Eine Portion Appetit aufs Leben
Anette Steinle ist zweifach im St.Vinzenz-Hospiz aktiv: Als Hauswirtschafterin kocht sie den Gästen ihr Wunschgericht und als ehrenamtliche Hospizhelferin betreut sie Schwerstkranke zu Hause. Beides sieht sie als Gewinn
Ein Satz hat sich ihr besonders eingeprägt. „Lass’ mich nicht allein, wenn ich sterbe“, lautete ein Wunsch, auf den die ambulante Hospizhelferin Anette Steinle ehrlich antworten musste: „Ich versuchs, aber ich kann es nicht versprechen – weil ich nicht weiß, wann der Moment kommt.“Tatsächlich war es ihr jedoch vergönnt, ihn nicht versäumen zu müssen. Denn als der von ihr betreute Mensch starb, war sie gerade vor Ort. Sie wirkt dankbar, wie sie das erzählt.
Authentisch zu sein, ist für Anette Steinle überaus wichtig. Ihrer Meinung nach gibt es ohnehin zu viele Menschen, die sich hinter einer Fassade verstecken, ihre Ängste verdrängen und auf Show machen. Sie selbst hat den Spagat zwischen professioneller Tätigkeit und Ehrenamt im gleichen Haus hinbekommen. 25 Stunden pro Woche arbeitet die ehemalige Hauswirtschaftsleiterin eines Altenheimes nun als Hauswirtschaftsmeisterin in der Küche des St. Vinzenz-Hospiz in der Hochzoller Nebelhornstraße. Dem aktuellen Bedarf angepasst ist sie seit gut zwei Jahren außerdem ehrenamtlich als Hospizhelferin im Einsatz und begleitet die Schwerstkranken und ihre Angehörigen auch daheim. Wie sie dazu kam, kann mancher Mitmensch nicht nachvollziehen. Die 48-Jährige selbst muss aber nicht lange überlegen, um es zu erklären. „Das Ehrenamt hat mich gefunden“, sagt sie, „nicht umgekehrt.“
Denn Anette Steinle ist stolz auf ihre Tätigkeit – auf das Hospiz und die individuelle Betreuung, die beispielsweise durch die Einhaltung der Schweigepflicht gegenüber allem und jedem sowie in der Zubereitung sogenannter „Wunschkost“zum Ausdruck kommt. Die Sterbenden, die ihre letzte Etappe des Lebens auf der Station verbringen, empfindet sie als „unglaublich offen“. Wegbegleiter sein zu dürfen, gibt ihr ein ungemein erfüllendes Gefühl. Dieses „extreme Vertrauen“, das ihr entgegengebracht werde, sei ein Geschenk. Denn Sterben hält sie für „mit das Intimste, das es gibt“. Ihrer Überzeugung nach muss jeder „allein“, beziehungsweise „für sich selbst sterben“; einsam müsse aber niemand dabei sei.
Anette Steinle hat von ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit schon viel profitiert. So kann sie sagen: „Ich habe keine Angst mehr vor dem Sterben. Mehr Angst habe ich vor einem extrem schweren Leiden.“Eine Frage jedoch stelle sie sich öf- ter: „Bin ich zu nah dran?“Das heißt, dass sie die richtige Distanz einhalten möchte, die ihr und den Betreuten guttut. Sie sehe sich als eine Art Brücke zwischen allen Beteiligten. Die gebürtige Fränkin hält sich für einen lebensfrohen Menschen. „Manchmal bin ich auch laut, krachert und direkt“, sagt sie. Sie lache viel und gern, könne sich aber durchaus zwei Stunden hinsetzen, einfach da sein und schweigen.
Häufig begegnet Anette Steinle eine Reaktion, wenn sie über ihre Tätigkeit als Hospizhelferin Aus- kunft gibt: „Oh Gott – du bist die ganze Zeit mit dem Tod konfrontiert .“Dann müsse sie sagen: „Wieso, die Leute leben doch noch.“Und ihnen dieses Leben so angenehm wie möglich zu gestalten, hält sie für eine wichtige Aufgabe – hauptberuflich wie ehrenamtlich. Und da kommt die Küche ins Spiel.
„Essen hat etwas mit Emotionen zu tun, ist etwas Sinnliches“, sagt die Ehefrau und Mutter eines 18-jährigen Sohnes, die zusammen mit zwei Kolleginnen in der Küche des St. Vinzenz-Hospiz auf die Wünsche der „Gäste“auf besondere Weise eingeht. Denn alle wissen, dass in der Krankheit der Appetit leidet. Gerade der aber könne noch Lust aufs Leben machen.
St. Vinzenz ist eines der wenigen Hospize in Bayern, das laut Anette Steinle das „Wunschgericht“anbietet. Sagt ein „Gast“, „mei, ich hätt’ Lust auf Pfannkuchen mit Marmelade“oder auf Püree anstelle von Spätzle zur Roulade, bekommt er es. Dann ist das für das KüchenTeam die Herausforderung schlechthin. Jedoch sei es manchmal schwieriger, aus einer einzigen Kartoffel Püree zu kochen als aus einem ganzen Kilo. Und deshalb ist es laut Annette Steinle manchmal die größere Kunst, eine kleine Portion zuzubereiten.
Auch eine Suppe komme nicht aus dem Päckchen. Ferner müsse darauf geachtet werden, dass das Essen nicht scharf und nicht zu trocken sein darf und es sollte ansprechend angerichtet sein. „Wir sind für unsere Gäste das letzte Zuhause“, sagt Anette Steinle, deren Auskunft nach auch die Besucher der im Haus Betreuten jederzeit mitessen dürfen. Denn das Essen sei etwas Kommunikatives und Geselliges. Und das größte Kompliment, das Annette Steinle für ihre Kost bislang erhielt, lautete: „Die Rindsrouladen haben wie bei meiner Mutter geschmeckt.“Regelrechte Schweißausbrüche habe jedoch der Essenswunsch nach einem „Grießbrei wie von Muttern“ausgelöst. Denn um die gewohnte Textur oder Konsistenz hinzubekommen, müsse man sie erst einmal selbst erlebt haben.
Spenden ermöglichen diesen „Luxus“, wie ihn die Mitarbeiter schätzen und aufrechterhalten. Darauf werde das Hospiz, das voraussichtlich im Herbst nach Oberhausen in neue Räume umziehen wird,
Auf Wunsch gibt es Püree aus einer Kartoffel
auch in Zukunft angewiesen sein. Auch ohne die ehrenamtlichen Hospizhelfer wäre ein Betrieb laut Anette Steinle in dieser Form nicht denkbar. Vorbereitet werden die Interessenten in einem Kurs bei sechs Wochenend-Modulen und an einem zusätzlichen Pflegetag. Bei diesem üben die Teilnehmer untereinander, wie ein Rollstuhl sicher geschoben, Essen eingegeben oder Hilfestellung beim Aufsetzen gegeben werden kann. Das alles schärfe das Bewusstsein dafür, wie es dem „Gast“in den jeweiligen Situationen geht.
Der Erstkontakt findet stets telefonisch statt. Dann ist die Hospizhelferin „immer aufgeregt“, auch wenn sie sicher ist, dass es dem Menschen am anderen Ende der Leitung ebenso geht. Bei diesem Gespräch ist ihre Haltung immer gleich. Um es zu veranschaulichen, erhebt sie sich vom Stuhl und sagt: „Ich stehe dabei immer.“Den Koordinierungskräften macht sie indirekt ein Kompliment für ihre Auswahl der Paarungen. „Bei mir“, sagt die 48-Jährige, „hatten sie immer ein glückliches Händchen – es hat gepasst.“