Der Junge von der Mauer
Als Schulreferent Hermann Köhler selbst noch Schüler war, machte er die Lehrer mit einer Eigenheit auf sich aufmerksam. Zum Thema Bildung hat er eine spezielle Meinung
Neulich wurde Hermann Köhler von einem alten Schulfreund gefragt, wie lange er noch arbeitet. Die Frage erinnerte ihn an die Absehbarkeit seiner Verantwortung in der Stadt. 2020 geht er in den Ruhestand. Zwei Jahre, in denen der Bildungsreferent, der heute 65 Jahre alt wird, noch viel zu tun hat. Köhler selbst weiß am besten, wie wichtig Bildung für den eigenen Lebenslauf ist. Dabei wollte er als Jugendlicher gar nicht aufs Gymnasium.
Als Sohn eines Maurers und einer Hausfrau wuchs Köhler in einem kleinen Dorf bei Landsberg auf. Ihm selbst hätte die Volksschule völlig gereicht. Wären da nicht Förderer gewesen, die meinten, der Bub müsse unbedingt auf eine weiterführende Schule. „Vier Jahre war ich in einem Internat in Nördlingen, dann wechselte ich dort auf eine staatliche Schule.“Für den jungen Köhler war das der Startschuss in ein freies Leben mit mehr Selbstverantwortung. Mit zwei Mitschülern gründete er eine Wohngemeinschaft in einem alten Haus an der Nördlinger Stadtmauer. Der Bildungsreferent lacht. „Wir waren damals, anfang der 70er, wahrscheinlich die erste WG in der Stadt.“Weil einer des Trios immer in der sechsten Schulstunde fehlte, wurden die Lehrer misstrauisch, erzählt er weiter.
„Wir waren Selbstversorger. Einer von uns ist immer früher heim, um schon mal Mittagessen zu kochen. Da waren wir traditionell“, meint er verschmitzt. Bald waren drei Gymnasiasten als „die Jungs von der Mauer“bekannt. Neugierige Lehrer besuchten ihre WG. Mädchen kamen vorbei. Sie glaubten nicht, dass die jungen Männer kochen können. Noch heute backt der Bildungsreferent gerne, wenn er dazu kommt.
Köhler studierte, wurde Lehrer, schaffte es bis zum Leiter des Staatlichen Schulamtes. Seit zehn Jahren ist er Augsburgs Bildungsreferent. Der Mann mit dem feinen Humor ist seinen Eltern immer noch dankbar, dass sie ihm das Gymnasium ermöglicht hatten. „Ohne die Aufgabe ihrer eigenen Ansprüche hätte das nie funktioniert. Es kostete schließlich Geld.“Der 65-Jährige weiß, dass Bildungsförderung im Elternhaus beginnt, aber dass auch Schulen Verantwortung tragen. Gerade wenn es um das Thema Integration geht. „Inzwischen haben 60 Prozent der Erstklässler in ihrer Familiengeschichte einen Migrationshinterdie grund.“Das bringe neue Anforderungen, auch an die Lehrer, die in Workshops entsprechend geschult werden. Köhler ist Integrationsarbeit wichtig. „Daran hängt auch der Erfolg einer Stadtgesellschaft.“
Er erinnert sich an seine Anfänge als Lehrer an der Grund- und Teilhauptschule in Kriegshaber vor rund 40 Jahren. Schon zu der Zeit sei es Dauerthema gewesen, dass die Stadt nicht genügend in Schulen investiere. „Ich hätte damals nicht gedacht, dass ich dieses Thema 40 Jahre später an der Backe habe.“Köhler spricht das marode Schulzentrum am Alten Postweg an. Eine sprichwörtliche „Baustelle“, die ihn sehr belaste, wie er offen zugibt. Die Stadt wird dort in den kommenden Jahren mindestens 75 Millionen Euro in die Sanierung stecken müssen. Köhler hat Verständnis, dass bei Schülern und Lehrern, die schon länger unter erschwerten Bedingungen arbeiten und lernen müssen, die Frustrationsgrenze überschritten ist. Aber im Bildungsreferat könne man andere Stellen, die dafür mit verantwortlich sind, nicht immer unbedingt vorantreiben. „Die bautechnischen Angelegenheiten etwa sind nicht unser Job.“
Ab 2020 will die Stadt mit der Sanierung beginnen. Das Jahr, in dem sich Köhler in den Ruhestand verabschieden wird. Dann hat er sicherlich mehr Zeit, mit seiner Frau zu reisen und mit Freunden Tennis zu spielen. Die Tage um seinen heutigen Geburtstag genießt der Referent mit Ehefrau und Tochter in einem Hotel in den Bergen.