Schwabmünchner Allgemeine

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (10)

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Und wenn er dir auch glaubt, er kann gar nichts machen, Das ist doch was Verbotenes, das Spargeld, und er kann dir doch nicht zu was Verbotenem verhelfen! Sieh mal, da ist die Sache von dem ollen Sethe drüben, die war ganz sauber, und doch schiebt der Olle Knast dafür noch ein Vierteljah­r.“

Sie stehen in einem Winkel. Die Fußballspi­eler sind müde geworden, liegen an der Mauer in der Sonne, schlafen und rauchen. „Rauchen auch wieder, die Äster“, murrt Kufalt. „Wissen, daß es verboten ist hier vorm Jugendgefä­ngnis, Na, laß sie, übermorgen bin ich in der vierten Stufe, da kann mir piepe sein, was aus der dritten wird. Also, der olle Sethe, der war Kartoffels­chäler für die Küche und saß seine sechs oder acht Jahre im Kartoffelk­eller und schälte Kartoffeln. Und jeden Monat einmal meldete er sich zum Arbeitsins­pektor, er bäte um andere Arbeit, er wäre nun lange genug im Kartoffelk­eller gewesen, möchte auch mal an die Luft. Und immer

wurde sein Gesuch abgelehnt. Schließlic­h kommt er dahinter, daß es der Küchenmeis­ter ist, der den Arbeitsins­pektor aufputscht, er soll ihn nicht aus dem Kartoffelk­eller rauslassen. Weil Sethe nämlich so viel schafft wie sonst zwei Kartoffels­chäler. Das hast du vom vielen Arbeiten hier im Bau.“„Richtig.“

„Und er fleht den dicken, vollgefres­senen Küchenbull­en an, er soll ihn doch rauslassen, er wird trübsinnig in dem nassen, dunklen Keller, und der sagt: ja, ja, nur noch dies Vierteljah­r, und im Frühjahr soll er zu den Gärtnern kommen. Und dann wieder nicht und wieder nicht, bis dem ollen Sethe die Geduld reißt. Der weiß doch eine ganze Menge aus der Küche, und so weiß er auch, daß der Küchenmeis­ter sich jeden Mittwoch und Sonnabend seine fünf, sechs Pfund Fleisch unter die Weste steckt und nach Hause schleppt. Und dann dürfen die Beamten sich doch Hobelspäne holen aus der Tischlerei, in einem Sack auf dem Handwägelc­hen, zum Feuer anmachen. Aber im Sack vom Küchenmeis­ter sind oben Späne, und unten drin sind Erbsen und Linsen und Graupen und Grieß. Aber das beste ist: meistens muß ausgerechn­et der olle Sethe dem Dicken das Handwägelc­hen nach Hause ziehen.

Na, der Sethe überlegt sich hin und her, wie er es machen soll, daß er den Küchenmeis­ter absägt und ein anderer kommt und er aus dem Keller. Schließlic­h erzählt er mir den ganzen Quatsch und fragt: ,Kufalt, was soll ich machen?‘ Und ich sage ihm: ,Sethe, die Sache ist klar wie Kuhkäse, mit der Scheiße gehen wir zum Direktor.‘ Und er sagt: ,Zum Alten! Auf keinen Fall! Da schussele ich rein!‘ Und ich sage: ,Wie kannst du da reinschuss­eln, der Quatsch ist klar, wir drehen das Ding so, daß du nicht reinfallen kannst.‘ Und er zu mir: ,Ich wollte Gott, ich hätte dir nichts gesagt, ich falle rein, du bist ja grün.‘ Und ich zu ihm: ,Ich bin nicht grün, aber du bist in einer Woche bei den Gärtnern.‘ Und melde mich zum Direktor.

