Schwabmünchner Allgemeine

Sie tragen ihren Franze auf Händen

Die Kicker des SV Pfaffenhof­en kümmern sich seit vier Jahrzehnte­n um einen behinderte­n Mann. Er ist einfach ein selbstvers­tändlicher Teil einer starken Truppe

- VON RONALD HINZPETER Pfaffenhof­en/Roth

Das Schlusswor­t in der Kabine hat nach einem Sieg meistens der Franze. Er würdigt noch einmal ausführlic­h die Mannschaft, lässt sie hochleben und der Applaus gehört ein Stück weit auch ihm. Vielleicht hat nicht jeder verstanden, was Franz Hornung gerade gesagt hat, denn er spricht recht undeutlich, „aber der Kern der Botschaft kommt schon rüber“, sagt Matthias Braun, der selber lange in der ersten Mannschaft des SV Pfaffenhof­en gekickt hat. Der Mann, den alle im Ort einfach nur Franze nennen, hat nie selber im Verein gespielt, denn er ist von Geburt an behindert, er ist mit dem Down-Syndrom zur Welt gekommen. Doch seit gut vier Jahrzehnte­n ist er ein unverrückb­arer Teil der Fußballabt­eilung des SV Pfaffenhof­en (Kreis Neu-Ulm). Es gehört zu den ungeschrie­benen Gesetzen des Vereins, dass er immer dabei ist, bei Heimspiele­n, bei Auswärtssp­ielen, bei Feiern – und ins Trainingsl­ager nach Kroatien haben sie ihn ebenfalls schon mitgenomme­n. Die Pfaffenhof­er Kicker leben seit Jahrzehnte­n das, was heute Inklusion heißt. Im Fall von Franz Hornung wäre eigentlich das Wort Institutio­n treffender, denn trotz seiner Einschränk­ungen, seiner Behinderun­gen gehört er einfach dazu. Für diese Integratio­n, um die der Verein noch nie irgendein Aufhebens gemacht hat, erhält die Fußballabt­eilung die Silberdist­el unserer Zeitung.

Und weil die Abteilung nie öffentlich ein Wort darüber verloren hat, dass sie sich eines behinderte­n Mannes angenommen hat, bittet denn auch Matthias Braun, in diesem Artikel möge unbedingt rauskommen, dass nicht sie sich bei der

Zeitung um die Auszeichnu­ng beworben hat. Kein Problem, denn den Anstoß gab Norbert Hornung, ein älterer Bruder von Franz. Wenn er über die Pfaffenhof­er Fußballer spricht, schwärmt er in den höchsten Tönen: „Das ist grandios.“Nur durch dieses Engagement sei sein Bruder selbstvers­tändlicher Teil der Gemeinscha­ft geworden.

Wann das alles anfing, weiß keiner mehr so genau. Es muss wohl gut 40 Jahre her sein, da tauchte Franz Hornung regelmäßig am Rande des SV-Fußballpla­tzes auf. Er stammt wie seine fünf Geschwiste­r von einem Bauernhof im Pfaffenhof­er Ortsteil Erbishofen. Nachdem er das Fahrradfah­ren gelernt hatte, war er ständig unterwegs. Bei

den Kickern bekam er bald die Linienrich­terfahne in die Hand gedrückt, denn damals gab es eigentlich niemanden, der sich um die Aufgabe gerissen hätte, höchstens die Buben aus der Schülerman­nschaft. So wuchs Franz Hornung in die Abteilung hinein, zu Heimspiele­n kam er mit dem Fahrrad, zu den Auswärtspa­rtien holte ihn die Mannschaft ab. „Er war sehr pflichtbew­usst und hat kaum ein Spiel verpasst“, erzählt Wolfgang Schwegler, ebenfalls einer der ehemaligen Aktiven. Im Verein blühte der junge Mann auf, der als gutmütig und sozial geschilder­t wird. Und im Laufe der Zeit „haben wir ihn auch besser verstanden“, sagt Matthias Braun, „und vielleicht haben wir ihn auch manchmal unterschät­zt“.

Franz Hornung durfte irgendwann wie selbstvers­tändlich als Ehrenspiel­er mit auflaufen, wurde als „Betreuer“mit auf die Mannschaft­sfotos genommen, bekam stets die neuesten Trikots und einen Trainingsa­nzug. Auf der Jacke steht als Name nur „Franze“. Matthias Braun: „Er hat in der Kabine Appelle gehalten und die Mannschaft hat ihm applaudier­t. Das hat er sichtlich genossen.“

Lange lebte Franz Hornung, der heute 57 Jahre alt ist, noch auf dem elterliche­n Hof, wurde von seinem ältesten Bruder betreut, denn alleine versorgen kann er sich nicht. Doch als der starb, musste „Franze“vor einigen Jahren in eine 15 Kilometer entfernte Behinderte­neinrichtu­ng ziehen, in die Lebenshilf­e nach Senden. Das war der Moment, den sein Bruder Norbert, der schon lange im Raum Stuttgart lebt, fürchtete: „Wir hatten Bedenken, dass das Band reißt.“Zu Unrecht, wie sich herausstel­lte, denn die Kicker halten auch weiterhin ihrem besonderen Vereinskam­eraden die Treue, holen ihn zu jedem Spiel ab und besuchen ihn, wenn er am Silvestert­ag Geburtstag feiert: „Da ist dann schon mal die halbe Mannschaft dabei.“

Norbert Hornung empfindet eine tiefe Dankbarkei­t gegenüber den Pfaffenhof­er Fußballern: „Sie sind für ihn wie eine Familie, so eine gute Betreuung konnten wir Franze nicht bieten. Das ist das Beste, was ihm passieren konnte.“

 ?? Foto: Andreas Brücken ?? Bei den Fußballern des SV Pfaffenhof­en steht – oder in diesem Fall besser: liegt – der behinderte Franz Hornung immer mal wie der im Mittelpunk­t. Der Verein betrieb schon Inklusion, da war dieses Wort noch weithin unbekannt.
Foto: Andreas Brücken Bei den Fußballern des SV Pfaffenhof­en steht – oder in diesem Fall besser: liegt – der behinderte Franz Hornung immer mal wie der im Mittelpunk­t. Der Verein betrieb schon Inklusion, da war dieses Wort noch weithin unbekannt.

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