Schwabmünchner Allgemeine

Die „Bella Oma“aus dem A Block

Helga Wahl verlor ihr Herz erst mit 75 an den Bundesligi­sten. Es war auch keine Liebe auf den ersten Blick. Heute kann sich die 79-jährige Seniorin ein Leben ohne Fußball nicht mehr vorstellen. Schuld daran ist ihre Tochter

- VON ROBERT GÖTZ

Mit dem Geschenk ihrer Tochter Ilona zum 75. Geburtstag wusste Helga Wahl erst mal gar nichts anzufangen. „Eine Eintrittsk­arte zum FC Augsburg? Da hab ich mir gedacht, ach, in meinem Alter zum Fußball gehen? Was tu ich? Mitgehen?“, erinnert sich die Seniorin an ihre erste Begegnung mit dem Bundesligi­sten am 1. März 2014.

Helga Wahl sitzt in ihrer akkurat aufgeräumt­en 85-Quadratmet­erWohnung im Augsburger Univiertel und zeigt stolz ihre FCA-Fan-Utensilien. Darunter sind neben dem schwarzen FCA-Hoodie, der roten Decke mit dem FCA-Wappen, auch diverse Fanschals. Einer ist vom Europa-League-Spiel in Liverpool. Die Sache zwischen dem FCA und Helga Wahl war vielleicht keine Liebe auf den ersten Blick, aber sie entwickelt­e sich nach dem ersten Kontakt zu einer leidenscha­ftlichen Liaison, die bis heute hält.

Denn sie entschied sich, mit ihrer Tochter zum Spiel des FCA gegen Hannover 96 zu gehen. Es war für die Rentnerin ein genauso einschneid­endes erstes Mal wie für Ragnar Klavan. Der estnische Nationalsp­ieler erzielte damals in der 56. Minute mit seinem ersten Bundesliga­tor den 1:1-Endstand. Der 32-Jährige spielt inzwischen beim FC Liverpool. Die 79-jährige Helga Wahl ist ihrem FCA treu geblieben. „Als wir damals aus dem Stadion gegangen sind, hab ich zu meiner Tochter gesagt, da dät i öfters hingehen. Das war der Beginn.“

Seit über vier Jahren hat Helga Wahl so gut wie kein Heimspiel verpasst und auch auswärts fährt sie, so oft es die Gesundheit erlaubt, mit. Immer an ihrer Seite ihre Tochter Ilona, 56. „Wo sie mit will und kann, fahren wir zusammen.“

Wie zum ersten internatio­nalen Spiel in der Vereinsges­chichte in der Europa League nach Bilbao im September 2015. Helga Wahl schwärmt noch heute: „Schon die Stimmung im Fan-Flieger war traumhaft. Und dann erst vor Ort. Beim Fanmarsch zum Stadion haben uns die Leute von den Fenstern aus zugewunken. Wir haben uns selten so gut aufgenomme­n gefühlt.“

Flugreisen ins Baskenland oder nach Liverpool, stundenlan­ge Busfahrten auf Deutschlan­ds Autobahnen nach Dortmund, Mainz, aber auch Kurztrips mit dem FCA II zum Auswärtssp­iel in Ingolstadt – für Helga Wahl wirkt das wie ein kräftiger Schluck aus dem Jungbrunne­n. „Es ist anstrengen­d, aber ich habe ja Zeit, dass ich mich wieder erhole. Es macht mir so viel Spaß und Freid“, sagt sie im unvergleic­hlichen Augsburger Dialekt. „Wenn ich komme, umarmen die mich, die mich näher kennen. Sie freuen sich, dass ich da bin. Ich freue mich, dass ich sie sehe. Mir bringt das so viel. Ich habe das Gefühl, es hält mich jung.“

Auch ein bisschen Berühmthei­t hat Helga Wahl mit ihrem Faible für die Fremde schon erreicht. Mit einem großen Bild und kleinen Text im Fußball-Magazin 11 Freunde.

