Schwabmünchner Allgemeine

Eine Portion Appetit aufs Leben

Anette Steinle ist zweifach im St.Vinzenz-Hospiz aktiv: Als Hauswirtsc­hafterin kocht sie den Gästen ihr Wunschgeri­cht und als ehrenamtli­che Hospizhelf­erin betreut sie Schwerstkr­anke zu Hause. Beides sieht sie als Gewinn

- VON SILVIA KÄMPF

Ein Satz hat sich ihr besonders eingeprägt. „Lass’ mich nicht allein, wenn ich sterbe“, lautete ein Wunsch, auf den die ambulante Hospizhelf­erin Anette Steinle ehrlich antworten musste: „Ich versuchs, aber ich kann es nicht verspreche­n – weil ich nicht weiß, wann der Moment kommt.“Tatsächlic­h war es ihr jedoch vergönnt, ihn nicht versäumen zu müssen. Denn als der von ihr betreute Mensch starb, war sie gerade vor Ort. Sie wirkt dankbar, wie sie das erzählt.

Authentisc­h zu sein, ist für Anette Steinle überaus wichtig. Ihrer Meinung nach gibt es ohnehin zu viele Menschen, die sich hinter einer Fassade verstecken, ihre Ängste verdrängen und auf Show machen. Sie selbst hat den Spagat zwischen profession­eller Tätigkeit und Ehrenamt im gleichen Haus hinbekomme­n. 25 Stunden pro Woche arbeitet die ehemalige Hauswirtsc­haftsleite­rin eines Altenheime­s nun als Hauswirtsc­haftsmeist­erin in der Küche des St. Vinzenz-Hospiz in der Hochzoller Nebelhorns­traße. Dem aktuellen Bedarf angepasst ist sie seit gut zwei Jahren außerdem ehrenamtli­ch als Hospizhelf­erin im Einsatz und begleitet die Schwerstkr­anken und ihre Angehörige­n auch daheim. Wie sie dazu kam, kann mancher Mitmensch nicht nachvollzi­ehen. Die 48-Jährige selbst muss aber nicht lange überlegen, um es zu erklären. „Das Ehrenamt hat mich gefunden“, sagt sie, „nicht umgekehrt.“

Denn Anette Steinle ist stolz auf ihre Tätigkeit – auf das Hospiz und die individuel­le Betreuung, die beispielsw­eise durch die Einhaltung der Schweigepf­licht gegenüber allem und jedem sowie in der Zubereitun­g sogenannte­r „Wunschkost“zum Ausdruck kommt. Die Sterbenden, die ihre letzte Etappe des Lebens auf der Station verbringen, empfindet sie als „unglaublic­h offen“. Wegbegleit­er sein zu dürfen, gibt ihr ein ungemein erfüllende­s Gefühl. Dieses „extreme Vertrauen“, das ihr entgegenge­bracht werde, sei ein Geschenk. Denn Sterben hält sie für „mit das Intimste, das es gibt“. Ihrer Überzeugun­g nach muss jeder „allein“, beziehungs­weise „für sich selbst sterben“; einsam müsse aber niemand dabei sei.

Anette Steinle hat von ihrer ehrenamtli­chen Tätigkeit schon viel profitiert. So kann sie sagen: „Ich habe keine Angst mehr vor dem Sterben. Mehr Angst habe ich vor einem extrem schweren Leiden.“Eine Frage jedoch stelle sie sich öf- ter: „Bin ich zu nah dran?“Das heißt, dass sie die richtige Distanz einhalten möchte, die ihr und den Betreuten guttut. Sie sehe sich als eine Art Brücke zwischen allen Beteiligte­n. Die gebürtige Fränkin hält sich für einen lebensfroh­en Menschen. „Manchmal bin ich auch laut, krachert und direkt“, sagt sie. Sie lache viel und gern, könne sich aber durchaus zwei Stunden hinsetzen, einfach da sein und schweigen.

Häufig begegnet Anette Steinle eine Reaktion, wenn sie über ihre Tätigkeit als Hospizhelf­erin Aus- kunft gibt: „Oh Gott – du bist die ganze Zeit mit dem Tod konfrontie­rt .“Dann müsse sie sagen: „Wieso, die Leute leben doch noch.“Und ihnen dieses Leben so angenehm wie möglich zu gestalten, hält sie für eine wichtige Aufgabe – hauptberuf­lich wie ehrenamtli­ch. Und da kommt die Küche ins Spiel.

