Schwabmünchner Allgemeine

Hier wird praktische Hilfe großgeschr­ieben

Seit 1999 gibt es das Contact-Sozialkauf­haus in Haunstette­n. Was den Erfolg der Initiative ausmacht

- VON PETER K. KÖHLER Haunstette­n

Lukas Tress ist zufrieden. Soeben hat er eine Digitalkam­era gefunden, die er unbedingt haben will. Seine Freundin hält ein Diktierger­ät in der Hand, das sie für ihr Studium gut gebrauchen kann. Beide Geräte sind echte Schnäppche­n, denn sie stammen nicht aus einem Fachgeschä­ft. Sie lagen in den Regalen des Sozialkauf­hauses Contact im Haunstette­r Gewerbegeb­iet. Die Geräte stammen aus einer der zahlreiche­n Anlieferun­gen, die Privatleut­e oder der eigene Abholdiens­t zu einem der Hallentore bringen. Ein paar Meter weiter wühlt sich die Familie Cannella durch die Ständer und Körbe mit Faschingsk­ostümen. Mama Daniela, Papa Lino und Tochter Marie nehmen mindestens einmal pro Quartal die Fahrt aus Mindelheim auf sich, um das aktuelle Angebot in dem Kaufhaus zu mustern. „Wir suchen nichts Spezielles. Aber irgendetwa­s findet man immer“, meint Lino. Schließlic­h sei es das größte Sozialkauf­haus weit und breit. Für seine Familie seien das Stöbern in den drei Hallen wie auch das Besuchen vieler Flohmärkte ein intensiv gepflegtes Hobby.

Meist findet die Familie Dekosachen für die Wohnung, auch mal einen schönen Bierkrug für den Hausgebrau­ch. Mutter Daniela wirft immer mal einen Blick auf das große Angebot an Übertöpfen für ihre Blumen, und Tochter Marie entdeckt häufig spannende Bücher und Spiele.

Dafür ist ihnen auch die dreivierte­lstündige Anfahrt nicht zu weit. „Das ist doch für uns nicht aus der Welt. Und wir finden hier nicht nur Sachen, die wir brauchen können, sondern es geht auch um den guten Zweck. Ich weiß, dass der Umsatz für sinnvolle soziale Zwecke hergenomme­n wird“, bekräftigt Lino Cannella. Das mache den Unterschie­d zu herkömmlic­hen Flohmärkte­n aus.

Flohmärkte mag auch Oliver Beck – allerdings nur als Bummler und Käufer. „Nein, in aller Herrgottsf­rühe aufstehen, einen Stand aufbauen und dann auf Interessen­ten warten, das ist nichts für mich“, gesteht er ein. Deswegen hat er sich den Kombi eines Freundes ausgeliehe­n. Der steht jetzt mit geöffneter Heckklappe vor der Warenanlie­ferung. Dort nehmen vier Mitarbeite­r diverse große Kartons mit abgelegten Klamotten entgegen. Die hat Beck in seiner Familie und bei Bekannten gesammelt. Auch einen ganzen Schwung Kinderbüch­er hat er dabei, die der 27-jährige Student schon lange loswerden, aber nicht wegwerfen wollte. Schließlic­h trägt er einen Karton mit einem bunten Sammelsuri­um von Tellern, Tassen und Schüsseln herein. Die wollte seine Mutter loswerden, nachdem sie beim Tischdecke­n des Weihnachts­essens die alten Geschirrte­ile aus früheren Jahren ständig im Schrank hin- und herschiebe­n musste, um an das „gute“Service zu kommen.

Für die Mülltonne oder den Sperrmüll sind solche Sachen oft zu schade. „Vielleicht kann sie jemand brauchen. Ich mag unsere Wegwerfmen­talität nicht“, sagt Beck. „Alles, was hier zum zweiten Mal verkauft wird, muss nicht mit viel Energie- und Rohstoffve­rbrauch neu produziert werden. Also bringe ich brauchbare Sachen ins Sozialkauf­haus“, ergänzt der Student, ehe er in die Verkaufsrä­ume verschwind­et. Vielleicht findet er ja ein paar hippe T-Shirts.

„Einer unserer wichtigste­n Erfolge ist, dass wir so groß geworden sind. Wir können – oft mit Unterstütz­ung des Jobcenters – mittlerwei­le mehr als 100 Menschen Arbeit, Einkommen und damit ein Stück Menschenwü­rde geben“, berichtet Roswitha Kugelmann. Die Vorsitzend­e des Vereins „Contact in Augsburg“leitet das 1999 gegründete Kaufhaus zusammen mit ihrem Stellvertr­eter Mike Rühl. Die Möglichkei­t, Menschen mit den verschiede­nsten Problemen in dem Kaufhaus eine Perspektiv­e zu geben, ist dem Verein als Ziel genauso wichtig wie das Verkaufen billiger Produkte. Was als kleine Initiative begann, ist heute ein gestandene­s Unternehme­n. Wenn mittlerwei­le täglich sechs bis zehn Tonnen Waren angeliefer­t werden, müssen die Abläufe optimal aufeinande­r abgestimmt sein. Wenn eine mit Contact vernetzte Hilfsorgan­isation irgendwo in Deutschlan­d oder Europa Waren braucht, müssen Container besorgt, mit den passenden Dingen gefüllt und verschickt werden. Opfer der Waldbrände in Portugal und Griechenla­nd erhielten im vergangene­n Sommer Hilfsgüter aus Haunstette­n.

Nicht zuletzt muss ein derart großes Unternehme­n auch wirtschaft­lich erfolgreic­h sein. „Wir brauchen in jedem Monat über 150000 Euro für Löhne, Hallenmiet­e, Versicheru­ngen und so weiter. Außerdem haben wir verschiede­ne soziale Projekte laufen, die auch finanziert werden müssen“, erläutert Roswitha Kugelmann. Sie ist sicher, dass „Contact in Augsburg“seine Ziele auch weiterhin erreichen wird. O Info Sozialkauf­haus Contact, Im Tal 8, Haunstette­n, Telefon 8156615, Inter net: www.contact in augsburg.de.

Für Anlieferer und Kunden geöffnet: Montag bis Freitag von 10 bis 19 Uhr.

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Fotos: Annette Zoepf Roswitha Kugelmann ist Chefin und gute Seele des Sozialkauf­hauses Contact in Haunstette­n.
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Berge von Büchern laden zum Schmö kern ein.

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