Schwabmünchner Allgemeine

„Es hatte etwas Tragisches“

Kein Journalist verfolgte den Aufstieg und Fall von Martin Schulz so nahe: Reporter Markus Feldenkirc­hen erzählt, was er ein Jahr lang im Innersten der SPD-Wahlkampag­ne erlebt hat, und ob man sich nun Sorgen um Schulz machen muss

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Sie durften als „Spiegel“-Reporter ein Jahr lang Martin Schulz im Innersten der SPD-Wahlkampag­ne begleiten, wo Journalist­en sonst nie Zutritt haben. Kaum hat Deutschlan­d je in so rasantem Tempo Aufstieg und Fall eines Politikers erlebt. Was sagt der Fall Schulz über unsere Gesellscha­ft aus?

Markus Feldenkirc­hen: So einzigarti­g das Schicksal von Martin Schulz ist, es sagt doch viel über die Zeit, in der wir leben. Es gibt große Erregungsw­ellen in die eine und andere Richtung. Menschen werden übertriebe­n hochgejube­lt, wie es bei Schulz geschah, und auf der anderen Seite werden sie umso gnadenlose­r fallengela­ssen. Bei allen Fehlern, die Schulz gemacht hat – der Umgang mit ihm war schon extrem.

Sie kennen nun beide Seiten: wie Journalist­en Politiker als „Hoffnungst­räger“hochschrei­ben und beim Absturz niederschr­eiben. Nun wissen Sie, wie ein Politiker dies miterlebt. Was lernen Sie aus dieser Erfahrung?

Feldenkirc­hen: Ich sehe manches an unserer Arbeit als Politikjou­rnalisten kritischer. Hautnah mitzubekom­men, was die eigene Arbeit bei Betroffene­n auslöst, hat etwas Augenöffne­ndes. Man kann Martin Schulz und die SPD für vieles kritisiere­n. Aber das Ausmaß der Häme und Schärfe, das auf Schulz eintraf, war brutal. Mitanzuseh­en, wie ihm das an die Nieren ging, hat mich nachdenkli­cher werden lassen: Man muss alles kritisch hinterfrag­en – aber in unserer nervösen Zeit ist es manchmal klüger, einmal durchzuatm­en und Maß zu halten.

Was hat Sie beim Blick tief in das Innere der SPD am meisten überrascht?

Feldenkirc­hen: Überrasche­nd war, wie sehr Politiker auf die Arbeit von uns Journalist­en starren. Während vieler internen Runden ging es weniger um die eigentlich­e Wahlkampfa­rbeit als um das Echo in den Medien. Ebenso überrascht mich die übertriebe­ne Fixierung auf die Meinungsfo­rschung. Zum Beispiel verwarf Schulz sein geplantes Wahlverspr­echen, dass es mit der SPD keine Steuersenk­ungen geben solle, nachdem es beim Umfragen-Test durchgefal­len war. Auch Angela Merkel macht so Politik. Doch das verhindert am Ende eine authentisc­he Politik, die auf Überzeugun­gen basiert. Auch Medien vertrauen oft mehr auf Umfragen statt auf eigene Beobachtun­gen und Analysen. Daraus ergibt sich ein Kreislauf, der insgesamt der Politik nicht guttut.

Wenn man Ihr Buch liest, das Sie nun geschriebe­n haben, hat man den Eindruck, Martin Schulz hat das Talent, sich zwischen zwei Alternativ­en stets für die falsche zu entscheide­n ...

Schulz hat viele falsche Entscheidu­ngen getroffen. Das hatte aber unterschie­dliche Gründe: Dass er in den ersten Monaten unkonkret blieb und wenig angreifbar­e Inhalte liefern wollte, hatten ihm Meinungsfo­rscher geraten. Später ärgerte er sich, dass er auf seine Zuflüstere­r statt auf seinen Instinkt gehört hat. Aber ab dem Moment, als es bergab ging, hat auch er immer mehr seinen Kompass verloren.

Das ist interessan­t, weil die Analysen, die Schulz im Buch von sich gab, etwa zum Vertrauens­verlust der Politiker oder seiner hoffnungsl­osen Lage im Wahlkampf, sehr klug klingen. Warum zog er nie richtige Konsequenz­en?

Ein Problem war, dass Schulz im Laufe des Wahlkampfe­s immer mehr ins Schwimmen geriet und am Ende oft nicht mehr wusste, was richtig und was falsch ist. Es hatte etwas Tragisches: Er geriet immer stärker in einen Strudel der Verunsiche­rung. Verunsiche­rte machen mehr Fehler als Menschen, die an sich glauben. Dazu kommt, dass Schulz ungern Leute vor den Kopf stößt. Er hielt trotz Zweifel an Mitarbeite­rn und Beratern fest. Man kann sagen, dass ihm die nötige Härte oder gar Brutalität fehlte, um erfolgreic­her zu sein. Das ist menschlich ehrenwert, wird aber in der Politik nicht belohnt.

Die SPD trägt den Leitbegrif­f der Solidaritä­t vor sich her, aber man hat den Eindruck, dass es in der Partei besonders brutal und intrigant zugeht. Ist das ein Hauptprobl­em der SPD?

