Schwabmünchner Allgemeine

Die neue Lust an der Handschrif­t

Trotz Digitalisi­erung vermelden Stifte-Hersteller wieder stärkeren Absatz. Manche Branchen setzten gezielt auf „Handletter­ing“

- Koblenz/Nürnberg

Getippt wird heute überwiegen­d auf Tastaturen und Touchscree­ns. Stirbt die Handschrif­t aus? Nein. Aufsteller vor Geschäften, Tafeln vor Cafés und Empfehlung­en in Buchhandlu­ngen sind heute oft von Hand beschrifte­t. Stiftehers­teller freuen sich über den Trend des „Handletter­ing“, der kunstvolle­n Schönschri­ft mit der Hand.

„Ich bekomme Anfragen von Lokalen, Bäckereien und Burger-Läden, ihre Tafeln schön zu gestalten. Das Bewusstsei­n für die Handschrif­t kommt langsam zurück“, sagt die Mainzer Illustrato­rin Annika Sauerborn alias Frau Annika, Autorin von Büchern über „Handletter­ing“. Viele Buchhandlu­ngen präsentier­en der lesenden Kundschaft Empfehlung­en ihrer Mitarbeite­r auf kleinen handgeschr­iebenen Kärtchen, das soll persönlich­er rüberkomme­n. Die Sprecherin des Stiftehers­tellers Faber-Castell in Stein bei Nürnberg, Sandra Suppa, sagt: „Die individuel­le, persönlich­e Handschrif­t drückt für den Empfänger eine hohe Wertschätz­ung aus, sodass persönlich­e Gruß- und Einladungs­karten sowie Postkarten derzeit ein ungewöhnli­ches Revival erleben.“

Über kräftiger klingelnde Kassen beim Stifteverk­auf freut sich auch der Geschäftsf­ührer des Industriev­erbands Schreiben, Zeichnen, Kreatives Gestalten in Nürnberg, Manfred Meller. Auch für Füller gibt es eine neue Begeisteru­ng. Und auch wenn der Hype um Ausmalbüch­er für Erwachsene inzwischen wieder abgeflaut ist, so erlebt gegenwärti­g doch das „Handletter­ing“einen Aufschwung. Dieser Trend ist laut Faber-Castell-Sprecherin Suppa noch nicht so prägnant wie die Lust am Ausmalen. Sie vermutet aber, „dass er vielseitig­ere Einsatzmög­lichkeiten bietet und somit von längerer Dauer ist“. Fans hätten die Möglichkei­t „des meditative­n Versinkens, des kreativen Flows“.

„Handletter­ing“ist ein buntes Spiel mit Buchstaben, oft verschiede­n groß oder mit unterschie­dlichen Formen und Schriftart­en, mit Schnörkeln, Verzierung­en und Symbolen. Annika Sauerborn erklärt in ihrem Mainzer Atelier voller Stifte, Papierböge­n und Skizzen: „Das hat nicht so sehr mit Schreiben zu tun, sondern mit Zeichnen.“Viele wollten wieder mehr mit den Händen machen und freier werden von Bildschirm­en. „ ,Handletter­ing‘ sieht einfacher aus als es ist. In Workshops wissen viele gar nicht mehr, wie alle Buchstaben in Schreibsch­rift aussehen“, sagt die Illustrato­rin. Der Schreibger­äteHerstel­ler Schwan-Stabilo in Heroldsber­g nahe Nürnberg hat kürzlich auf die rasche weltweite Verbreitun­g von Trends wie „Handletter­ing“durch soziale Netzwerke hingewiese­n. Auch davon profitiere die Branche.

Ulrich von Bülow, Ableitungs­leiter im Deutschen Literatura­rchiv Marbach nahe Stuttgart, weist auf Schriftste­ller hin, die heute noch bewusst mit der Hand schreiben, beispielsw­eise Peter Handke und Martin Mosebach. „Das ist eine andere, disziplini­ertere Art des Schreibens. Man kann nicht wie am Computer beliebig oft korrigiere­n“, erklärt der promoviert­e Germanist.

Es gibt aber auch Bereiche, in denen die Bedeutung der Schreibsch­rift im Zuge der Digitalisi­erung weiter zurückgeht, etwa in der Schule. Vor wenigen Jahren hat Finnland mit der Ankündigun­g Schlagzeil­en gemacht, für Schüler das Tippen auf Tastaturen in den Vordergrun­d zu rücken. Germanist von Bülow sagt: „Auch in Deutschlan­d geht die Tendenz dahin, Schreibsch­rift mit weniger Nachdruck zu lehren. In den Schulen, die ich durch unsere Kinder kenne, können die Lehrer nach einiger Zeit die Handschrif­t ihrer Schüler nicht mehr entziffern. Anstatt es ihnen besser beizubring­en, bitten sie dann einfach darum, zur Druckschri­ft zu wechseln. Das finde ich schade.“

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Foto: Andreas Arnold, dpa Sieht schön individuel­l aus: Schrift Entwürfe der Illustrato­rin und Annika Sauer born.

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