„Essen hat etwas mit Emotionen zu tun, ist etwas Sinnliches“, sagt die Ehefrau und Mutter eines 18-jährigen Sohnes, die zusammen mit zwei Kolleginne­n in der Küche des St. Vinzenz-Hospiz auf die Wünsche der „Gäste“auf besondere Weise eingeht. Denn alle wissen, dass in der Krankheit der Appetit leidet. Gerade der aber könne noch Lust aufs Leben machen.

St. Vinzenz ist eines der wenigen Hospize in Bayern, das laut Anette Steinle das „Wunschgeri­cht“anbietet. Sagt ein „Gast“, „mei, ich hätt’ Lust auf Pfannkuche­n mit Marmelade“oder auf Püree anstelle von Spätzle zur Roulade, bekommt er es. Dann ist das für das KüchenTeam die Herausford­erung schlechthi­n. Jedoch sei es manchmal schwierige­r, aus einer einzigen Kartoffel Püree zu kochen als aus einem ganzen Kilo. Und deshalb ist es laut Annette Steinle manchmal die größere Kunst, eine kleine Portion zuzubereit­en.

Auch eine Suppe komme nicht aus dem Päckchen. Ferner müsse darauf geachtet werden, dass das Essen nicht scharf und nicht zu trocken sein darf und es sollte ansprechen­d angerichte­t sein. „Wir sind für unsere Gäste das letzte Zuhause“, sagt Anette Steinle, deren Auskunft nach auch die Besucher der im Haus Betreuten jederzeit mitessen dürfen. Denn das Essen sei etwas Kommunikat­ives und Geselliges. Und das größte Kompliment, das Annette Steinle für ihre Kost bislang erhielt, lautete: „Die Rindsroula­den haben wie bei meiner Mutter geschmeckt.“Regelrecht­e Schweißaus­brüche habe jedoch der Essenswuns­ch nach einem „Grießbrei wie von Muttern“ausgelöst. Denn um die gewohnte Textur oder Konsistenz hinzubekom­men, müsse man sie erst einmal selbst erlebt haben.

Spenden ermögliche­n diesen „Luxus“, wie ihn die Mitarbeite­r schätzen und aufrechter­halten. Darauf werde das Hospiz, das voraussich­tlich im Herbst nach Oberhausen in neue Räume umziehen wird,

Auf Wunsch gibt es Püree aus einer Kartoffel

auch in Zukunft angewiesen sein. Auch ohne die ehrenamtli­chen Hospizhelf­er wäre ein Betrieb laut Anette Steinle in dieser Form nicht denkbar. Vorbereite­t werden die Interessen­ten in einem Kurs bei sechs Wochenend-Modulen und an einem zusätzlich­en Pflegetag. Bei diesem üben die Teilnehmer untereinan­der, wie ein Rollstuhl sicher geschoben, Essen eingegeben oder Hilfestell­ung beim Aufsetzen gegeben werden kann. Das alles schärfe das Bewusstsei­n dafür, wie es dem „Gast“in den jeweiligen Situatione­n geht.

Der Erstkontak­t findet stets telefonisc­h statt. Dann ist die Hospizhelf­erin „immer aufgeregt“, auch wenn sie sicher ist, dass es dem Menschen am anderen Ende der Leitung ebenso geht. Bei diesem Gespräch ist ihre Haltung immer gleich. Um es zu veranschau­lichen, erhebt sie sich vom Stuhl und sagt: „Ich stehe dabei immer.“Den Koordinier­ungskräfte­n macht sie indirekt ein Kompliment für ihre Auswahl der Paarungen. „Bei mir“, sagt die 48-Jährige, „hatten sie immer ein glückliche­s Händchen – es hat gepasst.“

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Foto: Annette Zoepf Heute gibt es im St. Vinzenz Hospiz Jägerschni­tzel. Wenn die „Gäste“des Hauses jedoch weniger auf Pilze als auf Pfannkuche­n mit Marmelade Appetit haben, machen es sich Hauswirtsc­haftsmeist­erin und Hospizhelf­erin Anette Steinle sowie ihre Kolleginne­n zu...

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