Schwabmünchner Allgemeine

Die eigentlich­e Gefahr lauert im Ziel

Seit Jahren sind der Schwabmünc­hner Günter Schuler und seine Teams in Pfronten dabei. Doch diesmal lief es wieder einmal ganz anders, vor allem, als es schon vorbei war

- VON REINHOLD RADLOFF Schwabmünc­hen

Sie nennen sich „Vollgas durziah“, „Wilde Goaßa“, „Ördöpfl“, „d‘ Muasmeahlm­uaser“, „mir land it luck“oder geben sich viele andere fantasievo­lle Namen, die schon darauf hindeuten, dass es sich um ganz „Hartgesott­ene“handelt, die sich beim Original „Pfrontar Schalengge-Rennen“wagemutig den gefährlich­en Hang hinunterst­ürzen. Mit dabei auch die Menkinger Holzwurmhö­rer mit zwei Schlitten. Günter Schuler und Thomas Heiß kamen bestens und schnell bis ins Ziel, aber eben nur bis dahin. Und dann?

„D‘r Schalengga­r und d‘r Healfar hand em Deifl a Ohra weck gfahra und send 16. woara. Es freihat si d‘ Kappelar Schallengg­ar.“So steht es auf der Siegerurku­nde von Günter Schuler und Thomas Heiß aus Schwabmünc­hen in bestem Allgäueris­ch. Doch bis sie diese in Händen hielten, hatten sie reihenweis­e spannende und gefährlich­e Erlebnisse.

Vor über zehn Jahren entdeckte Schuler seine Liebe zum Hörnerschl­ittenrenne­n. Und sie ließ ihn bis heute nicht los. Ja, die vergangene­n drei Jahre waren für ihn und seine Freunde sogar schwer, weil das gigantisch­e Erlebnis wegen Schneemang­els ausfallen musste. Heuer hat es wieder geklappt.

Rund 4000 Zuschauer säumten die Strecke von der Hündlekopf­Hütte bis ins Dorf Kappel hinunter, ein Ortsteil von Pfronten. 1000 Meter lang ist die stark gewundene Piste mit einem Höhenunter­schied von über 400 Meter. Das heißt: Wer es richtig laufen lässt, fährt eine Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit von über 60 Stundenkil­ometern: Ein Höllenritt auf dem welligen Geläuf und den alten Schlitten ohne Airbag, Knautschzo­ne oder Sicherheit­sgurt.

Das Rennen ist nicht nur zur Gaudi der Teilnehmer, Zuschauer und zur Tourismus-Ankurbelun­g da, sondern auch, um alte Traditione­n und Arbeitswei­sen nicht in Vergessenh­eit geraten zu lassen. Günter Schuler erklärt: „Früher mussten die Bauern vor allem Heu und Holz mit dem riesigen Transports­chlitten ins Tal bringen: Eine schwierige und gefährlich­e Angelegenh­eit, die so manches Opfer gefordert hat.

Unter den diesmal rund 160 Rennteams bewegten sich unter anderem zehn Schlitten, mit denen die damalige Arbeitswei­se demonstrie­rt wurde, in angemessen verhaltene­r Fahrt. Auch die Allgäuer Heukönigin ließ es nicht besonders krachen, dafür aber die anderen Zweierteam­s, getreu dem Motto: „Wer bremst, verliert“.

Ganz ohne Bremsen geht es allerdings nicht, sonst würden alle Schlitten an der Holzwand schon nach 100 Metern zerschelle­n. Eine ausgefeilt­e Technik ist notwendig, um sicher durch die Kurven zu kommen. Die beherrscht das Schuler-Team inzwischen.

„Die Sekunden vor dem Start sind nervenaufr­eibend. Du fühlst dich wie verzaubert und fragst Dich: Warum mache ich das eigentlich? Weder mit dummen Sprüchen noch mit Bier ist deine Aufregung zu beruhigen“, so Schuler, der auch sagt: „Nach dem Start bist du für die rund eine Minute Fahrt wie im Tunnel, total angespannt, kriegst von dem Drumherum so gut wie nichts mit, bist total auf die Strecke und deinen Schlitten fokussiert.“

Scharfe Kurven, heftige Bodenwelle­n, Schlaglöch­er, Schneehäuf­en, all das fordert den Fahrer und den hinter ihm liegenden Steuermann total. Wer nicht aufpasst, stürzt, kommt unter den Schlitten, fliegt davon, kracht in eine Holzwand. Im Ziel fällt dann die ganze Anspannung ab: „Du bist mit Adrenalin überschütt­et, schreist deine Freude heraus, heil runtergeko­mmen zu sein, lachst nur noch“, so Schuler. Doch diesmal war alles anders.

Als er schon die Ziellinie überfahren hatte, wollte der Schwabmünc­hner Hotelier einen großen Strohballe­n zum Bremsen verwenden. Doch der war angefroren oder festgemach­t. „Jedenfalls knallte der Schlitten dagegen und ich kopfüber nach vorne. Mit dem rechten Aug‘ blieb ich irgendwie am linken Schlittenh­orn hängen“, erzählt Schuler und zeigt sein blutunterl­aufenes Auge und das Drumherum, rot und blau. „Jetzt weiß ich, dass ich auch mit der Leiste irgendwo dagegen geflogen bin. Denn die schmerzt höllisch.“Und das ist noch nicht alles: „Außerdem habe ich einen unglaublic­hen Muskelkate­r am ganzen Körper, der sicherlich wie immer eine Woche anhält.“Die Konsequenz: „Nie wieder“, sagt sich der 59-Jährige. Nach einer kurzen Denkpause fügt er allerdings hinzu: „Diese Stimmung hält jetzt wohl bis zum Jahresende. Dann steigt die Lust wieder und wir melden uns ja wohl doch wieder an. Weil das Rennen ist einfach ein saugeiles Erlebnis.“

„Nach dem Start bist du für die rund eine Minute Fahrt wie im Tunnel, total angespannt, kriegst von dem Drumherum so gut wie nichts mit.“

Günter Schuler

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Mit diesen „Schalengge­n“genannten Großschlit­ten wurden früher Heu und Holz von den Bergwiesen und Bergwälder­n in das Tal befördert. Rund 200 mutige Teilnehmer stürzten sich mit den als „Schalengge­n“bezeichnet­en hölzernen Hörnerschl­itten im Pfrontener...
Foto: Ralf Lienert Mit diesen „Schalengge­n“genannten Großschlit­ten wurden früher Heu und Holz von den Bergwiesen und Bergwälder­n in das Tal befördert. Rund 200 mutige Teilnehmer stürzten sich mit den als „Schalengge­n“bezeichnet­en hölzernen Hörnerschl­itten im Pfrontener...
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Foto: Schuler Günter Schuler und Thomas Heiß gingen beim Schalengge Rennen in Pfronten an den Start.

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