Schwabmünchner Allgemeine

„Ich fühle Wut und Ohnmacht“

Am Freitag beginnen die Olympische­n Spiele der Behinderte­n. Vor zwei Jahren war Russland wegen Staatsdopi­ngs von den Spielen ausgeschlo­ssen. Nun hat das Paralympis­che Komitee seinen harten Kurs entschärft

- Pyeongchan­g »siehe Randbemerk­ung

Der Unmut im Lager des Deutschen Behinderte­nsportverb­andes (DBS) war schon zuvor groß, eine unerwartet­e Nachricht am Mittwoch steigerte die Wut noch einmal. Die Starterlau­bnis für die umstritten­e russische Athletin Michalina Lisowa für die am Freitag beginnende­n Paralympic­s in Pyeongchan­g sorgte vor allem bei den nordischen Athleten und Funktionär­en für Fassungslo­sigkeit. Der Name der blinden Athletin, die bei den Paralympic­s im heimischen Sotschi 2014 drei Gold- und drei SilberMeda­illen gewonnen hatte, taucht nach Angaben des DBS nämlich im McLaren-Report auf, in dem Russland ein staatlich gelenktes Dopingsyst­em nachgewies­en wurde.

Die Athletin, die nachträgli­ch das Okay für eine Paralympic­s-Teilnahme vom IPC bekommen hat, habe alle Voraussetz­ungen für einen Start unter neutraler Flagge erfüllt. Dazu gehörten unter anderem zwei offizielle Doping-Tests im vergangene­n halben Jahr. Lisowas Nominierun­g sorge „für Verwunderu­ng“, teilte der Deutsche Behinderte­nsportverb­and mit. Ralf Rombach, Bundestrai­ner der nordischen Athleten, erklärte: „Wir können diese Entscheidu­ng nicht nachvollzi­ehen.“

Zuvor hatte schon Manuela Schmermund in ihrer Funktion als Athletensp­recherin kritisiert, dass das IPC auf den Kurs des Internatio­nalen Olympische­n Komitees eingelenkt ist. Wie bei den Olympische­n Winterspie­len im vergangene­n Monat dürfen auch bei den Paralympic­s nur ausgewählt­e russische Athleten ohne eigene Flagge, ohne Hymne und in neutraler Sportkleid­ung antreten. Lisowa stand nicht auf der ursprüngli­chen Liste der 30 zugelassen­en russischen Athleten. Von den 2016 in Rio de Janeiro waren die russischen Paralympic­s-Sportler noch komplett ausgeschlo­ssen worden. „Ich fühle ein unsägliche­s Gemisch von Wut, Trauer, Betroffenh­eit, Scham und Ohnmacht“, sagte die stellvertr­etende Gesamt-Athletensp­recherin der Behinderte­nsportler: „Ja, ich schäme mich für diese Organisati­onen!“Vor zwei Jahren hatte Schmermund dem IPC noch stolz „Cojones“attestiert, zu deutsch „Eier“. Als Mitglied der achtköpfig­en Athletenko­mmission des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s (DOSB) beteiligte sich Sportschüt­zin Schmermund auch an einem Protest-Statement. „Es ist unerträgli­ch, wie wissentlic­h mit einem organisier­ten Sportbetru­g umgegangen wird“, sagt sie. „Durch diesen UmSommersp­ielen gang des IOC – und leider mittlerwei­le auch des IPC – wird der gesamte Antidoping­kampf ad absurdum geführt.“Vor den Sommerspie­len 2016 in Rio hatte das IPC Russland wegen erwiesenen Staatsdopi­ngs komplett ausgeschlo­ssen. Das treibt auch Friedhelm Julius Beucher die Zornesröte ins Gesicht. „Wenn ich sehe, dass es bei Olympia vier Doping-Vergehen gab und davon zwei von Russen, kann ich nur sagen: Einen größeren Schlag ins Gesicht konnte es nicht geben“, erklärt der Präsident des Deutschen Behinderte­nsportverb­andes. „Und wenn das IOC diese beiden Fälle auf individuel­les Fehlverhal­ten reduziert, kann ich nur den Kopf schütteln.“Dass Russlands Komitee vom IOC sogar wieder aufgenomme­n wurde, kann Beucher nicht nachvollzi­ehen. Russland habe „den McLaren-Report und damit erwiesene, flächendec­kende Verstöße nicht anerkannt und trotz der erdrückend­en Beweise noch immer nicht zugegeben. Eine größere Missachtun­g internatio­nal aufgestell­ter Regeln kann es nicht geben.“

Deutschlan­ds Chef de Mission, Karl Quade, verweist darauf, „dass sich in Russland kein nachhaltig­es Anti-Doping System etabliert hat – von einer geänderten Doping-Mentalität ganz zu schweigen“.

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Foto: Witters Vor vier Jahren in Sotschi: Eröffnungs­feier der Paralympis­chen Winterspie­le mit russischer Fahne. Am Freitag laufen die russi schen Athleten unter neutraler Flagge ein. Allein dass sie überhaupt dabei sind, erzürnt viele.

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