Es war einmal das Internet
heraus wieder mit einem neuen Blick. Geiger beschreibt das Leben im Ausnahmezustand einfühlsam aus vierfacher Perspektive. Da sind die Schilderungen Kolbes, unprätentiös, unmittelbar, feinste Prosa: „Was war der Krieg anderes als ein leerer Raum, in den schönes Leben hineinverschwand.“
Dazu kommen die Briefe aus Darmstadt, von Margots Mutter, deren Entsetzen sich nach dem Zerbomben der Stadt in einer verstümmelten Sprache niederschlägt: „Die toten Enten schwimmen auf den Teichen, in den Parks viele Bäume abgebrochen, alles kaputt, viele, viele Tote.“Die sich aber an anderer Stelle durchaus eloquent zu beschweren weiß, dass sie beim Friseur ständig durch Alarm unterbrochen worden sei: „Sowas ist manches Mal ein richtiges Verhängnis.“Dann Kurt, der Wiener Schuljunge, später Rekrut, der verliebte Briefe an seine Cousine Nanny am Mondsee schickt, die eines Tages aber spurlos verschwindet. Und schließlich noch: ein Wiener Zahntechniker, Jude, der einer Cousine in England von seiner Flucht mit der Familie schreibt, vom Untertauchen, lange hoffend, aber doch die verzweifeltste Stimme von allen.
Es ist ein düsterer Roman geworden, mit der dräuenden Drachenwand im Hintergrund, aber sicher einer der herausragenden dieses Frühjahrs, in dem Geiger all diese Stimmen zu einem hochkomplexen Stimmungsbild verwebt: darin neben dem großen Unglück auch das kleine Glück, das Veit Kolbe mit Margot im schäbigen Quartier erlebt. „Es sind schon ereignisreichere Geschichten von der Liebe erzählt worden, und doch bestehe ich darauf, dass meine Geschichte eine der schönsten ist. Nimm es oder lass es.“Nimm es!
Stefanie Wirsching
Hanser, 176 S., 18 ¤ Hanser, 352 S., 23 ¤ Wer heute sieht, wie bestimmend es für das Leben in Wirtschaft, Politik und Alltag geworden ist, der kann sich vielleicht noch erinnern, wie das alles ohne das Internet war – aber sich vorstellen, dass und wie das Leben irgendwann wieder völlig unvernetzt sein wird?
„Hendrikas Ehemann hatte also für gearbeitet. Nach und nach erfuhr ich, dass er den Jobverlust durch die Stilllegung des Internet nicht verkraftet hatte. Er war immer öfter tagelang nicht nach Hause gekommen, hatte angefangen, am Hafen zu trinken…“Da stand es: Stilllegung des Internet! Und falls Sie sich schon mal gefragt haben, welches Bild von uns und unserer Zeit bleibt, wer sieht, was davon auf den großen Servern gespeichert liegt – auch das steht hier.
„Serverland“heißt der Debütroman von Josefine Rieks (Jahrgang ’88). Er ist stark wegen des Szenarios, wegen der Atmosphäre. Nichts Über-Dramatisches, Post-Apokalyptisches, Hyper-Futuristisches schildert Rieks. Wie mit der Taschenlampe tasten wir uns in unsere Welt minus Internet, das wegen all seiner Schattenseiten durch ein internationales Referendum stillgelegt wurde. Es geht um Reiner, der damit zu Schrott gewordene Notebooks und Computerspiele sammelt. Es geht um das, was ohne Netz fehlt, und das, was wieder wichtiger wird (Post! Gedruckte Zeitung!). Und darum, dass aus den alten Servern lesbar wird, was das Internet einst war und werden sollte: ein Freiheitsraum.
Google Inc. Wolfgang Schütz