„Das war der pure Geiz. Bloß kein Geld ausgeben.“
Der Maler und Kunstsammler wäre heute 100 Jahre alt geworden. Sohn Yves hat ein Buch über seinen schwierigen Vater geschrieben. Und im Interview berichtet er jetzt über gern verdrängte Charakterzüge
Herr Buchheim, Ihr Vater scheint Ihnen immer noch im Nacken zu sitzen, oder?
Nein, ich habe mich schon lange von ihm befreit. Mein Buch ist auch keine Abrechnung. Ich versuche nur, meinen Vater ins richtige Licht zu rücken. Er war ein Wunderkind und hatte irrsinnig viele Begabungen. Er war ja nicht nur ein guter Schriftsteller, sondern auch ein guter Maler, er hatte ein untrügliches Auge, und damit konnte er eine der tollsten Sammlungen zum deutschen Expressionismus aufbauen.
Man schluckt trotzdem beim Lesen, wenn er Sie einen Bastard nennt.
Und nicht nur das. Ich war auch das Kuckucksei, das ihm ins Nest gelegt wurde. Er hat fürchterliche Sachen gesagt und war einfach auch bisschen durchgeknallt. Seine Mutter Charlotte Buchheim ist in der Psychiatrie gelandet. Und er selbst hat sich ein Leben lang auf diesem äußerst schmalen Grat zwischen höchster Intelligenz und totaler Verrücktheit bewegt.
Sie werfen Ihrem Vater vor, sein Leben aus Legenden aufgebaut zu haben.
Buchheim: Die Legenden sind nach dem Krieg entstanden – wie bei so vielen. Mein Vater war als Kriegsberichterstatter für Joseph Goebbels’ Propagandaministerium im Einsatz und nach 1945 plötzlich der große Nazi-Gegner. Er hat sich dann regelrecht in einen Hass gegen die alten Kameraden hineingesteigert. Doch wenn man sieht, wie er bei Karl Dönitz, dem „Führer der U-Boote“, strammsteht oder in schicker Uniform und mit Offiziersdolch auf der Promenade von La Baule (Bretagne) wandelt, dann vermittelt das ein völlig anderes Bild.
Sie lästern darüber, dass Buchheim seine einzige U-Boot-Fahrt auf über 600 Seiten aufgeblasen hat?
Das ist doch eine einmalige schriftstellerische Leistung! U-Boot-Kommandant Heinrich Lehmann-Willenbrock, der das Vorbild für den „Alten“im Buch „Das Boot“war, hatte ungezählte Fahrten hinter sich gebracht und sicher viel tollere Geschichten erlebt. Aber er konnte das nicht zu Papier bringen, das war der Unterschied.
Hat Ihr Vater mit Ihnen über die Vergangenheit gesprochen?
Leider nein. Auch in der Schule kamen der Erste und Zweite Weltkrieg nicht vor. Meine Lehrer waren alte Soldaten und Feldafing war damals noch ziemlich braun. In den schönen jüdischen Villen hatten sich überall die Nazis etabliert.
Sie sind mit fünf Jahren von Paris an den Starnberger See gekommen.
Das war schlimm. Ich sprach kein Wort Deutsch, nur „Guten Tag“hatte man mir im Zug beigebracht. Und Feldafing war ein bigottes Kaff. Wir haben draußen am Wald gewohnt, da waren weit und breit keine Spielkameraden. Zuvor, in Paris, wurde ich von der französischen Großmutter dauernd umsorgt, die Eltern waren ja unterwegs. Und dann saß ich allein in Feldafing. Wenn ich in der Schule ein Wort Französisch sagte, musste ich eine Stunde in der Ecke stehen.
Und dann das schreckliche Essen.
Jeden Tag Kartoffeln! Das war der pure Geiz, bis zum Lebensende – und das mit so viel Geld, das mein Vater auf die Seite gebracht hatte. Wenn er mit seiner Frau Diethild ins Gasthaus ging, haben sie sich ein Bier geteilt. Und was vom Schweinsbraten übrig blieb, wurde eingepackt fürs nächste Mittagessen. Für ihn war es das größte Abenteuer, auf den Sperrmüll zu gehen. Egal ob ein Bilderrahmen oder ein Brett, alles wurde nach Hause geschleppt. Bloß kein Geld ausgeben. Wenn Kisten ankamen, musste ich nach dem Öffnen die Nägel gerade klopfen, damit man sie wiederverwenden konnte. Wie Dagobert Duck hat Buchheim alles gehortet.
Auch das, was eigentlich an den Staat gehen sollte?
Mein Vater hat nie wie die anderen Steuern bezahlt. Und jetzt steckt dieses Geld in einer Stiftung, die über das Buchheim Museum wiederum vom bayerischen Staat bezuschusst wird. Alle wussten ja, dass Gelder da sind, trotzdem wurden immer neue Zuschüsse fürs Museum gefordert, um den Verlust auszugleichen. Ein Museum kann sich doch nicht alleine tragen, oder?
Immerhin hat Ihre Stiefmutter Diethild Selbstanzeige erstattet und 23 Millionen Euro nachversteuert.
Aber nicht aus eigenen Stücken. Nach dem Tod meines Vaters hat ihr ein Steuerberater geraten, das Geld aus der Schweiz zurückzuholen. Damit hat man dann lässig ein bisschen Steuer bezahlt.
Sie erwähnen auch Nachdrucke, die nicht so ganz korrekt sind.
Buchheim hatte ein paar echte Druckstöcke, etwa von Otto Mueller. Und ich sah ihn zweimal, wie er damit Drucke anfertigte. Das war also eine schöne Gelddruckmaschine. Die Blätter sind mit „OM“für Otto Müller signiert worden. Oder mit HC für Hors de Commerce (nicht für den Handel). Wer sie gekauft hat, weiß ich aber nicht.
Buchheim selbst wollte Kunst möglichst billig haben?
Buchheim: Seine Einkäufe in der DDR waren ein Coup. Er hatte gute Kontakte zu Tante Hilde und Vetter Kurt, die jeden Monat mit einem großen Care-Paket bei Laune gehalten wurden. Über die beiden kam er mehr als günstig an Bilder.
Wie lief das ab?
Über Annoncen. Die Menschen in der DDR waren himmelfroh, wenn sie an Devisen kamen. Für minimale Beträge gaben sie wertvolle Bilder.
Das hat niemanden interessiert?
Aber nein, die Bilder standen bei uns zu Hause und wurden nach und nach in die Sammlung integriert. Das Verrückte ist ja, dass bis heute niemand von der Buchheim Stiftung diese Zusammenhänge wirklich kennt.
Im Buchheim Museum wird inzwischen Provenienzforschung betrieben?
Man darf sich gerne bei mir im Buch informieren. Ich gebe einige Beispiele, und natürlich kenne ich viele weitere Quellen. Aber ich wurde nie gefragt, das ist doch seltsam, oder? Mein Vater hat später immer verhindert, dass die Sammlung auf Reisen geht. Vielleicht hätten Erben Ansprüche stellen können.
Heute wird Ihr Vater in Bernried gefeiert. Wurden Sie eingeladen?
Natürlich nicht. Ich könnte ja die Feier stören. Wer viel weiß und viel erzählen kann, ist nicht gerne gesehen.