am Morgen des alles entscheidenden Tages noch im Englischen Garten gesehen worden. Beim Spazierengehen. Eisner dagegen ist auf der Theresienwiese. Natürlich. Wie auch sein Gegenspieler von den Mehrheitssozialdemokraten Erhard Auer. Der oben bei der Bavaria. Eisner weiter unten. Er redet für die Revolution. Und man folgt ihm.
Ein Zug setzt sich in Bewegung. Es geht durch die Stadt, vorbei an den Kasernen. Es gibt keinen nennenswerten Widerstand. Selbst die Garnisonssoldaten, was erst mal nicht zu erwarten gewesen war, folgen Eisner und hissen nach und nach die rote Fahne. Tote wird es nicht geben. Noch. Es geht dann – natürlich – ins Mathäser. Ein Arbeiter, Soldaten- und Bauernrat wird gewählt. Die Revolution hat – zunächst – gesiegt. Freistaat! Die königliche Familie schleicht sich derweil aus dem Palais, verlässt mit einem Wagen die Stadt und erreicht, nachdem man unterwegs wirklich unschön in einem Kartoffelacker stecken geblieben war, Schloss Wildenwart beim Chiemsee. Unterdessen wirbeln Eisner und Co vom Mathäser-Bräu zum Landtag in der Prannerstraße. Die Revolution muss amtlich werden. Quasi. Aufbruch!
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In der geschäftsführend regierten Bundesrepublik macht hundert Jahre später nur das Orkantief Friederike wirklich Wirbel. Politisch aber reißt keiner Bäume aus. In Bayern, in München, zählt der Ministerpräsident seine letzten Tage im Amt, die CSU Flüchtlinge. Demnächst Söder.
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