Schwabmünchner Allgemeine

Endlich nicht mehr schweigen

Die Alevitisch­e Gemeinde Augsburg feiert heute ihr 25-Jähriges. Die Freude ist groß, doch ein aktuelles politische­s Ereignis überschatt­et sie

- Kocakahya: Kocakahya:

Herr Kocakahya, herzlichen Glückwunsc­h zum Jubiläum des Cem-Hauses. Sie wuchsen bis 1980 in der Türkei auf. Wie lebte es sich dort als Alevit?

Ali Kocakahya: Alevit zu sein, bedeutete, gefährlich zu leben, denn die Religion wurde ja trotz des Verbots in den Dörfern weiter geheim praktizier­t. Jeden Winter besuchte der Dede (der Geistliche, d. Red.) für eine oder zwei Wochen unser Dorf. Er versammelt­e alle zum Cem, also zur Gebetszere­monie, im Haus der größten Familie, schlichtet­e Streitigke­iten und leitete die Zeremonien. Ein paar Männer mussten immer draußen Wache schieben, um uns vor der Polizei warnen zu können. Ich war zwölf, als mein Vater mich kurz vor dem Militärput­sch 1980 hierher holte. Da wurde es zu gefährlich.

Wie war es in Augsburg?

Kocakahya: Als ich herkam, hatten sich die sunnitisch­en Vereine und politische­n Parteien aus der Türkei ja schon organisier­t. Innerhalb dieser Community war es für uns wie in der Türkei. Wir haben uns weiter verleugnet. Manche sind sogar freitags mit in die Moscheen gegangen, damit es kein Gerede gab. Die Pogrome in der Türkei hatten Rückwirkun­gen auch in Augsburg. Der Überfall auf die alevitisch­e Hochzeit im Augsburger Schwabenha­us, bei dem türkische Rechtsextr­emisten einen Gast erschossen, gehörte dazu.

Ist das Zusammenle­ben zwischen Aleviten und Sunniten heute entspannte­r?

Kocakahya: Als Verein haben wir jetzt keine Probleme, es gibt Kooperatio­nen mit der Stadt und manchen Moscheever­einen. Aber die türkische Kriegspoli­tik holt uns jetzt ein. Für unsere Jubiläumsf­eier am Freitag hatten wir den Generalkon­sul eingeladen. Ich werde ihn jetzt wieder ausladen, weil wir diesen türkischen Einmarsch in Syrien auf das schärfste verurteile­n.

Wie würden Sie Ihre Religion beschreibe­n?

Wir sehen den Menschen als das Zentrum, Gott ist in jedem von uns und natürlich auch in allen anderen Geschöpfen. Wir haben keine Pflichtgeb­ete, jeder kann beten und danken, wo immer und zu wem immer er will. Der Neffe Muhammads, Ali, als erster Imam und die elf nachfolgen­den Imame sind uns heilig, das verbindet uns mit den Schiiten. Zentral wichtig ist bei uns, dass Frauen und Männer gleichbere­chtigt nebeneinan­der in der Versammlun­g beten, den Semah (der Kranichtan­z, der zur Cem-Zeremonie gehört, d. Redaktion) tanzen und unsere traditione­llen Lieder singen.

Welche Rolle spielt der Koran für die Aleviten?

Teile der älteren Generation wurden in der Türkei noch sunnitisch beeinfluss­t. Sie forderten dementspre­chend Arabischku­rse für die Kinder, damit sie den Koran auswendig lernen können. Doch als wir 1993 den Verein gründeten, wollten wir ja endlich unsere eigene Religion frei leben und im Alevitentu­m spielt Arabisch keine Rolle. Der Koran ist wie Bibel und Thora ein heiliges Glaubensbu­ch, steht aber in keiner Weise über den anderen.

Dann sind Sie keine Muslime? Kocakahya: Wir sind als Aleviten Teil des Islam. Sozusagen eine eigene Konfession im Islam neben den Muslimen? Kocakahya: So könnte man es sagen, ja. Interview: Stefanie Schoene

 ?? Foto: Bernd Hohlen ?? Ali Kocakahya leitet die Alevitisch­e Gemeinde Augsburg. Heute feiert sie ihr 25 jäh riges Bestehen.
Foto: Bernd Hohlen Ali Kocakahya leitet die Alevitisch­e Gemeinde Augsburg. Heute feiert sie ihr 25 jäh riges Bestehen.

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