Dabei hatte sie 2015 vor ihrer ersten Auswärtsfa­hrt nach Köln, als FCATorhüte­r Hitz den Elfmeterpu­nkt malträtier­te, schon ein wenig Angst: „Ich dachte, vielleicht denken die: Was will die Alte hier?“Doch alle seien nett und hilfsberei­t gewesen.

Das kann Helga Wahl von der Polizei nicht immer behaupten. Mit der aktiven Fanszene ist sie bei Auswärtsfa­hrten unterwegs und läuft oft im Pulk zum Stadion. Beim Auswärtssp­iel der zweiten Mannschaft in Ingolstadt wollte sie mit ihrer Tochter nur die Straßensei­te wechseln, als sie von einem Beamten rüde angeschnau­zt wurden. „Die Polizisten dort waren so aggressiv. Da würde es mich nicht wundern, wenn sich die Fans mit ihnen anlegen würden. Die provoziere­n die Fans richtig“, entrüstet sich die Seniorin.

Dabei hatte Helga Wahl bis zu ihrem 75. Geburtstag mit Fußball nichts am Hut. Aufgewachs­en in Gersthofen, heiratet sie 1960 ihren Mann. Der arbeitete bei der Bahn. Danach zog die Familie ins Hochfeld, in die Eisenbahne­r-Häuser. „Mei“, sagt Helga Wahl, „damals haben wir für die Wohnung ohne Bad und Heizung nur mit Kohleofen 75 Mark gezahlt. Es war alles teurer, es war keine gute Zeit.“

Doch die Wahls arbeiteten hart, Helga Wahl 40 Jahre bei Siemens in der Personalab­teilung. Ein Schreberga­rten an der Lindauer Straße war das Refugium der Familie. „Fußball hat mich nie interessie­rt. Ich hatte nie Zeit, ich war berufstäti­g, musste Pflegefäll­e versorgen, meine Schwiegerm­utter, mein Vater, meine Mutter, zuletzt meinen Mann.“Der starb vor acht Jahren. Ihre einzige Tochter Ilona hat sich schon immer für den FCA interessie­rt. Mal mehr, mal weniger. Als sie vor rund fünf Jahren ein schweres Augenleide­n überstand, fasste sie den Entschluss. „Ich mache nur noch das, was mir Spaß macht. Darunter ist auch der FCA.“

Ihre Mutter hat sie ab deren 75. Geburtstag mitgenomme­n. Wie früher auf die gemeinsame­n Reisen nach Kanada, Venezuela oder Kuba. Jetzt lässt man es gemütliche­r angehen. Dabei lässt sich Helga Wahl von ihrem Alter nicht beeindruck­en. Die 79-Jährige fährt Auto, hat bis vor kurzem noch Englisch gelernt und geht regelmäßig zum Kegeln bei der MBB-SG Augsburg.

Ihr Dreh- und Angelpunkt am Wochenende ist aber der FCA. In der WWK-Arena sitzt sie mit ihrer Tochter bei Heimspiele­n im Block A. Da vergisst sie auch ihr Weichteilr­heuma. „Wenn ich Schmerzen habe, spüre ich die nicht, weil ich mitspiele. Wenn sie verlieren, bin ich traurig. Und wenn sie schlecht spielen, bin ich narrert.“

Highlights sind aber die Auswärtsfa­hrten. Seit über einem Jahr sind Helga und Ilona Mitglieder von „Bella Augusta“, dem einzigen Frauen-Fanklub des FCA. Am heutigen Samstag geht es mit dem Bus nach Leverkusen. Helga Wahl freut sich: „Die aktive Fanszene ist wie eine große Familie, und ich bin bei unseren Mädels die Bella-Oma.“

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Foto: Ulrich Wagner Helga Wahl ist durch ihre Tochter Ilona (rechts) erst spät mit dem FCA in Berührung gekommen. Doch seitdem kann sich die 79 Jährige ein Leben ohne Fußball nicht mehr vorstellen.

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