Schwabmünchner Allgemeine

Lächeln wie man es gelernt hat

- Sayaka Murata: Die Ladenhüter­in Petina Gappah: Die Schuldigen von Rotten Row

„Paranza“zu gründen. So werden in Neapel eigentlich Fischerboo­te genannt, die nachts mit Licht Fische in die Falle locken. So heißen in der süditalien­ischen Großstadt aber auch Mafia-Untergrupp­en. Der Originalti­tel des Romans lautet daher „La paranza dei bambini“.

Es ist nicht nur spannend, Nicolas in die Welt der Mafia zu begleiten, seine Veränderun­g vom harmlosen Teenager zum kaltblütig­en Paranza-Anführer mitzuverfo­lgen und auch dabei zu sein, wenn es für ihn schmerzhaf­t wird. Noch interessan­ter ist es sogar, den Machtkämpf­en um Reviere, Geld und Respekt beizuwohne­n, sowie die Denkstrukt­uren der Mafia zu begreifen. Dass Neapel nicht nur in dieser Fiktion ein Problem mit Baby Gangs hat, sondern auch in der Realität, gibt dem Buch eine zusätzlich­e Wucht.

Saviano begibt sich in dem Roman nun an die Clan-Basis, um zu zeigen, wie die Mafia tickt, wie Gesetze und Strukturen aussehen. Das wird in der Realität einigen Herren nicht passen. Mit Worten kämpft der Autor nun seit mehr als zehn Jahren gegen die Camorra in seiner Heimatstad­t und zahlt dafür einen hohen Preis. Seit 2006 „Gomorrha“erschien, trachtet ihm die Mafia nach dem Leben. Saviano steht unter Polizeisch­utz, wechselt alle zwei Tage seinen Aufenthalt­sort. Er bereut inzwischen, seinen lebensverä­ndernden Bestseller geschriebe­n zu haben. „Könnte ich die Zeit zurückdreh­en, würde ich es nicht noch mal tun“, sagt er. Saviano bleibt also bis auf Weiteres nur, ein einsames Leben zu führen und immer wieder seine mächtige Waffe abzufeuern. Es ist ihm daher zu wünschen, dass viele seine aufrütteln­den wie spannenden Worte lesen und zu seinen Komplizen im Kampf gegen die Mafia werden.

Lea Thies

Aus dem Japanische­n von Ursula Gräfe, Aufbau, 160 S., 18 ¤ Aus dem Engli schen von Patricia Klobusiczk­y, Arche, 352 S., 22 ¤ Die Ladenhüter­in – gratuliere­n muss man dem Aufbau-Verlag auf jeden Fall schon einmal zum Titel, der im Deutschen vielleicht vielschich­tiger klingt als im Japanische­n: Konbini Ningen. Gratuliere­n darf man aber auch zu diesem Roman, mit dem die Schriftste­llerin Sayaka Murata vor eineinhalb Jahren eine der bedeutends­ten japanische­n Literatura­uszeichnun­gen gewann, den Akutagawa-Preis, und der nun in der feinen Übersetzun­g von Ursula Gräfe auf Deutsch erscheint. Erzählt in der Ich-Perspektiv­e von Keiko Furukura, Aushilfs-Verkäuferi­n in einem 24-Stunden-Supermarkt, zeichnet die Schriftste­llerin das Bild einer konformist­ischen Gesellscha­ft, in der jedes Mitglied argwöhnisc­h aufs ordentlich­e Funktionie­ren hin beäugt wird. Auch „die Ladenhüter­in“versucht sich als brav rotierende­s Rädchen im Getriebe. Aber „normal“ist sie nicht. Sie empfindet nicht wie ihre Umwelt, kann nämlich gar nichts empfinden, versucht durch genaueste Beobachtun­g ihrer Umwelt und Imitation von Verhaltens­weisen nicht in ihrer Andersarti­gkeit aufzufalle­n. Im Supermarkt gelingt ihr das: Sie kleidet sich und spricht wie die Kolleginne­n, wie sie zu lächeln und was sie zu sagen hat, wurde ihr wie allen anderen Mitarbeite­rn vom Manager vorgeschri­eben. Die Norm aber kann sie auf Dauer nicht erfüllen: Mitte 30, noch nicht verheirate­t, kein Job, immer noch Aushilfskr­aft. Die Gesellscha­ft wird wieder auf sie aufmerksam… 160 Seiten – kurz, klug, absurd, anders.

Stefanie Wirsching

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