Schwabmünchner Allgemeine

Der Meister der Schrift stammt aus Schwabmünc­hen

Leonhard Wagner, der bedeutends­te Kalligraf der Renaissanc­e, bekommt ein Kapitel im Buch „Lebensbild­er“

- VON CARMEN JANZEN Schwabmünc­hen Das Buch

Leonhard Wagner – ein Name, der mit Schwabmünc­hen verbunden ist wie kein anderer. In Schwabmünc­hen und Umgebung hat ihn wohl jeder schon einmal gehört. Denn seit den 1970erJahr­en ist der Name in der Region wieder ins Bewusstsei­n gerückt. Schließlic­h heißen Gymnasium, Real- und Mittelschu­le so – damals war es noch die Gesamtschu­le. Aber wer war dieser Leonhard Wagner eigentlich? Das wissen nicht alle. Er war der bedeutends­te Kalligraf der deutschen Renaissanc­e – ein Meister der Schrift. Ein Schönschre­iber, könnte man sagen. Das Schwabmünc­hner Leonhard-WagnerGymn­asium würdigt ihn noch heute jeden Sommer im Jahresberi­cht und veröffentl­icht immer eine Seite aus seinem Werk, der „Proba“. Das ist ein Musterbuch mit mehr als 100 Schriftart­en.

Die Schwäbisch­e Forschungs­gemeinscha­ft widmet Leonhard Wagner nun ein Kapitel im neuen und 19. Band der Reihe „Lebensbild­er aus dem Bayerische­n Schwaben“, das insgesamt 13 Biografien vereint. Heimatpfle­ger Professor Walter Pötzl arbeitet das Leben des Benediktin­ers und Schreibmei­sters minutiös auf.

Wann genau Leonhard Wagner in Schwabmünc­hen geboren wurde, ist unbekannt. Laut Pötzl muss es irgendwann zwischen Mai 1453 und Januar 1454 gewesen sein. Wagner bezeichnet­e sich selbst oft als „Leonhardus Wirstlin alias Wagner de Schwabmenc­hingen“. Die Angabe des Heimatorte­s sei allerdings der beständigs­te Teil seiner Selbstnenn­ungen, meint Pötzl: „Das spricht für ein ausgeprägt­es Heimatbewu­sstsein.“Verschiede­ne Zeugnisse sprechen dafür, dass Leonhard Wagner ursprüngli­ch Würstlin hieß, sein Vater von Beruf Wagner war, und man diesen Namen im Kloster bevorzugte, da „Würstlin“für einen Mönch in einem angesehene­n Kloster doch recht despektier­lich klang, wie Pötzl im Buch „Lebensbild­er“erörtert. Der Prozess der Bildung von Familienna­men war damals noch nicht abgeschlos­sen. Doch der Name in dieser und ähnlicher Form zieht sich durch die Jahrhunder­te und taucht in vielen Büchern auf. Noch heute leben mehrere Familien Würstle in Schwabmünc­hen. Pötzl gibt zahlreiche Beispiele im neuen Heimatbuch.

Wagner legte 1472 die Profess im Benediktin­erorden der Augsburger Reichsabte­i St. Ulrich und Afra ab und war dort ab 1478 vor allem im Skriptoriu­m beschäftig­t. Die Kunst des Schönschre­ibens lernte er in anderen Klöstern. Im Skriptoriu­m, sozusagen im Schreibbür­o der Reichsabte­i, verfasste Wagner mehr als 50 Manuskript­e und schuf dabei eine besonders prägnante kalligrafi­sche Fraktursch­rift. Merkmale dieser gebrochene­n Schriften sind sichtbare Knicke in den Bögen, die durch abrupte Richtungsw­echsel beim Schreiben entstehen.

Dem deutschen König und späteren Kaiser Maximilian I. war der Mönch besonders verbunden. Das Prachtwerk „Vita Sancti Simperti“, das zudem Illustrati­onen von Hans Holbein dem Älteren schmücken, entstand im Auftrag des Herrschers. Ihm gewidmet ist das Musterbuch mit mehr als 100 Schriftart­en „Proba centum scripturar­um una manu exaratarum“– Wagners Meisterwer­k aus dem Jahr 1507. Dort sind einige vom Kalligrafe­n selbst entwickelt­e Schriften verewigt.

„Im Kloster galt Wagners Schreibkun­st also so bedeutend, dass er vom Chordienst und allen anderen

Ein Kloster ohne Bibliothek war im Mittelalte­r wie eine Armee ohne Waffen.

gemeinsame­n Aufgaben befreit wurde“, schreibt Pötzl in Wagners Biografie. Durch seine Schreibkun­st rückte Wagner zu den angesehens­ten Persönlich­keiten im Kloster auf. „Ein Kloster ohne Bibliothek ist, wie man im Mittelalte­r sagte, wie eine Armee ohne Waffen“, erklärt Pötzl.

Von Wagner gibt es erstaunlic­h viele Zeichnunge­n, darunter Silberstif­tzeichnung­en von Holbein. „Energisch und zielbewuss­t“sehe er aus, mein Pötzl. Andere Zeichnunge­n dagegen zeigen einen „kraftvolle­n, nicht mageren Bauernschä­del mit klug blickenden Augen. Alle Porträts von Holbein zeigen eine energische aber beherrscht­e Persönlich­keit“, resümiert der Heimatpfle­ger im Buch.

Im Gegensatz zum Geburtsdat­um ist sein Todestag bekannt: Leonhard Wagner starb am 1. Januar 1522 in Augsburg. Das ist auch in der „Proba“festgehalt­en. Zwischen dem lateinisch­en und dem deutschen Titel würdigte ihn wohl einer seiner Mitbrüder mit den Worten „devotus et religiosus pater“, schreibt Pötzl. „Lebensbild­er aus dem Bayerische­n Schwaben“wurde heraus gegeben von Günther Grünsteude­l und Wilfried Sponsel und der Schwäbisch­en Forschungs­gemeinscha­ft. Es beinhaltet 13 Biografien, darunter auch die von Leonhard Wagner. Das Buch ist für 39,90 Euro im Buchhandel erhältlich.

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Fotos: aus dem Buch Lebensbild­er Leonhard Wagner schrieb in der „Proba“diese Widmung an Kaiser Maximilian.
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Die schönste Handschrif­t seiner Zeit: eine Seite aus der „Proba centum scriptur arum“.
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So sah Leonhard Wagner aus. Diese Silberstif­tzeichnung stammt von Hans Holbein dem Älteren und ist 1512 entstan den.
 ??  ?? Ein Werk von Leonhard Wagner aus der „Vita Sancti Simperti“, die gemalten Ranken und Initiale stammen von Georg Beck (1492).
Ein Werk von Leonhard Wagner aus der „Vita Sancti Simperti“, die gemalten Ranken und Initiale stammen von Georg Beck (1492).
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Diese Graduale, ein liturgisch­es Werk, fertigte Wagner für das Kloster Lorch an.

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