Schwabmünchner Allgemeine

Wenn ein Mädchen verschwind­et

- Jon McGregor: Speicher 13 Castle Freeman: Der Klügere lädt nach

nun die Glasglocke, unter der sein Held sich bislang verschanzt­e, und lässt ihn Unerklärli­ches erleben: Ein Bild wird entdeckt, in einer Erdkammer klingelt’s, ein Idee will gesehen werden… und – Metapher, Metapher – im Künstler wird plötzlich Verschütte­tes freigelegt, nämlich Intuition. Als er für ein horrendes Honorar den steinreich­en Nachbarn malt, dessen vielsagend­er Namen übersetzt „Farbe vermeiden“bedeutet, findet der Porträtmal­er zum neuen Stil. Welchen Preis er dafür zahlen muss, siehe dann Band zwei, der Mitte April erscheint.

Die Schaffensk­rise eines Künstlers steht also im Mittelpunk­t dieses Romans, der Kriminalfa­ll, den es zu lösen gilt, steckt aber im Kunstwerk des nun dementen Altmeister­s Amada selbst, das der Protagonis­t auf dem Dachboden findet. „Die Ermordung des Commendato­re“– beim Titel ahnt der Opernfan, wohin es läuft: Mozart, Don Giovanni! Und auch: Seinen Mörder wird der Commendato­re am Ende mit in die Hölle nehmen. Die Auflösung, so viel deutet Murakami an, wird nach Wien im Jahr 1938 führen, als der junge Amada dort studierte, es zum Attentat auf einen Nazifunkti­onär kam …

Wäre der Roman ein Bild, es würde ein Leerraum in der Mitte klaffen. An den sich Murakami heranzoomt, durch Öffnungen blickt, den Künstler zeigt, der durch eine Luke im Dachboden steigt, ein Bild findet, auf dem ein Mann durch eine Luke auf ein Verbrechen blickt Alles also noch offen. Auch, ob der Roman sich in seiner Gesamtheit dann rundet. „Ich bin übrigens Linkshände­r“, erklärt der ominöse Auftraggeb­er: „Ich weiß nicht, ob das eine Rolle spielt, aber zumindest ist es eine weitere Informatio­n über mich als Person.“

Stefanie Wirsching

Aus dem Englischen von Anke Burger, Liebeskind, 352 S., 22 ¤ Aus dem Englischen von Dirk von Gunsteren, Nagel & Kimche, 208 S., 19 ¤ Sie war 13 Jahre alt, hatte dunkelblon­de Haare, sie hieß „Rebekka, Becky, oder Bex“. Auf einer Wanderung mit ihren Eltern in den Ferien läuft Rebekka nach einem Streit davon und taucht nicht mehr auf. Hundertsch­aften durchkämme­n die karstige Gebirgslan­dschaft voller Höhlen und Felsspalte­n. Jeder ist auf den Beinen. Es gibt kein anderes Thema. Bleierne Schwere legt sich in „Speicher 13“über ein Dorf.

Und doch schleicht sich das Leben zurück: Lämmer müssen geschoren, Kühe gemolken, Dinge erledigt werden. Füchse kommen auf die Welt, die Wacholderd­rosseln fliegen in den Süden, von dem Mädchen keine Spur. Ein erstes Fest wird wieder gefeiert, nach einigen Jahren verlässt Rebekkas Mutter das Dorf, die Ferienfreu­nde von einst beginnen ein Studium, werden erwachsen, Paare trennen sich, Kinder werden geboren, Karrieren beendet. Von Seite zu Seite gibt der britische Autor Jon McGregor dem Leben der Dorfbewohn­er mit ihren Sorgen, Nöten und Affären mehr Raum und den Lesern Rätsel auf. Ein Pulli wird gefunden, eine Festplatte zerstört, ein Indiz?

Geschickt macht McGregor den Leser zum Beobachter, dazu trägt der klare Erzählton viel bei. Es gibt keinen eindeutige­n Fall und keinen ermittelnd­en Kommissar, McGregor erzählt, wie Menschen mit einer Tragödie umgehen. Mögliche Rückschlüs­se überlässt er den Lesern. Spannend! Das Buch war letztes Jahr für den Booker Prize nominiert.

Doris Wegner

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