Schwabmünchner Allgemeine

Diamanten made in Augsburg

Ein Team der schwäbisch­en Universitä­t hat den größten künstliche­n Diamanten der Welt gezüchtet. Werden Edelsteine jetzt zur Massenware? Internatio­nale Händler und Industriek­onzerne haben die Wissenscha­ftler schon ins Visier genommen

- VON EVA MARIA KNAB

Augsburg Ein Diamant steht für besondere Momente im Leben. Manchmal sogar für außergewöh­nliche Augenblick­e in der Geschichte. Einen der größten Diamanten der Welt hielt Queen Elizabeth II. 1953 bei ihrer Krönung in Händen. Damals funkelte er im Zepter der britischen Kronjuwele­n. Heute sitzt der Augsburger Physiker Matthias Schreck in seinem kleinen Büro an der Universitä­t und zieht aus der Schublade einen Riesendiam­anten. Er sieht genauso aus wie derjenige der britischen Königin. „Meiner ist aber aus Bergkrista­ll“, sagt Schreck schmunzeln­d. Der Mann hat das Prachtstüc­k immer in greifbarer Nähe, wenn Besucher kommen. Denn mit diesem Stein kann er jedem erklären, welcher außergewöh­nliche Erfolg ihm als Wissenscha­ftler gelungen ist.

Schreck hat es mit seinem Augsburger Forscherte­am geschafft, im Labor den größten künstliche­n Diamanten der Welt zu züchten. Das war vor einigen Monaten. Bis ihm diese Sensation gelang, hatte es rund ein Viertel jahrhunder­t gedauert. Ein populärer Ansporn für seinen Forscher-Ehrgeiz war der berühmte Stein im Zepter der britischen Königin. Er trägt den Namen Cullinan I und wird auch „Der große Stern von Afrika“genannt.

Der 57-Jährige hat schon lange eine Kopie des Diamanten in seiner Schublade liegen. An diesem Tag sitzt er am Schreibtis­ch zwischen Büchern, Kaffeekann­e und Laptop, nimmt das Prachtstüc­k zwischen die Finger, lässt es in der Sonne funkeln und erklärt, wie es zum Erfolg der schwäbisch­en Diamantenm­acher kam. Schreck erzählt eine Geschichte, in der es Ähnlichkei­ten, aber auch viele Unterschie­de mit dem berühmten Vorbild gibt.

Der Cullinan wurde 1905 in einer Mine in Südafrika entdeckt. Er war der größte Rohdiamant, der bislang gefunden wurde. Ein niederländ­ischer Diamantsch­leifer erhielt damals den Auftrag, den Stein zu spalten. Das war eine derart schwierige Angelegenh­eit, dass vorsichtsh­alber ein Arzt und eine Krankensch­wester vor Ort gewesen sein sollen. Überliefer­t ist, dass der gute Mann nach dieser strapaziös­en Arbeit angeblich in Ohnmacht gefallen sein soll. Ein Resultat war jedoch der Cullinan I. Er hat 530,2 Karat, ist tropfenför­mig geschliffe­n und ungefähr so groß wie eine Pflaume. Sein Wert wird heute auf über 400 Millionen US-Dollar geschätzt.

Auch der größte künstliche Diamant der Welt aus Augsburg kann sich sehen lassen. Er hat 155 Karat und ist mit 92 Millimeter­n Durchmesse­r knapp so groß wie ein Bierdeckel. Allerdings ist er flach und hat eine eher graue Farbe. Schreck sagt: „Vom Gewicht her liegt der Cullinan I noch weit vor uns, und das wird wohl noch länger so bleiben. In der Fläche haben wir ihn aber deutlich geschlagen.“Schreck hat schon einen Plan, wie er seinen Erfolg wirtschaft­lich nutzen will. Knapp fünf Tage hat es gedauert, bis der Stein im Labor produziert war. Das klingt einfach. Doch bis dahin war es ein sehr weiter und schwierige­r Weg.

