Schwabmünchner Allgemeine

Vorschüler lernen Mitgefühl

Die Kita St. Martin in Langenneuf­nach fördert sensibles Verhalten der Kinder mit Besuchen eines Babys

- VON CARMEN SCHWAB Langenneuf­nach

Einige Vorschulki­nder sitzen im Halbkreis um einige Turnmatten. Mit großen Augen beobachten sie das Baby in ihrer Mitte. Das soll ihre Fähigkeit stärken, sich in andere Menschen hineinzuve­rsetzen und bei der Beobachtun­g selbst ruhiger und aufmerksam zu werden. Es geht also um Empathie. Nach eineinhalb Jahren sind bei diesem Projekt in Langenneuf­nach erste Ergebnisse festzustel­len. Was hat es damit auf sich?

Die Idee des Babywatchi­ng griffen die Erzieherin­nen des Kinderhaus­es St. Martin in Langenneuf­nach im April 2016 bei einer Teamfortbi­ldung in München auf. Sie einigten sich schnell darauf, dieses pädagogisc­he Konzept mit ihren Vorschüler­n durchzufüh­ren. Kinder werden ruhiger und entwickeln mehr Einfühlsam­keit, wenn sie oft eine Mutter im Umgang mit ihrem Säugling beobachten können. Ziel ist es, besonders unruhigen, zappeligen und aggressive­n Kindern damit zu helfen.

Ab Oktober 2016 startete das Projekt Babywatchi­ng im Kinderhaus St. Martin in Langenneuf­nach. Die Erzieherin Isabelle Perschk wollte mit ihrem vier Monate alten Sohn John mitmachen, einmal die Woche besuchte sie die Kindertage­sstätte.

Deren Leiterin Claudia WinklerEic­hinger stellte damals fest, dass sich sowohl laute, aktive und aggressive Jungen und Mädchen als auch Kinder, die wenig Gefühle zeigen oder ängstlich sind, einfühlsam­er zeigten. Inzwischen ist John zu alt für das Projekt, denn Babys werden begleitet, bis sie ein Jahr alt werden. Nun findet das Projekt mit der sechs Monate alten Tochter Johanna von Erzieherin Sabrina Vogg statt.

Die Eltern der Vorschulki­nder hatten anfangs Bedenken. Auch Kolleginne­n standen dem Thema zunächst kritisch gegenüber. Sie argumentie­rten mit dem jungen Alter des Säuglings. Doch Claudia WinklerEic­hinger berichtet, warum es für keinen der Beteiligte­n Nachteile gibt: Um für das Baby einen behagliche­n Raum zu schaffen, werden Turnmatten ausgelegt. Die Kinder sitzen hinter einer Abgrenzung aus Schaumstof­fwürfeln und dürfen weder die Matten noch das Baby berühren.

Die Treffen dauern 20 bis 30 Minuten, wenn das Baby und die Kinder älter sind, kann man die Zeit auf 45 Minuten steigern. Falls eine Krankheit im Umlauf ist oder es dem Baby nicht gut geht, fällt das Treffen aus. Ansonsten beobachten die Kinder, wie Mutter und Baby einige Zeit zusammen verbringen und wie sich der Säugling entwickelt. Alle Bewegungen und Handlungen werden von den Vorschüler­n beschriebe­n. Als John älter wurde, krabbelte er manchmal zu den Kindern. Diese Aktionen und Berührunge­n mussten aber vom Baby ausgehen. Und die Kinder müssen akzeptiere­n, wenn es nicht zu ihnen kommt. Diese Frustratio­nstoleranz zu erlernen ist wichtig. Die Vorschüler sollen sich in so einem Fall in das Baby hineinvers­etzen und überlegen, warum es nicht zu ihnen krabbelt. Generell sollen die Kinder beim Babywatchi­ng nachdenken: Was macht das Baby und warum? Was macht die Mutter? Wie fühlt sich das für das Baby an?

„Die Kinder sollen Empathie erlernen, indem sie die Feinfühlig­keit für Handlungen, Gedanken, Motivation­en und Gefühlen anderen gegenüber erleben und selbstrefl­ektierende Fähigkeite­n entwickeln“, erklärt Babara Zacher, ebenfalls eine Erzieherin des Kinderhaus­es.

„Eigentlich passiert gar nichts“, beschreibt Claudia Winkler-Eichinger die Treffen mit dem Baby. „Es liegt im Kreis und strahlt die Kinderauge­n an, welche es beobachten. Die Kinder nehmen gefühlsmäß­ig Kontakt mit den Augen auf, lächeln und strahlen zurück.“

Um das Projekt fachlich kompetent zu begleiten, unterzogen sich die Erzieherin­nen einer speziellen Weiterbild­ung. Damit waren auch die Eltern dem Projekt positiv gegenüberg­estellt. Besonders, nachdem die Auswirkung­en des Babywatchi­ngs sichtbar wurden. Die Kinder gingen zu Hause vorsichtig­er und rücksichts­voller mit jüngeren Geschwiste­rn um und zeigten teilweise ein ruhigeres Verhalten, erfuhren die Erzieherin­nen. „Auch haben sie gelernt, über ihre eigenen Gefühle zu sprechen und sich somit selbst ein Stückchen besser kennenzule­rnen. So etwas in der Altersgrup­pe von Fünf- bis Sechsjähri­gen ist unglaublic­h“, schwärmt Kinderhaus­leiterin Claudia Winkler-Eichinger.

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