Wachstum geht nicht ohne Fläche
Das Bevölkerungswachstum der vergangenen Jahre hat sich in Augsburg in einem Wachstum des bebauten Gebiets niedergeschlagen: Im Jahr 2016 (aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor) wurden knapp 42 Hektar neu bebaut – das entspricht in etwa der Fläche der Jakobervorstadt. Der Bund Naturschutz hält das für zu viel. Wie berichtet wollen die Grünen ein bayernweites Volksbegehren anstoßen, um Kommunen eine Obergrenze beim Flächenverbrauch aufzuerlegen.
Der Anteil an unbebauter Fläche im Augsburger Stadtgebiet ist in den vergangenen Jahren stetig gesunken. Die Verkehrs- und Siedlungsfläche wuchs bezogen auf die Gesamtfläche jährlich um 0,6 Prozent. Zum Vergleich: München, Nürnberg und Regensburg liegen laut Statistischem Landesamt bei 0,4 Prozent, die „Boomtown“Ingolstadt bei 0,8 Prozent. In Augsburg sind inzwischen 43,5 Prozent des Stadtgebiets Siedlungs- und Verkehrsfläche (wobei auch Parks und Bolzplätze zum Siedlungsgebiet zählen, Wald und Äcker hingegen nicht). Vor 15 Jahren waren es noch drei Prozent weniger.
Das Volksbegehren „Betonflut eindämmen“möchte erreichen, dass in Bayern nur noch fünf Hektar pro Tag zugebaut werden dürfen. Für Augsburg wären das – wenn man den Anteil der Stadt an der bayerischen Landesfläche zum Maßstab nimmt – 3,8 Hektar pro Jahr. Das ist weit unter den aktuellen Werten. Im Durchschnitt der vergangenen 15 Jahre wurden jährlich 35 Hektar (ca. 50 Fußballfelder) verbraucht. Allerdings ist der Wert von 3,8 Hektar ein theoretisches Konstrukt – Großstädte würden wohl einen Zuschlag bekommen. Vereinfacht gesagt: Das, was aus dem Fünf-HektarKontingent auf dem flachen Land nicht zugebaut wird (obwohl auch dort der Druck steigt), gibt’s für Ballungsräume obendrauf.
Im OB- und Baureferat ist man grundsätzlich nicht begeistert über eine Grenze. Boden sei ein wertvolles Gut, das Volksbegehren schieße aus seiner Sicht aber übers Ziel hinaus, sagt Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU). „Eine Flächenobergrenze würde den dringend nötigen Bau neuer Wohnungen behindern.“ Weitere Folgen wären Grundpreissteigerungen und höhere Mieten.
Ein erfolgreicher Volksentscheid, sollte es so weit kommen, würde wohl Auswirkungen auf konkrete Vorhaben haben. Die Stadt plant im Außenbereich in den kommenden Jahren mehrere Projekte: In Haunstetten Südwest soll ein Wohngebiet für mehr als 10000 Menschen entstehen und Platz für Gewerbe und Erholung bieten. In Lechhausen möchte die Stadt auf Ackerland ein Gewerbegebiet südlich des Umweltparks ausweisen, das Platz für kleinere und mittelgroße Firmen bieten soll. Und auch in Radegundis ist eine Wohnbebauung auf Ackerland im Gespräch.
Baureferent Gerd Merkle (CSU) verweist darauf, dass die Stadt sich schon immer bemühe, Zersiedelung zu vermeiden. In der Tat hat Augsburg in den vergangenen zwei Jahrzehnten die ehemaligen US-Kasernen als Entwicklungsflächen nutzen können. Inzwischen gebe es aber kaum noch große innerstädtische Flächen, so Merkle.
