Eine Einrichtung wie der Süchtigentreff war überfällig
Das Hilfsangebot am Oberhauser Bahnhof kann funktionieren. Den Versuch ist es allemal wert. Denn die harte Linie alleine hilft nicht, wie Zahlen in Bayern belegen
Nun kommt er also, der Süchtigentreff am Oberhauser Bahnhof. Nicht, wie ursprünglich mal geplant, in der Dinglerstraße, sondern in den Räumen einer ehemaligen Apotheke, erheblich näher am Helmut-Haller-Platz, wo sich die Szene aufhält. Ob die Einrichtung funktioniert, wie die Stadt es sich erhofft? Ob der Treff also von den Süchtigen angenommen wird, ihnen dort geholfen werden kann, sich die Situation am Bahnhof entspannt? Das ist seriös nicht zu prognostizieren. Man kann es vermuten, wenn man die Erfahrungen anderer Städte mit ähnlichen Angeboten betrachtet, mehr nicht.
Unabhängig davon, welche Bilanz man nach Ende des städtischen Testlaufs zieht, der zwei Jahre dauern könnte, sollte man ihn nicht wider Erwarten vorher abbrechen: Es ist einen Versuch wert. Ja: Es war längst an der Zeit, mit einem solchen Angebot zu versuchen, die Lage vor Ort zu verbessern und den Süchtigen zu helfen. Denn es geht um hilfsbedürftige Menschen. Eine Drogensucht sorgt oft dafür, dass Abhängige zu Wracks werden und in eine entwürdigende Lebenssituation geraten, die auch das Leben von Angehörigen, Freunden und Bekannten schwerer macht – und vielfach mit einem frühzeitigen Tod endet. Es gibt Überschriften in Tageszeitungen, die in regelmäßigen Abständen wiederkehren. Manchmal etwas abgeändert, manchmal nahezu wortgleich. Eine, die im jährlichen Rhythmus auftaucht, geht so: „Bayern hat die meisten Drogentoten“, wahlweise auch: „Die Zahl der Drogentoten im Freistaat steigt.“
Das ist kein Zufall. Ein Grund unter mehreren ist sicherlich die geografische Nähe zu Tschechien, wo viele besonders gefährliche synthetische Substanzen hergestellt werden. Ein weiterer ist die Haltung der bayerischen Politik, möglichst restriktiv gegen Rauschgiftkonsumenten vorzugehen und auch bei kleinen Mengen kein Pardon zu zeigen. Diese Politik, so viel lässt sich sagen, trägt zumindest nicht dazu bei, die Lage zu verbessern.
Die harte Linie kann die Situation für die Konsumenten gefährlicher machen, wenn sie zu Ersatzdrogen greifen und statt Heroin etwa das Schmerzmittel Fentanyl nehmen, in Bayern ein echtes Problem. Es wirkt stärker als Heroin, was schnell zu einer Überdosis führt. Es gibt weitere Beispiele. Wer kiffen will, aber fürchtet, deswegen in Konflikt mit der Justiz zu geraten, bestellt sich online womöglich eine als „legale Cannabis-Alternative“beworbene Kräutermischung, und landet bei einer hochgefährlichen synthetischen Kombination, deren Wirkung nicht vorherzusehen ist. In Augsburg lag die Zahl der Menschen, die infolge ihres Drogenkonsums starben, zuletzt auch aufgrund solcher Substanzen bei 41, so hoch wie seit fast 20 Jahren nicht mehr. Es gibt also Handlungsbedarf, ein Bedarf auch an Hilfsange- boten. In anderen Bundesländern, etwa in Nordrhein-Westfalen, hat man mit „Drogenkonsumräumen“, im Volksmund Fixerstuben, gute Erfahrungen gemacht und die Zahl der Drogentoten deutlich reduzieren können. In Bayern lehnt die Staatsregierung solche Einrichtungen rigoros ab, was dazu führt, dass es sie im Freistaat nirgends gibt.
Auch der geplante Süchtigentreff am Helmut-Haller-Platz soll einen anderen Ansatz verfolgen: Es geht nicht darum, Abhängigen einen kontrollierten Drogenkonsum zu ermöglichen, sondern um eine Betreuung der Alkohol- und Drogenszene durch Sozialarbeiter von SKM und Drogenhilfe. Die Süchtigen dürfen in den Räumen drei Bier trinken und rauchen, mehr nicht. Das Konzept kann funktionieren – und zudem ein Baustein dafür sein, dass auf der anderen Seite der Platz attraktiver wird, als er es derzeit ist. „Mit einer Betreuung kann es gar nicht schlechter sein als jetzt“, hat Stefan Lanzinger gesagt, der Chef der Polizei vor Ort. So kann man es sehen, auch wenn Augsburg von Verhältnissen, wie sie zum Beispiel am Nürnberger Hauptbahnhof herrschen, noch ein ganzes Stück weg ist.
Dass der Treff einigen Anwohnern Sorgen bereitet, ist nicht von der Hand zu weisen. Ob sich diese Sorgen als berechtigt erweisen oder nicht, ist eine der Fragen, die in den nächsten Monaten beantwortet werden müssen. Auch davon hängt ab, ob der Süchtigentreff als Erfolg gelten wird oder nicht. Ordnungsreferent Dirk Wurm hat anfangs viel Kritik abbekommen, oft nicht zu Unrecht. Für den Mut, das Projekt zu initiieren, gebührt ihm Respekt. Seine Amtsvorgänger hatten darauf verzichtet, das heiße Eisen anzufassen.