Jäger und Sammler
Schreiber, Strauß, Gurlitt: 15 Jahre lang stand die Augsburger Staatsanwaltschaft im Rampenlicht. Einer prägte all diese Fälle. Jetzt geht Reinhard Nemetz in Ruhestand
Er wollte mal Zoodirektor werden, weil er Tiere liebt. Er ist dann Staatsanwalt geworden, aber nicht etwa, weil er Menschen hasst. Der Spitzenjurist Reinhard Nemetz ist ein Gerechtigkeitsfanatiker. Vor 40 Jahren hat er seinen Dienst angetreten. Jetzt geht er mit 67 Jahren in den Ruhestand.
In seinem Büro stand immer diese alte französische Glas-Tischuhr. Nemetz sieht gern die präzise Feinmechanik und das exakte Ergebnis. Er war in seinem Beruf selbst wie ein Uhrwerk. Viele haben seine juristische Feinmechanik als Unerbittlichkeit erlebt. Fast 15 Jahre lang leitete er die Augsburger Staatsanwaltschaft. Der kräftige Mann hat in dieser Zeit brisante und spektakuläre Verfahren nicht nur geführt, er hat sie angezogen wie ein Magnet. Und er brachte sie präzise nach der Strafprozessordnung zu Ende. So oder so.
Nemetz und seine Leute haben die CDU-Parteispendenaffäre aufgeklärt, Altkanzler Kohl als Zeugen vor Gericht zitiert, Politikersohn Max Strauß, Ex-Staatssekretär LudwigHolger Pfahls und den ehemaligen CSU-Fraktionschef Georg Schmid angeklagt. Sie haben abscheuliche Morde an Kindern aufgeklärt und die Täter ihrer Strafe zugeführt. Unter Nemetz’ Regie wurde der Bilderschatz des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt beschlagnahmt. Für diesen letzten großen Fall musste er viel Kritik einstecken.
Ein Fall hat ihn als Leitender Oberstaatsanwalt beschäftigt wie kein anderer: Den Rüstungslobbyisten Karlheinz Schreiber jagte Nemetz zehn Jahre lang. Als Kanada Schreiber 2009 auslieferte, wurde der Chefankläger gefragt, ob er Befriedigung empfinde. Er antwortete: „Ich werde nicht für Emotionen bezahlt.“Einer jener typischen Nemetz-Sätze, die sein Bild geprägt haben: ein knurriger, kompromissloser Strafverfolger. Aber da gibt es auch eine empfindsame Seite. Morde, bei denen Kinder die Opfer sind, gingen Reinhard Nemetz immer sehr nahe. Fälle wie Ursula Herrmann, die in einer Kiste erstickte, oder Vanessa, die in ihrem Bett erstochen wurde. Nemetz, der fast sein gesamtes Berufsleben bei der Augsburger Staatsanwaltschaft verbracht hat, ist ja auch Privatmann. Seit Jahrzehnten glücklich verheiratet, zwei erwachsene Töchter und zwei Enkel, für die er gerne die Eisenbahn im Wohnzimmer aufgebaut hat. Er besitzt einen Graupapagei und mehrere Schildkröten, die er dafür bestaunt, dass so passive Tiere Jahrmillionen unverändert überleben konnten. Zudem ist der Jäger auch Sammler: Mineralien und Uhren haben es ihm angetan.
Im Ruhestand will er „all die Bücher lesen, die ich immer nur gekauft habe“und wieder angeln gehen – nach Fischen, die nicht straffällig geworden sind. Die letzten dreieinhalb Jahre war Nemetz Präsident des Amtsgerichts München, des größten deutschen Gerichts. Dort wird er heute verabschiedet. In einer Woche fliegt er in den Urlaub – nach Ecuador und auf die Galapagos-Inseln. Riesenschildkröten beobachten.