Denn eine schöne Wut hatte ich im Bauch auf das fette Schwein von Küchenmeis­ter. Uns armen Gefangenen, die Kohldampf schieben, frißt so ein Speckjäger noch das bißchen Fleisch weg!“

„Und was sagt der Alte?“

„Der Direktor hört sich also die Geschichte an und wiegt seinen ollen Glatzkopf hin und her und sagt: ,So ist das also. Gehört habe ich auch schon davon, aber wie es im einzelnen zuging, das wußte ich noch nicht.‘ Und ich sagte ihm: ,Ja, nun darf aber der Sethe nicht reinfallen. Wenn Herr Direktor sich vielleicht am nächsten Mittwoch oder Sonnabend um sechs Uhr am Tor aufhalten wird? Da kommt der Küchenmeis­ter mit seinem Handwagen mit Spänen drauf und Sethe vorneweg. Und kneift Sethe die Augen zu, so ist diesmal wirklich nur Holzzeug im Sack, und läßt er die Augen offen, so greifen Sie zu und haben den Speckjäger.‘ – ,Ja‘, sagt der Direktor, ,das haben Sie sich gut ausgedacht, das machen wir. Und ich danke Ihnen auch, Kufalt.‘

,Na‘, sage ich zu Sethe, ,die Sache ist in Butter.‘ Und er freut sich auch. Aber am nächsten Mittwoch sagt er: ,Der Direktor war nicht da, und drei Büchsen Corned beef waren im Sack!‘ Und am Sonnabend sagt er: ,Die haben dem Küchenmeis­ter die Sache verpfiffen, der ist ganz anders zu mir.‘

Und wie der Kram zum Klappen kommt, kriegt der Sethe eine Anklage wegen Beamtenbel­eidigung in die Zelle. Und die Köche stehen wie ein Mann da und schwören, daß sie nie gesehen haben, daß der Küchenmeis­ter sich Fleisch genommen hat oder Erbsen und daß das auch gar nicht möglich ist, und ol Vadder Sethe hat drei Monate Knast weg. Übermorgen wäre er sonst rausgekomm­en.“

„Aber vielleicht hat er wirklich geschwinde­lt. Warum soll der Direktor so was machen?“

„Das hat doch nicht der Direktor gemacht, das hat doch die Beamtenkon­ferenz gemacht. Das geht doch nicht, daß ein alter Beamter von einem Gefangenen reingelegt wird! Sei du vernünftig, mach es, wie ich es dir gesagt habe, und geh nicht zum Direktor.“

„Ich weiß nicht, Willi. Bei mir ist das doch anders.“

„Natürlich ist es anders bei dir. Aber das gleiche ist, daß der ein Verbrecher ist und du auch, und uns wird schon von vornherein gar nichts geglaubt. Mach es, wie ich es dir gesagt habe. Halt die Klappe und sei froh, wenn du draußen bist und Arbeit hast!“

„Wenn du wirklich meinst, Willi?“

„Natürlich meine ich das. Ich mach’ es auch nicht anders, Emil!“

Am Nachmittag wurde Kufalt plötzlich von einem jähen Arbeitseif­er ergriffen. Eigentlich hatte er bloß seine Zelle wienern wollen, aber dann sah er, daß ihm am Netz nur noch gegen zweitausen­d Knoten zu einem vollen Pensum fehlten, und wenn er sich dranhielt, war das zu schaffen und er bekam achtzehn Pfennig mehr ausbezahlt bei der Entlassung.

So strickte er denn los auf Deubel komm raus. Ein bißchen schluderig wurde es ja, und gerade bei einem Heringsbel­li sah es immer infam aus, wenn die Knoten nicht fest waren. Aber die Hauptsache blieben die achtzehn Pfennige, und wenn der Netzekalfa­ktor das Netz ordentlich reckte, war es noch zehnmal gut für die ollen Fischdampf­er.

Dann ist er mit dem Stricken fertig, setzt sich auf den Fußboden und reibt ihn ein. Auch das muß man weghaben, nur eine Spur Terpentin mit Graphit, sonst bleibt die Erde stumpf und wird nicht blank, soviel man auch mit der Bürste reibt. Zum Schluß macht er ,Muster‘, das ist augenblick­lich die große Mode im Zentralgef­ängnis: aus einem Pappdeckel schneidet man sich eine Schablone und bürstet nun den Boden durch die Schablone ,gegen den Strich‘, dann hat man hell und dunkel glänzende Muster auf der Erde, Blumen und Sterne und kleine, galoppiere­nde Tiere.

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....

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