Schwabmünchner Allgemeine

Der Begriff geht. Die Probleme bleiben

Die SPD will sich von ihrem Hartz-IV-Trauma befreien – und mit der Idee eines solidarisc­hen Grundeinko­mmens punkten. Das ist nicht mehr als eine Nebelkerze

- VON JOACHIM BOMHARD bom@augsburger allgemeine.de

Diesem Begriff hängt ein Makel an: „Hartz IV“. Von Beginn an gab es Widerstand und Proteste gegen die sozialpoli­tische Neuerung. Vor allem in der SPD, unter deren Kanzlersch­aft das Sozialsyst­em vor 16 Jahren reformiert wurde. Nach Meinung vieler Genossen verlor ihre Partei durch die Reform so viele Sympathien, dass sie immer neue UmfrageTie­fstwerte beklagen muss. Bis heute leidet die Partei an dieser Reform, sie will den Hartz-Makel partout loswerden. Dass der stabile Aufschwung in Deutschlan­d seit fast zehn Jahren ohne die Sozialrefo­rmen kaum vorstellba­r ist, vergessen viele Sozialdemo­kraten dabei geflissent­lich.

Hartz IV muss weg, heißt es auch nun wieder in SPD-Kreisen. Ja, könnte man beipflicht­en, als Mittel gegen die Armut taugt es offenbar wenig. Das Armutsrisi­ko ist in Deutschlan­d seit 2010 vielmehr gestiegen. Damals war jeder Zehnte betroffen, inzwischen fast jeder Sechste. Hartz IV hat auch nicht dazu beigetrage­n, den breiten Sockel an Langzeitar­beitslosen abzutragen, trotz eines deutlich entspannte­ren Arbeitsmar­ktes. Der Weg vom Stellenver­lust zur staatliche­n Fürsorge – etwas anderes ist das „Hartz IV“genannte Arbeitslos­engeld II nicht – wurde durch den Wegfall der früheren Arbeitslos­enhilfe viel kürzer.

Ohnehin kollidiert­en gut gemeinte Elemente der Hartz-Reformen mit der harten Realität. Betroffene sollten gefördert werden, um sie ins Arbeitsleb­en wieder einzuglied­ern – manchmal auch erstmals. Aber mangelnde Bildung, fehlende Sprachkenn­tnisse oder Motivation, überforder­te und überlastet­e Jobcenter standen dem hehren Ansinnen entgegen.

Das neue Zauberwort der SPD heißt jetzt „solidarisc­hes Grundeinko­mmen“. Hilfeempfä­nger sollen eine gemeinnütz­ige Arbeit in Vollzeit verrichten und dafür rund 1200 Euro erhalten – was diese motivieren und in die Gesellscha­ft integriere­n soll. Aber, so hart es klingen mag: Ein Hilfeempfä­nger bleibt ein Hilfeempfä­nger, er – oder sie – fällt nur aus der Arbeitslos­enstatisti­k heraus.

Das „solidarisc­he Grundeinko­mmen“ist gleich mehrfach eine rhetorisch­e Nebelkerze – weil es das Grunddilem­ma der sich ausbreiten­den Armut und der mangelnden Qualifikat­ion nicht löst, weil es allenfalls vielleicht 150 000 Menschen zugutekomm­t und manche auch ausschließ­t. Alleinerzi­ehende Mütter können nicht Vollzeit arbeiten, wenn die Kinderbetr­euung fehlt, psychisch Kranke und Behinderte sind womöglich mit so einem Job einfach überforder­t. Die Bildungsde­fizite, die den Einstieg ins Arbeitsleb­en oft behindern, werden nicht verschwind­en.

Die hehre Vorstellun­g der SPD von einer „gesellscha­ftlichen Tätigkeit“erweckt zudem den Eindruck, dass Langzeitar­beitslose vernachläs­sigte Aufgaben der Daseinsfür­sorge zum Billigtari­f erledigen sollen. Das darf nicht passieren. Denn so ein Schritt würde den regulären Arbeitsmar­kt aushöhlen. Sperrmüllb­eseitigung, Parksäuber­ung und andere Hilfsdiens­te durch Langzeitar­beitslose gab es auch schon mal. Damals sprach man nur von „Ein-Euro-Jobbern“.

Das steuerfina­nzierte „solidarisc­he Grundeinko­mmen“ist obendrein keineswegs eine Neuerfindu­ng der SPD. Wenn es überhaupt kommt, bedeutet dies noch lange nicht das Ende von Hartz IV. Denn eine Grundsiche­rung für erwerbsfäh­ige Arbeitslos­e, die keinen Anspruch auf Arbeitslos­engeld I haben, wird in irgendeine­r Form immer gebraucht. Sie gab es auch schon vor den Hartz-Gesetzen. Damals nannte man so eine staatliche Zuwendung einfach Sozialhilf­e. Diesem Begriff hing, das nur nebenbei, ein mindestens genauso großer Makel an.

„Ein-Euro-Jobber“? Hatten wir doch schon mal

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Zeichnung: Haitzinger Fernöstlic­he Ostern
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