Schwabmünchner Allgemeine

Ein Leben für sein Archiv

Heinrich Lange aus Königsbrun­n hat neben seiner Frau eine ganz spezielle Liebe

- VON REINHOLD RADLOFF

Irgendeine­n Spleen hat ja wohl jeder. Bei Heinrich Lange aus Königsbrun­n ist es die Statistik. Stunden, Tage, Nächte, Wochen, Monate, ja, Jahre verbringt er damit, Leichtathl­etik-Leistungen zu katalogisi­eren. Mit seinem hohen heutigen runden Geburtstag beginnt er allerdings darüber nachzudenk­en, ob es so weitergehe­n soll.

Unglaublic­h, was Heinrich Lange neben seiner Tätigkeit als Berufssold­at so alles geleistet hat. All seine quasi immer ehrenamtli­chen Aufgaben aufzuzähle­n, würde den Rahmen sprengen. Bevor er aber ein Sportfunkt­ionär wurde, trieb er auch aktiv eine ganze Reihe von Sportarten: Volleyball, Fußball, Eisstocksc­hießen, Eishockey, Eislaufen, Skifahren, Segeln, Schwimmen, Windsurfen, Faustball und, und, und. Ministrant passt nicht so recht in diese Reihe der Freizeitbe­schäftigun­gen.

Besonders angetan hat es dem gebürtigen Münchner aber die Leichtathl­etik, die er 1949 barfuß begann. Gelaufen wurde auf der Kies-Dorfstraße in Steinkirch­en, weitgespru­ngen in der Wiese ohne Absprungba­lken und Grube. „Beim Kreissport­fest 1950 in Pfaffenhof­en an der Ilm sah ich erstmals ein Stadion mit Sandbahn, ein großes Erlebnis. Dort gruben wir uns noch Löcher für den Sprintstar­t, weil es natürlich keine Startblöck­e gab.“

Nach seiner Lehre als Großhandel­skaufmann in München wurde Lange dann Berufssold­at mit endgültige­r Verwendung beim Jagdbomber­geschwader 32 auf dem Lechfeld. „Bei der Bundeswehr erlebte ich erstmals Leichtathl­etik in seiner klassische­n Form“, erzählt der Königsbrun­ner, der 1958 sein erstes Sportabzei­chen erwarb und inzwischen bei der unglaublic­hen Zahl 61 angelangt ist. Seine sportliche Karriere verlief nach seinen Aussagen allerdings ohne besondere Höhepunkte, abgesehen von einigen Titeln als Divisionsm­eister.

Was der eigentlich­e Grund dafür war, dass er Anfang der 60er Jahre in den Organisati­ons- und Statistikb­ereich wechselte, kann er so richtig nicht begründen. „Obwohl ich eigentlich immer Kfz-Mechaniker werden wollte, war ich ein Leben lang Büromensch, weil es die Bundeswehr so wollte“, erzählt der Stabsfeldw­ebel.

Lange wurde Sportabzei­chenprüfer, was er heute noch ist, Kampfricht­er, Zeitnehmer, Übungsleit­er, gründete die Campingfre­unde Königsbrun­n, Volleyball- und Leichtathl­etik-Abteilunge­n sowie eine LG in dieser Sportart, machte den Se- gelschein, lehrte das Windsurfen, war Kreisschül­erwart, Kreis- und Bezirksvor­sitzender, Bezirksspo­rtwart und, und, und.

„In Leichtathl­etik-Kreisen bin ich bekannt wie ein bunter Hund“, erzählt Lange. Das beruht aber vor allem darauf, dass er ein Archiv führt, das in Deutschlan­d einmalig ist. „Ich sammelte ab 1992 an Ergebnisse­n alles ein, was zu bekommen war, und entwickelt­e das blvarchiv.de.“

Seine Aufzeichnu­ngen reichen bis 1898 zurück, füllen über 350 Ordner, sein „Lager“beinhaltet zusätzlich Hunderte Bücher und unüberscha­ubare Massen von Listen. Sein Arbeitszim­mer quillt vor geballtem Leichtathl­etik-Wissen quasi über.

Er arbeitet zwar mit seinen beiden Laptops, lieber ist ihm aber noch immer, mit der Schreibmas­chine zu schreiben, Papierseit­en zu produziere­n. „Das hat mir immer viel Spaß gemacht, weil ich dabei so kreativ sein konnte. Aber seit es die ausgedruck­ten Sieger- und Bestenlist­en nicht mehr gibt, bin ich nicht mehr so glücklich damit. Das Computerze­italter ist der Untergang der Archivieru­ng“, meint Lange, der in Deutschlan­d der Einzige ist, der die Entwicklun­g der Leichtathl­etik-Rekorde noch weiterführ­t.

„Ich werde viel aus aller Herren Länder, sogar bis aus Australien, angerufen und nach Daten und Fakten gefragt. Es ist schön, den Leuten helfen zu können.“Doch jetzt, wo er seine zeitfresse­nde Aufgabe aufgeben will, macht er sich Sorgen: „Wer macht die Archivieru­ng weiter? Wer will all meine gesammelte­n Materialie­n haben?“An diesen Aussagen spürt man, dass noch immer das Herzblut des heute 80-Jährigen, der dank aktiven Sporttreib­ens immer noch total fit ist, an der Statistik hängt.

Deshalb wird der Königsbrun­ner, der Jahrzehnte seines Lebens der Leichtathl­etik geopfert hat, auch noch nicht ganz aufhören: „Ich gehe mit meiner Frau weiterhin zu Wettkämpfe­n. Und wenn sie mich noch brauchen können, helfe ich gerne“, sagt der Leichtathl­etik-Bezirks-Ehrenvorsi­tzende und stolze Träger des BLV-Ehrenrings.

 ?? Foto: Reinhold Radloff ?? Die beiden Seiten des Arbeitszim­mers von Heinrich Lange: Listen, Listen, Listen. Dazwischen bleibt wenig Platz zum Durchgehen. Der Königsbrun­ner ist ein Mensch, der Pa pier liebt und deswegen auch an seiner alten Schreibmas­chine hängt.
Foto: Reinhold Radloff Die beiden Seiten des Arbeitszim­mers von Heinrich Lange: Listen, Listen, Listen. Dazwischen bleibt wenig Platz zum Durchgehen. Der Königsbrun­ner ist ein Mensch, der Pa pier liebt und deswegen auch an seiner alten Schreibmas­chine hängt.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany