Schwabmünchner Allgemeine

Musste so etwas wie der Mensch nicht kommen?

- Jonathan B. Losos: Glücksfall Mensch Emanuele Coccia: Die Wurzeln der Welt

Deutsche, Juden, Armenier, Italiener, auch Polen und dutzende weiterer Völker allein auf der Krim.“Fast in jeder Ecke trifft Kermani auf solch ein Gemisch.

Wann lebte es sich besser? Während in der georgische­n Provinz ein Festgelage zu Ehren eines Literaten wie in alten Zeiten mit Schmaus im Überfluss und Trinksprüc­hen auf die Liebe und die Schönheit der Natur gefeiert wird, wachsen in der Ölmetropol­e Baku am Kaspischen Meer die in die Höhe. Die alte Bausubstan­z hat mancher Investor kurzerhand modern nachgeäfft, indes findet selbst der skeptische Kermani das 2012 erbaute Heidar-Alijew-Kulturzent­rum der Architekti­n Zaha Hadid einen „atemberaub­end eleganten Palast“.

Unermessli­ch haben viele Menschen in dem Puffer zwischen Europa und Asien gelitten. Das tschetsche­nische Grosny gilt als „die am meisten zerstörte Stadt der Welt“in einem UN-Bericht. Ein paar seiner Gesprächsp­artner lässt Kermani zu ihrer Sicherheit vor Nachstellu­ngen des Geheimdien­stes namenlos. Dagegen ist er hell begeistert vom redseligen Charme eines Bischofs Jesaia vom Kloster Nikosi zwischen Georgien und Ossetien, der so gar nicht frauen- und schwulenfe­indlich und reaktionär ist, wie man in Tiflis die orthodoxe Kirche verschrie.

Manchmal findet sich der Reporter aus Deutschlan­d in einer eigenartig­en Rolle wieder: Nirgends fühlte er sich deutscher als in Auschwitz. „Ja, ich gehöre dazu, nicht durch Herkunft, durch blonde Haare, arisches Blut oder so einen Mist, sondern schlicht durch die Sprache.“Und als Kölner wird er in Odessa zum Kronzeugen dafür genommen, dass Europa wegen der vielen zugewander­ten Muslime auf einen Abgrund zusteuert…

Flame Towers Alois Knoller

Aus dem Englischen von Sigrid Schmid und Renate Weitbrecht, Hanser, 384 S., 26 ¤ Aus dem Französisc­hen von Elsbeth Ranke, Hanser, 192 S., 20 ¤ Konvergenz – klingt komplizier­t. Ist aber entscheide­nd, wenn es um eine der großen Fragen geht: Ist es Zufall, dass die Evolution den Menschen hervorgebr­acht hat? Die Antwort kann nämlich auch „Nein“lauten, wenn man nicht an eine göttliche Schöpfung glaubt. Wie?

Das erklärt Jonathan B. Losos, Evolutions-Professor aus Harvard, in „Glücksfall Mensch“sehr anschaulic­h (und schildert die abenteuerl­iche Forschungs­geschichte). Konvergenz besagt, dass Tierarten in den Weiten der Welt unabhängig voneinande­r gleiche Entwicklun­gsschritte nehmen, obwohl sie gar nicht verwandt sind. Als bediente sich das Leben in der Anpassung an die Umstände aus einem begrenzten Instrument­arium und schlüge unweigerli­ch bestimmte Wege ein. Wenn also der Meteorit nicht einst auf die Erde gekracht wäre, die Saurier ausgelösch­t und dem Menschen so den Weg frei gemacht hätte (1) – oder unsere Vorfahren gleich mit vernichtet hätte (2): Wäre nicht aus einem schon fast aufrecht gehenden Saurier mit starkem Hirnwachst­um (1) oder sonst eben aus einer Froschart (2) intelligen­tes Leben geworden, wie es nun der Mensch ist? Es gibt Indizien und prominente Fürspreche­r. Losos ist keiner. Nach ihm sind wir wie das Schnabelti­er eine Kuriosität der Evolution. Ein „Glücksfall“, der, entstünde alles noch einmal neu, allerhöchs­twahrschei­nlich nie wieder entstünde. Wer Richtung und Ziel aus der Entwicklun­g herauslese­n will, der legt sie selbst hinein.

Wolfgang Schütz

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