Der Begriff geht. Die Probleme bleiben
Die SPD will sich von ihrem Hartz-IV-Trauma befreien – und mit der Idee eines solidarischen Grundeinkommens punkten. Das ist nicht mehr als eine Nebelkerze
Diesem Begriff hängt ein Makel an: „Hartz IV“. Von Beginn an gab es Widerstand und Proteste gegen die sozialpolitische Neuerung. Vor allem in der SPD, unter deren Kanzlerschaft das Sozialsystem vor 16 Jahren reformiert wurde. Nach Meinung vieler Genossen verlor ihre Partei durch die Reform so viele Sympathien, dass sie immer neue UmfrageTiefstwerte beklagen muss. Bis heute leidet die Partei an dieser Reform, sie will den Hartz-Makel partout loswerden. Dass der stabile Aufschwung in Deutschland seit fast zehn Jahren ohne die Sozialreformen kaum vorstellbar ist, vergessen viele Sozialdemokraten dabei geflissentlich.
Hartz IV muss weg, heißt es auch nun wieder in SPD-Kreisen. Ja, könnte man beipflichten, als Mittel gegen die Armut taugt es offenbar wenig. Das Armutsrisiko ist in Deutschland seit 2010 vielmehr gestiegen. Damals war jeder Zehnte betroffen, inzwischen fast jeder Sechste. Hartz IV hat auch nicht dazu beigetragen, den breiten Sockel an Langzeitarbeitslosen abzutragen, trotz eines deutlich entspannteren Arbeitsmarktes. Der Weg vom Stellenverlust zur staatlichen Fürsorge – etwas anderes ist das „Hartz IV“genannte Arbeitslosengeld II nicht – wurde durch den Wegfall der früheren Arbeitslosenhilfe viel kürzer.
Ohnehin kollidierten gut gemeinte Elemente der Hartz-Reformen mit der harten Realität. Betroffene sollten gefördert werden, um sie ins Arbeitsleben wieder einzugliedern – manchmal auch erstmals. Aber mangelnde Bildung, fehlende Sprachkenntnisse oder Motivation, überforderte und überlastete Jobcenter standen dem hehren Ansinnen entgegen.
Das neue Zauberwort der SPD heißt jetzt „solidarisches Grundeinkommen“. Hilfeempfänger sollen eine gemeinnützige Arbeit in Vollzeit verrichten und dafür rund 1200 Euro erhalten – was diese motivieren und in die Gesellschaft integrieren soll. Aber, so hart es klingen mag: Ein Hilfeempfänger bleibt ein Hilfeempfänger, er – oder sie – fällt nur aus der Arbeitslosenstatistik heraus.
Das „solidarische Grundeinkommen“ist gleich mehrfach eine rhetorische Nebelkerze – weil es das Grunddilemma der sich ausbreitenden Armut und der mangelnden Qualifikation nicht löst, weil es allenfalls vielleicht 150 000 Menschen zugutekommt und manche auch ausschließt. Alleinerziehende Mütter können nicht Vollzeit arbeiten, wenn die Kinderbetreuung fehlt, psychisch Kranke und Behinderte sind womöglich mit so einem Job einfach überfordert. Die Bildungsdefizite, die den Einstieg ins Arbeitsleben oft behindern, werden nicht verschwinden.
Die hehre Vorstellung der SPD von einer „gesellschaftlichen Tätigkeit“erweckt zudem den Eindruck, dass Langzeitarbeitslose vernachlässigte Aufgaben der Daseinsfürsorge zum Billigtarif erledigen sollen. Das darf nicht passieren. Denn so ein Schritt würde den regulären Arbeitsmarkt aushöhlen. Sperrmüllbeseitigung, Parksäuberung und andere Hilfsdienste durch Langzeitarbeitslose gab es auch schon mal. Damals sprach man nur von „Ein-Euro-Jobbern“.
Das steuerfinanzierte „solidarische Grundeinkommen“ist obendrein keineswegs eine Neuerfindung der SPD. Wenn es überhaupt kommt, bedeutet dies noch lange nicht das Ende von Hartz IV. Denn eine Grundsicherung für erwerbsfähige Arbeitslose, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben, wird in irgendeiner Form immer gebraucht. Sie gab es auch schon vor den Hartz-Gesetzen. Damals nannte man so eine staatliche Zuwendung einfach Sozialhilfe. Diesem Begriff hing, das nur nebenbei, ein mindestens genauso großer Makel an.
„Ein-Euro-Jobber“? Hatten wir doch schon mal