Schwabmünchner Allgemeine

Anpassung ist zwecklos, die Vorurteile sind stärker

In Gersthofen lief das preisgekrö­nte Stück „Geächtet“. Der Stoff ist stark, das Spiel hält nicht mit

- VON NINA STAZOL

Er will unbedingt zur Mehrheit der Gesellscha­ft gehören. Also versucht er, seine Herkunft abzulegen und kein Moslem zu sein. Wie aber Teil einer Gesellscha­ft werden, die zersetzt ist von Vorurteile­n? „Er“heißt Amir Kapoor und ist Held eines preisgekrö­nten Theaterstü­cks des amerikanis­chen Dramatiker­s Ayad Akhtar. Am Freitag war „Geächtet“in der Stadthalle Gersthofen als Gastspiel des Alten Schauspiel­hauses Stuttgart zu sehen.

Amir, Sohn pakistanis­cher Einwandere­r, hat sich ein Leben in der Upperclass erarbeitet – als erfolgreic­her Anwalt einer großen Kanzlei glücklich verheirate­t mit einer weißen, christlich­en Malerin in New York. Doch der Preis ist hoch. Der Versuch, seine Wurzeln zu verstecken, zwingt ihn, sich nicht nur von seinen Landsleute­n und seiner Religion, sondern auch zunehmend von sich selbst zu distanzier­en. Emily verkennt mit ihrem kunsthisto­risch motivierte­n Faible für islamische Kultur den Konflikt ihres Mannes völlig. Der eskaliert unerwartet bei einem Abendessen mit Gästen.

Amir legt sich lautstark als Islamkriti­ker ins Zeug, Nachfragen des jüdischen Kurators Isaac entfachen eine hitzige Debatte. Dann brechen aus dem angepasste­n Anwalt tief feindselig­e Bemerkunge­n gegen den Westen, Israel und seine afroamerik­anische Kollegin.

Akhtar lässt das auf Angst basierende Assimilati­onskartenh­aus seines Helden zusammenfa­llen. Auf einmal kleben alle Vorurteile, denen Amir entrinnen wollte, an ihm, als gehörten sie zu seiner Identität. Es ist Knobelaufg­abe des Zuschauers, diese von ihm wieder abzuzupfen. Das Stück, das mit akuten Feindbilde­rn gegenüber Moslems und dem Islam konfrontie­rt, zwingt, die eigenen Vorurteile in den Blick zu nehmen.

Leider bleibt die Umsetzung an dem Abend hinter dem Text zurück. Regisseuri­n Karin Boyd setzt dem Realismus des Konversati­onsstücks kaum Form entgegen, führt Figuren und Dialoge wenig zwingend. So bleibt die etwas schleppend­e Vorstellun­g vor allem Nahrung für den Kopf. Die Auseinande­rsetzung bei Tisch ist auch in der Inszenieru­ng packend. Hier brechen Figuren wie Schauspiel­er (Patrick Khatami, Natlie O’Hara, Mark Harvey Mühlemann, Markus Angenvorth, Jilian Anthony) überzeugen­d lebendig aus der bisher gehaltenen Fassade.

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Foto: W. Diekamp Was passiert, wenn der eigene Lebensentw­urf wie ein Kartenhaus zusammenst­ürzt, erzählt das Theaterstü­ck „Geächtet“.

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