Wie viel Sozialdemokrat steckt noch in ihm?
Banker Jörg Kukies wechselt von Goldman Sachs ins Finanzministerium. Die Personalie polarisiert – sie kann aber auch eine Chance für Deutschland sein
Vor knapp zehn Jahren ging die Welt um ein Haar unter, zumindest die Finanzwelt. Der Immobilienmarkt in den USA aufgebläht, die Großbanken marode, weltweit verloren Anleger binnen kurzer Zeit rund vier Billionen USDollar. Die Schuldigen waren schnell gefunden: Gierige Investmentbanker und Börsenmakler, tätig etwa bei Goldman Sachs, das ein Journalist einen „Vampirkalmar“nannte, der seinen „Blutrüssel“in alles stecke, das nach Geld rieche.
Und einer der Spitzenleute dieser Blutsaugerbank soll nun Staatssekretär im Finanzministerium unter Olaf Scholz (SPD) werden?
Ja, gerade wegen dieser Vergangenheit soll er das werden, heißt es aus dem Umfeld von Scholz selbstbewusst. Denn Jörg Kukies, der seinen Posten als Co-Vorsitzender von Goldman Sachs in Frankfurt aufgibt, bringt mit, was viele Experten immer wieder gerade Bundesbehörden wie dem Finanzministerium dringend verordnen wollen – Fachwissen, um internationalen Anlegern und Investoren kompetent Paroli bieten zu können. Schon ScholzVorgänger Wolfgang Schäuble hatte etwa mit Levin Holle als Abteilungsleiter seiner Kreditabteilung einen Spitzenmann von Boston Consulting abgeworben, der erwarb sich rasch einen exzellenten Ruf im Ministerium.
Außerdem ist Kukies, 50, eigentlich ein verhinderter Politiker. In jungen Jahren absolvierte er als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes die John F.
Kennedy School of Government in Harvard – das Stipendium soll auf eine Tätigkeit im öffentlichen Sektor vorbereiten. Kukies geriet zwar zunächst auf Abwege. Er absolvierte ein Sommerpraktikum bei Goldman Sachs, arbeitete danach für die Bank in New York und London, später in Frankfurt und wieder zurück. 2014 blieb er schließlich in der Main-Metropole als neuer Co-Vorsitzender von Goldman Sachs für Deutschland und Österreich.
Aber in seinem Leben zuvor hatte er während des Studiums in Mainz als Juso-Vorsitzender des Landesverbandes Rheinland-Pfalz gewirkt, übrigens als Vorgänger von Andrea Nahles. Außerdem entspricht Kukies dem Filmklischee des Protz-Bankers so gar nicht. Der gelernte Mathematiker meidet Skandale ebenso wie ausschweifende Partys. Stattdessen genießt er den Ruf, gut mit Zahlen und Menschen umgehen zu können.
„Das ist eine einmalige Chance“, sagt der Vater einer vierjährigen Tochter über die neue Gelegenheit. In den kommenden Jahren wird er sich mit der Finanzmarktpolitik und Europa beschäftigen müssen. Schwierige Entscheidungen stehen an: der Brexit, die Neugestaltung des EU-Haushalts, ein möglicher Handelskrieg mit den USA.
Für Kukies dürfte das alles kein Problem sein. Kontakte hat er genug, auch in die Politik. EZB-Chef Mario Draghi war zum Beispiel auch mal bei Goldman Sachs.