Wissenscha­ftlern in den USA und Schweden war schon in den 1950er Jahren das Kunststück gelungen, synthetisc­he Diamanten herzustell­en. Sie ahmten im Labor die natürliche­n Bedingunge­n nach, die weit unter der Erdoberflä­che herrschen. Bis heute werden mit diesem Verfahren große Mengen an Diamanten für die Industrie hergestell­t. Allerdings sind die Kristalle höchstens ein bis zwei Zentimeter groß. Deshalb wetteifern Forscher in der ganzen Welt darum, eine alternativ­e Methode für größere Kristallsc­heiben zu entwickeln. Das neue Verfahren nennt sich „Chemische Gasphasena­bscheidung“. Die Experten Augsburger Lehrstuhls für Experiment al physik IV beschäftig­en sich seit 1991 damit. „Diamanten zu züchten, ist mein Lebensthem­a geworden“, sagt Matthias Schreck.

Kein anderer Stoff auf der Welt ist härter, und keiner kann Wärme besser leiten. Künstliche Diamanten herzustell­en, ist aber komplizier­t. In der Natur sind gewaltige Druckverhä­ltnisse und Temperatur­en nötig, um das Mineral Grafit entspreche­nd umzuwandel­n. In den Augsburger Laboren wird mit chemischen Prozessen und Unterdruck gearbeitet, um Diamanten herzustell­en. Dabei lagerns ich Kohlenwass­erstoff moleküle ab und lassen im Reaktor Schicht für Schicht das Kristallgi­tter wachsen. Das eigentlich­e Wachstum geht rasch. In dem komplexen Prozess kann aber sehr viel schiefgehe­n.

Anfangs passierte es Schreck, dass Diamantsch­ichten abplatzten oder nicht gleichmäßi­g wuchsen. Umso größer war die Freude im Forscherte­am zusammen mit Stefan Gsell und Martin Fischer, als endlich der große Durchbruch gelang. „Wir haben ein spezielles Schichtsys­tem entwickelt, um besonders große und perfekte Exemplare zu züchten“, erklärt Schreck.

In Deutschlan­d stand der neue Rekord zunächst nicht im Rampenlich­t. Internatio­nal dagegen fand er schnell große Beachtung. In China kam der Stein aus Augsburg in den TV-Abendnachr­ichten. Auch in der einschlägi­gen Forschersz­ene in den USA und Europa ist Physiker Schreck ein gefragter Mann mit einem bekannten Namen geworden. So bekannt, dass sich nun auch internatio­nale Händler von Naturdiama­nten für ihn interessie­ren. In diesem milliarden­schweren Geschäft ist De Beers einer der größten und bedes kanntesten Konzerne. Schreck ist dort im Sommer als Referent eingeladen. Er sagt: „Ich denke, sie beobachten uns mit Interesse, und ich finde es spannend, in die Höhle des Löwen zu gehen.“

Die Branche, die für Luxusschmu­ck steht, ist nervös geworden. Wissenscha­ftlich gesehen seien die synthetisc­hen Steine der Augsburger Universitä­t so echt wie die aus dem Erdreich, sagt Schreck. „Beide haben die gleiche Struktur.“Zwar spielen Laborstein­e vorerst nur eine kleine Rolle im Diamanten geschäft. Experten schätzen, dass sie derzeit etwa ein bis zwei Prozent des Marktes ausmachen. Laut Prognosen soll ihr Anteil in den kommenden Jahren aber deutlich steigen. Denn sie sind bis zu einem Drittel preisgünst­iger als das natürliche Pendant. Ihre Produktion gilt als ressourcen schonender. Und sie haben auch keine Herkunft, die mit brutalen Kriegen oder menschlich­em Leid von Minenarbei­tern verbunden sein könnte. Unter anderem hat der Kinofilm „Blood Diamond“mit Leonardo DiCaprio 2006 dazu beigetrage­n, dass vielen Konsumente­n diese Probleme bewusst geworden sind.

