April, April!
Der Volkskundler Rainer Wehse erklärt, was der Aprilscherz mit Augsburg zu tun hat und was den Brauch auch heute noch am Leben erhält
Herr Wehse, Deutsche und Humor – passt das denn überhaupt zusammen?
Unbedingt. Nur ist der Humor anders gelagert als zum Beispiel in England. Die Deutschen erkennen eine versteckte scherzhafte Aussage nicht.
Wirklich?
Wenn ich mich beispielsweise über Raucher mokiere, obwohl ich selbst Raucher bin, sagen viele Deutsche: „Aber du rauchst ja selbst.“Ja, aber das ist doch gerade der Witz! Das würde man in England nie missverstehen.
Dafür schicken wir Deutschen uns bald wieder in den April. Oder ist der Aprilscherz hierzulande etwa aus der Mode gekommen?
Alle Bräuche haben Konjunktur: Mal sind sie populär, mal sind sie es nicht. Einige verschwinden auch und kommen dann plötzlich wieder. Der Aprilscherz ist in einem sehr großen Kulturraum verbreitet, deshalb bleibt er wohl erhalten. Allerdings gibt es keine Belege dafür, wie viele Aprilscherze in den vergangenen Jahrzehnten gemacht wurden. Meine Frau jedenfalls schickt mich regelmäßig und mit Erfolg in den April. (lacht)
Und wer keine Frau hat, die ihn am 1. April veralbert?
Viele Menschen bekommen Aprilscherze inzwischen auch mit, weil große Firmen sie machen. Burger King hat beispielsweise 1998 den Whopper für Linkshänder angekündigt. Und der wurde vielfach bestellt. Darüber kann ich noch immer lachen. Unter Firmen ist das Tradition geworden. Zusätzlich rufen Medien den Aprilscherz ins Bewusstsein. Sonst würden wir jetzt auch nicht dieses Interview führen.
Soll das heißen, wir Journalisten tragen zur Brauchtumspflege bei?
Wehse: Das könnte man so sagen.
Worauf lässt sich der Brauch zurückführen?
Das ist nicht eindeutig geklärt, es gibt lediglich Spekulationen. Ein möglicher Ursprung liegt in Augsburg. Am 1. April 1530 hätte dort der Reichstag stattfinden sollen. Viele Spekulanten investierten ihr Erspartes, weil an diesem Tag das Münzwesen neu geregelt werden sollte. Als der Reichstag abgesagt wurde, haben viele Menschen ihr Geld verloren und standen wie „Narren“da. Daraus könnte der Aprilscherz hervorgegangen sein. Allerdings glaube ich persönlich nicht, dass dieses Ereignis – zufällig auch am 1. April – der Ursprung für den Brauch ist. Es handelte sich ja nicht um einen bewussten Scherz.
Was also ist wahrscheinlicher?
Es könnte auch der Tag des römischen Narrenfestes sein. Das ist mit dem heutigen Fasching zu vergleichen. Die Römer haben sich verkleidet, Schabernack getrieben.
Welchen Nutzen hat der Aprilscherz?
Er ist ein Ventilbrauch. Im alltäglichen Leben müssen wir uns in Zurückhaltung üben. Am 1. April stellen wir dann Sachen an, die sonst nicht in Ordnung wären.
Und wo ist der Aprilscherz nun überall verbreitet?
Im ganzen indoeuropäischen Raum – von Indien über Europa bis zu den USA und Südamerika. Allerdings fällt oder fiel der „Scherztag“nicht immer auf den 1. April.
War das auch so in Deutschland?
Zumindest ist es hierzulande nicht immer so gewesen. Manchmal war es der 1. Mai oder der 1. März. Der erste schriftliche Beleg für den April stammt von 1631.
Warum wird der Brauch gerade am Anfang des Monats praktiziert?
Der Monatsanfang oder allgemein die Bedeutung des „Ersten“ist typisch für Bräuche und Riten. Die Zukunft ist noch ungewiss, etwas Gutes oder Schlechtes kann noch passieren. Beispiele sind: der Erstgeborene, die erste Liebe oder der erste Zahn samt Zahnfee. Der Monatsanfang ist also kein Zufall. Der Monat April eher schon.
Sie sind über Ostern in Indien. Rechnen Sie mit einem Aprilscherz?
Als Tourist ist man in Indien wohl eher eine heilige Kuh – also unantastbar.