Musste so etwas wie der Mensch nicht kommen?
Deutsche, Juden, Armenier, Italiener, auch Polen und dutzende weiterer Völker allein auf der Krim.“Fast in jeder Ecke trifft Kermani auf solch ein Gemisch.
Wann lebte es sich besser? Während in der georgischen Provinz ein Festgelage zu Ehren eines Literaten wie in alten Zeiten mit Schmaus im Überfluss und Trinksprüchen auf die Liebe und die Schönheit der Natur gefeiert wird, wachsen in der Ölmetropole Baku am Kaspischen Meer die in die Höhe. Die alte Bausubstanz hat mancher Investor kurzerhand modern nachgeäfft, indes findet selbst der skeptische Kermani das 2012 erbaute Heidar-Alijew-Kulturzentrum der Architektin Zaha Hadid einen „atemberaubend eleganten Palast“.
Unermesslich haben viele Menschen in dem Puffer zwischen Europa und Asien gelitten. Das tschetschenische Grosny gilt als „die am meisten zerstörte Stadt der Welt“in einem UN-Bericht. Ein paar seiner Gesprächspartner lässt Kermani zu ihrer Sicherheit vor Nachstellungen des Geheimdienstes namenlos. Dagegen ist er hell begeistert vom redseligen Charme eines Bischofs Jesaia vom Kloster Nikosi zwischen Georgien und Ossetien, der so gar nicht frauen- und schwulenfeindlich und reaktionär ist, wie man in Tiflis die orthodoxe Kirche verschrie.
Manchmal findet sich der Reporter aus Deutschland in einer eigenartigen Rolle wieder: Nirgends fühlte er sich deutscher als in Auschwitz. „Ja, ich gehöre dazu, nicht durch Herkunft, durch blonde Haare, arisches Blut oder so einen Mist, sondern schlicht durch die Sprache.“Und als Kölner wird er in Odessa zum Kronzeugen dafür genommen, dass Europa wegen der vielen zugewanderten Muslime auf einen Abgrund zusteuert…
Flame Towers Alois Knoller
Aus dem Englischen von Sigrid Schmid und Renate Weitbrecht, Hanser, 384 S., 26 ¤ Aus dem Französischen von Elsbeth Ranke, Hanser, 192 S., 20 ¤ Konvergenz – klingt kompliziert. Ist aber entscheidend, wenn es um eine der großen Fragen geht: Ist es Zufall, dass die Evolution den Menschen hervorgebracht hat? Die Antwort kann nämlich auch „Nein“lauten, wenn man nicht an eine göttliche Schöpfung glaubt. Wie?
Das erklärt Jonathan B. Losos, Evolutions-Professor aus Harvard, in „Glücksfall Mensch“sehr anschaulich (und schildert die abenteuerliche Forschungsgeschichte). Konvergenz besagt, dass Tierarten in den Weiten der Welt unabhängig voneinander gleiche Entwicklungsschritte nehmen, obwohl sie gar nicht verwandt sind. Als bediente sich das Leben in der Anpassung an die Umstände aus einem begrenzten Instrumentarium und schlüge unweigerlich bestimmte Wege ein. Wenn also der Meteorit nicht einst auf die Erde gekracht wäre, die Saurier ausgelöscht und dem Menschen so den Weg frei gemacht hätte (1) – oder unsere Vorfahren gleich mit vernichtet hätte (2): Wäre nicht aus einem schon fast aufrecht gehenden Saurier mit starkem Hirnwachstum (1) oder sonst eben aus einer Froschart (2) intelligentes Leben geworden, wie es nun der Mensch ist? Es gibt Indizien und prominente Fürsprecher. Losos ist keiner. Nach ihm sind wir wie das Schnabeltier eine Kuriosität der Evolution. Ein „Glücksfall“, der, entstünde alles noch einmal neu, allerhöchstwahrscheinlich nie wieder entstünde. Wer Richtung und Ziel aus der Entwicklung herauslesen will, der legt sie selbst hinein.
Wolfgang Schütz