Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (28)
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbruder nennt. Er kommt aus dem Schlamassel, aus seinen Verhältnissen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomisch. ©Projekt Guttenberg
Bei dem Vollzuge der Strafen sind mit der Zufügung des Strafübels und mit der Aufrechterhaltung von Zucht und Ordnung geistige und sittliche Hebung, Erhaltung der Gesundheit und Arbeitskraft anzustreben. Auf Erziehung zu einem geordneten, gesetzmäßigen Leben nach der Entlassung ist besonders hinzuwirken. Das Ehrgefühl ist zu schonen und zu stärken.‘ Kufalt schlägt das Heft wieder zu: ,Na also‘, sagt er. ,Dann ist ja alles in schönster Butter. Klappt der Laden. Alles richtig, wie es ist. Was so ’ne Leute sich bei so was denken ...‘
Es ist dreizehn Uhr fünfzehn. Kufalt steht da mit der Uhr in der Hand. Er wartet. Sein Herz klopft sehr. Schritte kommen, nähern sich, gehen an seiner Zelle vorbei. ,Wenn die mich vergessen, die Lumpen –. Wenn die mich aus Schikane drei Minuten länger warten lassen!‘
Schritte kommen, nähern sich,
machen vor seiner Zelle halt. Papier raschelt. Dann wird der Schlüssel ins Schloß gestoßen, der Riegel geht zurück und Oberwachtmeister Feder sagt gelangweilt: „Na, denn kommen Sie man mit Ihren sieben Zwetschgen, Kufalt!“Er geht, er sieht noch einmal zurück, gegen den Glaskasten, die Zentrale. Da ist der große Bau mit seinen siebenhundert Zellen, er ist hier zu Haus gewesen, Jahr um Jahr, viele Jahre zu Hause. Um die Ecke späht sein Stationskalfaktor, ob er schon in die Zelle rein kann. Er nickt ihm zu. Dann durch den Kellergang beim Hausvater vorbei. Hier ist alles still. Kufalt fällt etwas ein: „Ist das wahr, Herr Oberwachtmeister, mit Bruhn? Daß er schon wieder sitzt?“
„Weiß ich nicht habe was gehört, kann aber auch ‘ne Scheißhausparole sein.“
„Hier ist er noch nicht wieder?“„Nee, kann er auch nicht. Muß doch erst zum Richter, der Haftbefehl erläßt.“Sie kommen über den Vorhof. Im Torgebäude steht Oberwachtmeister Petrow.
„Na, komm, mein Sohn. Komm, viele Pinunse kriegst du.“
In der Wachtstube quittiert Kufalt. „Steck sie gut weg, deine Pinunse, wirst du brauchen. Warte. Scheine in Geldtasche. So. Hast du schöne Tasche. Daß sie immer voll ist! Und hier in Porteh Silber und hier Messing und hier Kupfer. Und nun komm, mein Jung.“
Sie stehen unter dem Torbogen. Petrow schiebt Riegel um Riegel zurück. Dann nimmt er den Schlüssel.
„Mußt du jetzt loslaufen, ohne Umsehen. Mußt nicht wieder rücksehen auf Kittchen. Spuck’ ich dich dreimal in Rücken, mußt du nicht abwischen, ist gut dafür, daß du nicht wiederkommst. Hau ab, mein Sohn!“Das Tor geht auf. Kufalt sieht vor sich einen großen besonnten Platz in greller Sonne. Der Rasen ist grün. Die Kastanien blühen. Menschen gehen drüben, Frauen in hellen Kleidern. Er geht langsam und vorsichtig hinaus ins Licht. Nein, er sieht sich nicht um.