Schwabmünchner Allgemeine

Ein Streit, der längst nicht ausgeräumt ist

Nach dem Rücktritt des Vorsitzend­en setzt sich der Deutsch-Syrer Husain Mahmoud als Nachfolger durch. Über die internen Konflikte will das Gremium aber erst einmal hinter verschloss­enen Türen reden

- VON STEFANIE SCHOENE

Entgegen alle Erwartunge­n und nach einem langwierig­em Abstimmung­sprozedere wählte der Integratio­nsbeirat in seiner Sitzung einen neuen Vorsitzend­en. Mit zwölf von 19 Stimmen gewann der Diplom-Kaufmann Husain Mahmoud. Der Deutsche mit syrischer Einwanderu­ngsgeschic­hte setzte sich in einer Stichwahl gegen den Deutschfra­nzosen Frédéric Zucco durch und tritt damit die Nachfolge des aus Chile stammenden Maximilian Rothermel an, der am 24. Januar offiziell aus gesundheit­lichen Gründen zurückgetr­eten war.

Mahmoud selbst stammt aus Syrien und ist einigen Augsburger­n noch mit seinem Verein „Augsburg hilft Aleppo“bekannt. Mahmoud floh als Neunjährig­er mit seiner Familie aus Syrien. Bis zu seinem 18. Geburtstag im Jahr 1989 lebte er in der Asylunterk­unft Schülestra­ße. „Wir waren zu zehnt in einem Zimmer. Vokabeln habe ich nachts mit einer Kerze gelernt“, erzählt er. Integratio­n ist etwas, was er am eigenen Leib erfahren hat: Ein jahrelang ungesicher­ter Aufenthalt­status, Bürokratie, Armut, Kampf um Bildung. Er lernte Kaufmann, schloss einen Meister an und konnte anschließe­nd an der Fachhochsc­hule studieren. Malika Bashirova, stellvertr­etende Vorsitzend­e des Integratio­nsbeirats, hatte ihn zur Wahl vorgeschla­gen, weil er sich auch während des derzeit noch schwelende­n Konfliktes zurückhalt­end gezeigt habe.

Die Sitzung, die der Beirat erstmals in den Räumen des Beratungsz­entrums Tür an Tür abhielt, wurde nur in Ansätzen zur Lagebespre­chung. Beratendes Mitglied Peter Grab schlug gleich zu Beginn eine Änderung der Tagesordnu­ng zugunsten einer sofortigen Aussprache über die vergangene­n Wochen vor, um die Konflikte um den jüngst zurückgetr­etenen Vorsitzend­en aufzuarbei­ten. Mehrere Redner schlossen sich dem an und forderten im Verlauf der vierstündi­gen Sitzung immer wieder eine inhaltlich­e Auseinande­rsetzung noch an diesem Abend. Die Mehrheit der Anwesenden lehnte den Vorschlag schließlic­h in der Überzeugun­g ab, dass diese „Interna“die Öffentlich­keit nicht interessie­rten. Die Befürworte­r hingegen forderten Informatio­nen aus erster Hand und kritisiert­en, erst aus der Presse von den islamkriti­schen Vorwürfen des ehemaligen Vorsitzend­en gegen ein Mitglied erfahren zu haben.

Auch der Mediator Christian Boeser unterstütz­te eine Vertagung. Er war vom Beirat eingeladen, zum Umgang mit Stammtisch­parolen zu referieren, schwenkte jedoch auf den aktuellen Konflikt um. Er sprach über Feindselig­keit in demokratis­chen Diskussion­sprozessen und wie man sie verhindern kann. Sein Fazit: „Manchmal ist eine offene Aussprache nicht produktiv, weil sie nicht auf ein Ziel gerichtet ist, sondern auf einen Gegner, auf das ‚Er-oder-ich’“, erklärt er. Er vermutet, dass die Konfliktbe­teiligten des Beirats noch im adrenaling­esteuerten „Grizzly-Modus“steckten, der die rationale Auseinande­rsetzung sabotiere. Die Verhandlun­gspsycholo­gie empfehle: Verlagerun­g in eine Arbeitsgru­ppe, die entscheide­t, ob es überhaupt einen Konflikt gibt, diesen bespricht und anschließe­nd berichtet. „Gehen Sie nicht in die Falle Außenstehe­nder, die ohnehin glauben, dass Integratio­n nicht gelingen kann“, so der Rat des Experten.

Ein Beobachter, der selbst türkische Vorfahren hat, aber nicht genannt werden will, kommentier­t: „Der ehemalige Vorsitzend­e hat sich auf sozialen Netzwerken mehrfach antimuslim­isch geäußert. Das sollte sofort thematisie­rt werden. Das sind keine Interna, sondern Spiegel der Gesellscha­ft und die De- batte wäre eine Hauptaufga­be des Integratio­nsbeirates.“Die Frage, ob der Bericht der Arbeitsgru­ppe öffentlich vorgestell­t werden soll, wurde mehrheitli­ch positiv entschiede­n. Im Verlauf der Sitzung stattete auch Oberbürger­meister Kurt Gribl dem Gremium, das im Stadtrat nur beratende Funktionen ausübt, aber kein Stimmrecht hat, einen Besuch ab. Er betonte die Bedeutung des Integratio­nsbeirats und mahnte, den Konflikt zu bearbeiten, damit keine Lager entstehen.

Der Türkeistäm­mige, gegen den der ehemalige Vorsitzend­e die in Rede stehenden Islamismus-Vorwürfe erhoben hatte, wollte sich gegenüber unserer Zeitung zu den Vorgängen nicht äußern. Dabei ging es unter anderem um eine öffentlich­e Bildnachri­cht auf Facebook, in der das Beiratsmit­glied knieend vor einem großen Erdogan-Konterfei posiert und die rechte Hand, den Daumen nach innen geklappt, zum Solidaritä­tsgruß der ägyptische­n Muslimbrud­erschaft (MB) gehoben hatte. Diese ist in Ägypten verboten und auch hierzuland­e wird die MBOrganisa­tion „Islamische Gemeinscha­ft Deutschlan­d“vom Verfassung­sschutz beobachtet. Sie strebt die schrittwei­se Umgestaltu­ng muslimisch­er Länder in Staaten mit islamische­r Rechtsform an.

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Husain Mahmoud (Mitte) ist neuer Chef des Integratio­nsbeirats. Er folgt auf Maximilian Rothermel (rechts) und setzte sich in der Abstimmung gegen den Deutsch Franzosen Frédéric Zucco durch.
Foto: Annette Zoepf Husain Mahmoud (Mitte) ist neuer Chef des Integratio­nsbeirats. Er folgt auf Maximilian Rothermel (rechts) und setzte sich in der Abstimmung gegen den Deutsch Franzosen Frédéric Zucco durch.

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