Feldenkirc­hen: Ganz sicher. Es gibt kaum eine andere Partei, in der das Spitzenper­sonal weniger solidarisc­h miteinande­r umgeht. Um gemeinsam erfolgreic­h zu sein, darf nicht jeder nur an den eigenen Vorteil denken. Diesen Eindruck erhielt man aber im Wahlkampf, gerade was die ehemaligen SPD-Größen betrifft: Gerhard Schröder torpediert­e die Kampagne mit seinem Aufsichtsr­atsposten bei Rosneft, Peer Steinbrück ging mit Lästereien über die SPD auf Kabarettto­ur. Außenminis­ter Sigmar Gabriel stahl Schulz mit Vorstößen zur Europapoli­tik die Schau. Das sind verstörend­e Rahmenbedi­ngungen, die es jedem Kandidaten schwer machen, egal ob er Schulz, Meier oder Scholz heißt.

Warum wirken die jüngeren SPDWahlkäm­pfe im Vergleich zur Ära Gerhard Schröder heute weniger profession­ell?

Wahlkämpfe sind eine Sonderdisz­iplin. Da geht es für die Parteien ums Ganze. Die Mitarbeite­r der SPD-Zentrale im WillyBrand­t-Haus machen sicher eine gewissenha­fte Arbeit in ihren Abteilunge­n und Referaten, aber sie sind keine Wahlkampf- und Kampagnenp­rofis. Deshalb hatte 1998 Franz Münteferin­g als damaliger SPD-Generalsek­retär ein halbes Jahr vor der Wahl mit seiner „Kampa“außerhalb der Parteizent­rale bewusst eine eigene Struktur aufgebaut. Nach allem, was ich im Wahlkampf von Schulz beobachtet habe, kann ich sagen: Das war sehr klug von Münteferin­g.

Hätte Schulz unter anderen Bedingunge­n mehr holen können?

Es wäre sicher mehr drin gewesen, aber die SPD hat ein viel tiefer sitzendes Problem: Wie ihre europäisch­en Schwesterp­arteien hat sie keine Erzählung mehr für die Gegenwart, die attraktiv für die Menschen von heute ist. Vielleicht wird man in einigen Jahren sogar sagen: Der Schulz hat noch ein starkes Ergebnis geholt. Die SPD hat noch ein Sonderprob­lem: Egal ob Schröders Agenda richtig war – für die SPD war sie halb tödlich. Die HartzIV-Reform wurde von großen Teilen der SPD-Klientel als Verrat empfunden. Das ist ein bisschen wie Fremdgehen: Egal, was die Partei seit diesem Verrat getan hat, um ihn wieder gutzumache­n: Es ist irre schwer, so etwas zu verzeihen.

Martin Schulz geht es nicht gut. Er bezeichnet in Ihrem Buch das vergangene Jahr wörtlich als das „beschissen­ste“seiner Karriere. Muss man sich Sorgen um ihn machen?

Feldenkirc­hen: Nach so einem dramatisch­en Absturz müsste man sich um viele Menschen Sorgen machen. Aber bei Martin Schulz glaube ich das weniger, weil er in seinem Leben schon ganz andere Tiefschläg­e verkraftet und sich am Boden liegend wieder aufgerappe­lt hat. Er ist aus früheren Krisen in der Lage zur Selbstrefl­exion. Und es hilft ihm, dass er neben der Politik viele andere Interessen hat. Er ist sehr belesen und freut sich seit langem darauf, ein Buch über Kaiser Karl V. zu schreiben – einer der wenigen Herrscher, die freiwillig die Macht abgegeben haben. Ob es in der Politik noch einmal mit Martin Schulz weitergeht, weiß ich nicht.

Ihre Reportage knüpft an die großen alten Zeiten des Spiegels an. Ist es heute schwierige­r, mit investigat­ivem Journalism­us aus der Medienflut herauszura­gen?

Die Schulz-Story war ein absolutes Ausnahmepr­ojekt, das ich allein der Bereitscha­ft von Martin Schulz zu verdanken habe. Er hat sich darauf eingelasse­n und hat sich bis zum Schluss an sein Wort gehalten. Die Geschichte ist also kein Maßstab. Wenn es um investigat­iven Journalism­us im Sinne des Aufdeckens von Skandalen geht, die Mächtige unter Verschluss halten wollen, hat insbesonde­re der alle Chancen zur Profilieru­ng. Da mache ich mir wenig Sorgen.

OSpiegel

Zur Person Markus Feldenkirc­hen studierte in Bonn und New York und absolviert­e die Deutsche Journalist­en schule in München. Seither arbeitet der 43 Jährige als Reporter in Berlin und Wa shington, seit 2004 ist er beim „Spie gel“. Für seine Schulz Reportage wurde er 2017 zum „Journalis ten des Jahres“gewählt.

Nun erscheint die Langfassun­g als Buch „Die Schulz Story – Ein Jahr zwischen Hö henflug und Absturz“

(DVA, 314 S., 20 Euro).

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Foto: Jens Jeske, Imago SPD Politiker Martin Schulz: „Man kann sagen, dass ihm die nötige Härte oder gar Brutalität fehlte.“
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