Der Bund Naturschutz und die Lokale Agenda 21, in der sich Bürger für eine nachhaltige Entwicklung engagieren, fordern aber ein grundsätzliches Umdenken. Eine Flächenverbrauchsregelung sei ein Hemmschuh für eine Kommune, aber sinnvoll, sagt Norbert Stamm von der Geschäftsstelle der Lokalen Agenda 21, die dem Referat von Umweltreferent Reiner Erben (Grüne) zugeordnet ist. „Das Thema Flächenverbrauch ist nicht im Griff“, so Stamm. Mögliche Probleme durch stärkeren Zubau, seien Veränderungen im Stadtklima mit stärkerer Aufheizung und weniger Frischluft, so Stamm. Es stellten sich viele Fragen – etwa, ob man stärker in die Höhe bauen müsste.
In die gleiche Kerbe schlägt Irene Kuhn von der Augsburger Gruppe des Bund Naturschutz. „Boden ist nicht vermehrbar. Er ist die Grundlage, auf der wir leben.“Sie plädiert für verdichtetes Bauen. Neue Wohnkonzepte müssten noch stärker gefördert werden, um älteren Menschen den Auszug aus dem zu groß gewordenen Einfamilienhaus zu erleichtern. Pro Kopf braucht ein Augsburger rund 40 Quadratmeter Wohnfläche – diese Zahl ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, auch aufgrund der zunehmenden Zahl der Single-Haushalte.
Der Bund Naturschutz hat aktuell ein Gutachten beauftragt, das für Augsburg feststellen soll, ob es Möglichkeiten gibt, große Parkplätze etwa von Supermärkten mit aufgeständerten Gebäuden zu überbauen. Die Parkplätze blieben erhalten, darüber könnten Wohnungen entstehen. Auch Nachverdichtungsmöglichkeiten bei Mehrfamilienhäusern und die Frage, wie verträglich Einfamilienhäuser als Wohnform mit hohem Flächenverbrauch sind, sollen diskutiert werden.
Wo in den vergangenen Jahren Flächen zugebaut wurden, ist aus der Statistik nicht ohne Weiteres feststellbar. Vor allem der Bereich Wohnen hat zwischen 2014 und 2016 zugelegt (20 Hektar), Gewerbe und Industrie in geringerem Maße (acht Hektar). Leicht zugenommen haben Wald und Ackerland, den größten Verlust gab es in der Kategorie „Unland“, in die Konversionsflächen fallen.
Augsburg ist in den vergangenen 200 Jahren flächenmäßig um ein Vielfaches gewachsen. Wo heute Stadtviertel aus der Gründerzeit stehen, war früher grüne Wiese. Die Geschichte zeigt: Wachstum ohne Flächenverbrauch geht nicht.
Gleichzeitig wird heute immer klarer, dass die Ressource Boden endlich ist. Jeder Quadratmeter Stadtgebiet kann nur auf eine Weise genutzt werden. Das Mindeste, was eine wachsende Stadt tun kann, ist zu versuchen, Areale effektiv zu nutzen. Sie muss es aber mit Bedacht tun, weil eine zu dichte Bebauung zwar viele Wohnungen bringt, gleichzeitig aber soziale Probleme schaffen kann.
Die entscheidende Frage, in welchem Maß ein Volksentscheid Augsburg konkret treffen würde, ist aber unklar. Dass die Stadt nur noch 3,8 Hektar pro Jahr in Siedlungsfläche umwandeln dürfte, ist ein eher theoretischer Wert. Der dem Begehren zugrunde liegende Gesetzentwurf sagt nämlich, dass die Aufteilung des Flächenkontingents von fünf Hektar täglich auf die Kommunen nach Daten wie der Bevölkerungsstärke oder nach Größenklassen erfolgen müsste. Großstädte wären dann gegenüber dem flachen Land begünstigt. Wie die Aufteilung genau erfolgen müsste, sagt der Gesetzentwurf aber nicht. Solange diese Unschärfe bleibt, ist es aus Augsburger Sicht schwierig, die Folgen abzuschätzen.
Naturschützer fordern ein Umdenken