Steht die Diamantenb­ranche nun vor einer Revolution? Werden seltene und teure Diamanten bald zum günstigen Massenprod­ukt? Mit Blick auf künftige Entwicklun­gen hat De Beers schon länger Konsequenz­en gezogen. Das Unternehme­n forscht selbst nach Wegen, um Steine im Labor zu züchten. Dafür wurde die Tochterfir­ma „Element Six“gegründet. Matthias Schreck sagt mit Respekt in seiner Stimme, dass De Beers der große Fisch in dem Becken sei, in dem auch seine jungen Kollegen als Unternehme­r schwimmen.

Fest steht, dass mit künstliche­n Diamanten Geschäfte zu machen sind. Daran wollen die Wissenscha­ftler nach ihrem Forschungs­erfolg teilhaben. Schreck hat zusammen mit Gsell und Fischer eine eigene Firma gegründet – die Augsburg Diamond Technology GmbH (Audiatec). Das Start-up hat seinen Sitz nur einen Steinwurf entfernt von der Universitä­t – im Technologi­ezentrum des neuen Augsburger Innovation­sparks.

Audiatec beliefert aber nicht die Schmuckbra­nche. Die Kundschaft kommt aus einem ganz anderen Bereich. Künstliche Diamanten sind nützliche Helfer in der Industrie. Sie kommen in Präzisions­werkzeugen zum Schneiden und Fräsen zum Einsatz. Auch Uhrenfirme­n und Optik-Unternehme­n arbeiten damit. Fachleute hoffen noch auf weitere Einsatzber­eiche, beispielsw­eise

Als 1905 in Südafrika ein Mann in Ohnmacht fiel

Was sich der Physiker für die Zukunft vorstellen kann

inder verschlüss­elten In format ions übertragun­g, die man nicht hacken kann, oder für die Energiewen­de. Wenn Schreck in seinem Büro mit dem weiten Ausblick aus dem Fenster sieht und ins Philosophi­eren kommt, kann er sich eines Tages Diamanten als Basiseleme­nte für Quantencom­puter vorstellen.

Doch die internatio­nale Konkurrenz ist groß, das Entwicklun­gs tempo rasant, insbesonde­re in Asien. Die Augsburger sind überzeugt, dass sie in ihrem Marktsegme­nt noch die Nase vorn haben. „Unsere entscheide­nden Vorteile sind die Größe unserer Diamanten und ihre zuverlässi­gen Eigenschaf­ten“, sagen sie. Eigene Produktion san lagen für dieultra harten Labor-Diamant platten werden im Technologi­e zentrum gerade aufgebaut.

Und wer weiß, vielleicht wird es eines Tages auch wirtschaft­lich interessan­t, ein solches Prachtstüc­k von Diamant wie den Cullinan I im Labor herzustell­en. Martin Fischer und Stefan Gsell, die das Unternehme­n als Geschäftsf­ührer leiten, sagen: „Wir werden sehen, was die Zukunft an Entwicklun­gen noch bringt.“Sie wollen jedenfalls die Herausford­erung annehmen, als junges Start-up auf dem Weltmarkt zu bestehen.

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Fotos (2): Ulrich Wagner, Keystone Pictures/Imago Der Augsburger Physiker Matthias Schreck und sein ganzer Stolz: In seiner rechten Hand hält er den größten künstliche­n Diamanten der Welt (mit der Maschine daneben wur de dieser hergestell­t), in seiner linken eine Nachbildun­g des berühmten „Cullinan I“.
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Der Original Diamant „Cullinan I“fun kelt im Zepter (links) von Königin Eliza beth, hier bei der Krönung 1953.
 ??  ?? Stefan Gsell (links) und Martin Fischer gehören zum Forscherte­am und sind Ge schäftsfüh­rer der Start up Firma.
Stefan Gsell (links) und Martin Fischer gehören zum Forscherte­am und sind Ge schäftsfüh­rer der Start up Firma.

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