Wellingers kleine Bettgeschichte
Weil alles passt, schwebt der Olympiasieger von der Normalschanze auch auf der großen Anlage zu Silber. Heute will das deutsche Quartett die Norweger ärgern
Pyeongchang Es ist die Lockerheit eines Olympiasiegers. Nachdem sich Andreas Wellinger eine Woche nach seinem Triumph auf der Kleinschanze im Alpensia-Skisprungzentrum auch auf der großen Anlage eine Medaille gesichert hatte, nämlich die silberfarbene hinter Titelverteidiger Kamil Stoch aus Polen, da ging alles irgendwie von selbst. Der sonst oft mühsame Gang vorbei an Kameras, Mikrofonen und lästigen Reportern wurde zur persönlichen Spaßveranstaltung. Wellinger fand sogar so großen Gefallen daran, über seine sportlichen Erfolge und seine Gefühlslage zu berichten, dass er die Journalisten aus der Heimat zu einem spontanen Sitzkreis einlud. Dass es halb ein Uhr morgens und das Kamerapodest im Pressezelt eiskalt war, hielt Wellinger nicht davon ab, nach ausführlicher Analyse seiner beiden Sprünge eine kleine Bettgeschichte zu erzählen. Ja, bestätigte er, die Athleten würden sich in Südkorea richtig wohlfühlen. „Angefangen von den Matratzen“, über die Stimmung im Deutschen Haus (siehe eigenen Bericht) bis hin zum extra eingerichteten Kraftraum fänden die deutschen Wintersportler perfekte Bedingungen vor, schwärmte Wellinger.
Aber was hat die Matratze im Athletendorf mit seiner Medaillenausbeute zu tun? Wellinger holte aus: Es gäbe da eine Firma in Deutschland, deren Name ihm nicht mehr einfalle, die hätte 30 bis 40 Komfort-Matratzen nach Korea geliefert – und Co-Trainer Jens Deimel sei extra deswegen früher angereist, um den fünf Skispringern im DSV-Team eine zu sichern. „Die sind deutlich besser als die vorherigen.“Die Zeitumstellung sei damit kein Problem gewesen: „Immer, wenn ich versucht habe zu schlafen, dann hat es funktioniert.“Schlechter Schlaf dagegen würde ihn ziemlich aus der Bahn werfen.
Wellinger erzählte von launigen Trainingseinheiten in der Tiefgarage, davon, dass er nach dem Gewinn von Gold recht schnell wieder den Fokus auf den nächsten Wettkampf hat richten können und er sich seine eigene Wohlfühloase geschaffen habe: „Ich bin wirklich froh, wenn zwischendurch mal kein Fernseher kein Handy vor der Nase ist.“Den Gedanken einfach mal freien Lauf lassen, eine Runde schlafen oder ein Buch lesen, das sei sein Erfolgsrezept dieser Winterspiele. Den Titel des Buches brachte Wellinger nicht mehr zusammen: „Irgend so Krimigeschichten von einem dänischen Autor. Egal, ich bin gerade beim zweiten Teil.“
An Kapitel drei in seiner ganz persönlichen Erfolgsgeschichte will Wellinger heute, Montag, weiterschreiben. Dann steht ab 13.30 Uhr deutscher Zeit das Teamspringen auf der Großschanze an. Jeder seiner Teamkollegen habe noch ein bisschen Luft nach oben. „Wenn alle Vier ihr Bestes zeigen, dann müssen sich die anderen schon lang machen“, sagte Wellinger und richtete damit vor allem eine Kampfansage Richtung Norwegen. Die skandinavische Flugstaffel ist allein deshalb Goldaspirant, weil hinter Bronzemedaillen-Gewinner Robert Jound hansson mit Daniel Andre Tande (4.), Johann Andre Forfang (5.) und Andreas Stjernen alle vier Schützlinge von Trainer Alexander Stöckl unter den Top acht landeten. Der Österreicher wälzt die Favoritenrolle dennoch ab: „Es gibt drei Nationen auf Augenhöhe: Deutschland, Polen und wir.“Wellinger sei sensationell, er könne seine Leistung im Wettkampf abrufen – ganz im Gegensatz zu seinen Springern: „Das haben unsere Athleten nicht ganz drauf.“
Forfang oder Tande hätten dasselbe Potenzial, aber zwei konstant gute Sprünge gelängen ihnen nicht. Stöckls deutscher Kollege Werner Schuster weiß ebenfalls um die Wichtigkeit seiner Nummer eins: „Ich freue mich, dass Andi so klar geblieben ist.“Er spiele auch beim Teamspringen die wichtigste Rolle. „Gold und Silber sind schon gut. Aber wenn wir die Spannung hochhalten, können wir auch mit der Mannschaft noch was holen“, so der gebürtige Kleinwalsertaler, der auch mit dem siebten Rang des Oberstdorfers Karl Geiger „hochzufrieden“war, mit der Platzierung von Richard Freitag als Neuntem aber schon ein klein wenig haderte. Während der Wahl-Allgäuer nach einem guten Probedurchgang zugab, „wohl ein bisschen zu viel geträumt zu haben“, meinte Schuster: „Er hätte sich hier den Lohn für die Saison holen können, aber der erste Sprung hat gar nicht geklappt.“
Der dritte österreichische Erfolgstrainer, Stefan Horngacher, steht mit dem Team Polens ebenfalls hoch im Kurs, weil sich Ausnahmespringer Kamil Stoch auch in Korea als Vorzeigepilot in puncto pünktlichem Abflug, Flughöhe und Landung entpuppte und seinen Olympiasieg von Sotschi souverän wiederholte und seinen Erfolgshunger auch im dritten und letzten Wettbewerb heute stillen möchte.
Das Betthupferl nach dem Einzelspringen lieferte aber Wellinger: Von einem Reporter aus den USA gefragt, ob er nun angesichts des Teamspringens nur mit angezogener Handbremse feiern könne, antwortete er erst mehrere Sätze im feinsten Englisch, um dann bayerisch zu enden: „Oi Weißbier geht scho.“Erst dann sei sein Wohlbefinden wirklich komplett.