Was für ein phänomenal irres Buch
Hoppe hat Leitmotive eingewoben: Neben Ilf und Petrows Buch als Referenzrahmen auch Tocqueville und dessen Amerikareise, Tom Sawyer und den Gartenzaun, den er streichen muss. Der Filmemacher Quentin Tarantino taucht in Los Angeles kurz auf, ein Indianer präsentiert seine Schätze, immer wieder sind Edison und Ford, die beiden technischen Revolutionäre, ein Thema.
Im Roman selbst hört sich das so an: „Aber Fantasie ist nicht Wirklichkeit, was nicht gegen die Wirklichkeit spricht, sondern gegen die Fantasie, also gegen mich und Lizzy, denn Literatur ist nun mal auf Ordnungen aus, auf klare, einfache Rollen. Und verglichen mit der Literatur ist das einfache Leben höchst kompliziert, so kompliziert wie ein amerikanischer Diner, dem auch Ilf und Petrow nicht gewachsen waren.“In diesen zwei Sätzen, es sind nur zwei Sätze, geht es um die Fantasie und Wirklichkeit, die Literatur, Hoppes Reise und Ilf und Petrow, alles auf dichtestem Raum miteinander vermischt.
Was es dem Leser nicht einfach macht. Das fängt schon beim Titel an: Ein Amerika-Buch, das „Prawda“heißt, das im Russischen „Wahrheit“bedeutet. Ein Wort, das als Titel für die kommunistische Propaganda-Zeitung weltbekannt geworden ist, aber eben nicht im Sinne von „Wahrheit“, sondern von ideologisch gefärbter Weltsicht. Schon das ist ein Vexierspiel, in dem nichts wirklich festzumachen ist und genau deshalb passt. Hoppe öffnet auch in diesem Roman einen Raum, in dem sie mit Worten die Wirklichkeit zu den tollsten Gebilden verwandelt. Ein Roman, der nicht auf ein Ende hin gelesen werden will, sondern Wort für Wort und Satz für Satz.
Richard Mayr
Suhrkamp, 166 S., 20 ¤ Kiepenheuer & Witsch, 320 S., 20 ¤ Leider muss diese Buchbesprechung scheitern. Der Inhalt dieses Werkes ist schlicht nicht wiederzugeben. Aber, na ja, war vielleicht abzusehen, dass es nach den schon verschroben genialischen Romanen wie „Indigo“und „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“mit dem österreichischen Jungstar Clemens J. Setz mal so weit kommen würde.
Gescheitert ist auch der Versuch von Angelika Klammer, mit dem 35-Jährigen ein Interviewbuch zu machen wie zuvor mit der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller. Mit Setz kam nichts Verwertbares heraus. Stattdessen nun: „Bot – Gespräch ohne Autor“. Bot kurz für Robot, wie die automatisierten Profile im Internet. Heißt: Sie hat die Fragen stattdessen an das digitale Tagebuch des Autors gerichtet. Sie fragt: „Möchten Sie manchmal die Zeit anhalten?“Die Textsuche findet eine Stelle mit passenden Wörtern. Die Antwort also: Ein Nachdenken darüber, wie anders die Welt vor der Erfindung der Zeitlupe gewesen sein mag. Irre? Jawohl! Und phänomenal. Auch, weil so immer wieder aberwitziges Assoziations-Dada entsteht. Aber vor allem, weil Clemens Setz einfach tollstes Zeug denkt, aus Zeitungen sammelt, auf Reisen notiert. Etwa über die Goldene Qualle, die ein Kleid aus Algen trägt und sich allein von deren Photosynthese ernährt. Über blinde Flecken im Gesichtsfeld. Über den kürzesten Science-Fiction-Roman der Welt. Über die Landschaft hinter der Mona Lisa. Na ja, und so viel mehr eben.
Wolfgang Schütz