Wenn ein Mädchen verschwindet
nun die Glasglocke, unter der sein Held sich bislang verschanzte, und lässt ihn Unerklärliches erleben: Ein Bild wird entdeckt, in einer Erdkammer klingelt’s, ein Idee will gesehen werden… und – Metapher, Metapher – im Künstler wird plötzlich Verschüttetes freigelegt, nämlich Intuition. Als er für ein horrendes Honorar den steinreichen Nachbarn malt, dessen vielsagender Namen übersetzt „Farbe vermeiden“bedeutet, findet der Porträtmaler zum neuen Stil. Welchen Preis er dafür zahlen muss, siehe dann Band zwei, der Mitte April erscheint.
Die Schaffenskrise eines Künstlers steht also im Mittelpunkt dieses Romans, der Kriminalfall, den es zu lösen gilt, steckt aber im Kunstwerk des nun dementen Altmeisters Amada selbst, das der Protagonist auf dem Dachboden findet. „Die Ermordung des Commendatore“– beim Titel ahnt der Opernfan, wohin es läuft: Mozart, Don Giovanni! Und auch: Seinen Mörder wird der Commendatore am Ende mit in die Hölle nehmen. Die Auflösung, so viel deutet Murakami an, wird nach Wien im Jahr 1938 führen, als der junge Amada dort studierte, es zum Attentat auf einen Nazifunktionär kam …
Wäre der Roman ein Bild, es würde ein Leerraum in der Mitte klaffen. An den sich Murakami heranzoomt, durch Öffnungen blickt, den Künstler zeigt, der durch eine Luke im Dachboden steigt, ein Bild findet, auf dem ein Mann durch eine Luke auf ein Verbrechen blickt Alles also noch offen. Auch, ob der Roman sich in seiner Gesamtheit dann rundet. „Ich bin übrigens Linkshänder“, erklärt der ominöse Auftraggeber: „Ich weiß nicht, ob das eine Rolle spielt, aber zumindest ist es eine weitere Information über mich als Person.“
Stefanie Wirsching
Aus dem Englischen von Anke Burger, Liebeskind, 352 S., 22 ¤ Aus dem Englischen von Dirk von Gunsteren, Nagel & Kimche, 208 S., 19 ¤ Sie war 13 Jahre alt, hatte dunkelblonde Haare, sie hieß „Rebekka, Becky, oder Bex“. Auf einer Wanderung mit ihren Eltern in den Ferien läuft Rebekka nach einem Streit davon und taucht nicht mehr auf. Hundertschaften durchkämmen die karstige Gebirgslandschaft voller Höhlen und Felsspalten. Jeder ist auf den Beinen. Es gibt kein anderes Thema. Bleierne Schwere legt sich in „Speicher 13“über ein Dorf.
Und doch schleicht sich das Leben zurück: Lämmer müssen geschoren, Kühe gemolken, Dinge erledigt werden. Füchse kommen auf die Welt, die Wacholderdrosseln fliegen in den Süden, von dem Mädchen keine Spur. Ein erstes Fest wird wieder gefeiert, nach einigen Jahren verlässt Rebekkas Mutter das Dorf, die Ferienfreunde von einst beginnen ein Studium, werden erwachsen, Paare trennen sich, Kinder werden geboren, Karrieren beendet. Von Seite zu Seite gibt der britische Autor Jon McGregor dem Leben der Dorfbewohner mit ihren Sorgen, Nöten und Affären mehr Raum und den Lesern Rätsel auf. Ein Pulli wird gefunden, eine Festplatte zerstört, ein Indiz?
Geschickt macht McGregor den Leser zum Beobachter, dazu trägt der klare Erzählton viel bei. Es gibt keinen eindeutigen Fall und keinen ermittelnden Kommissar, McGregor erzählt, wie Menschen mit einer Tragödie umgehen. Mögliche Rückschlüsse überlässt er den Lesern. Spannend! Das Buch war letztes Jahr für den Booker Prize nominiert.
Doris Wegner