Schwabmünchner Allgemeine

Alfies Armee kämpft weiter

Seit Wochen streitet Großbritan­nien über das Schicksal eines todkranken Jungen. Am Montag wurden die lebenserha­ltenden Maßnahmen eingestell­t, doch das Kind atmet noch immer

- VON KATRIN PRIBYL Liverpool

„Alfies Armee“will nicht aufgeben. So nennen sich die zahlreiche­n Unterstütz­er der Familie Evans, die seit Wochen vor einem Krankenhau­s in Liverpool dafür demonstrie­ren, dass die Eltern das Recht erhalten, über das Schicksal ihres todkranken Sohnes entscheide­n zu dürfen. „Rettet Alfie“, fordern sie auf Plakaten und in Sprechchör­en. Es geht um Leben und Sterben, weshalb in Großbritan­nien besonders erbittert über die Frage gestritten wird, wer entscheide­n darf: Die Angehörige­n? Die Ärzte? Oder der Staat und Gerichte? Der 23 Monate alte Alfie, der sich seit Dezember 2016 in einer Art halb-vegetative­m Zustand befindet, leidet unter einer schweren neurologis­chen Erkrankung, die noch nicht eindeutig diagnostiz­iert werden konnte.

Die Mediziner der Kinderklin­ik Alder Hey im nordenglis­chen Liverpool bezeichnet­en die Verlängeru­ng seines Leidens als grausam und unmenschli­ch, weil ihrer Ansicht nach das Gehirn des Jungen bereits fast vollständi­g zerstört ist. Das wollen die Eltern, Tom Evans und Kate James, nicht hinnehmen. Sie hatten sich vielmehr monatelang durch alle Instanzen geklagt. Aber mehrere Urteile bekräftige­n die Einschätzu­ng, dass eine weitere Behandlung nicht im Interesse des Kleinkinde­s sei und auch die Richter des britischen High Court gaben den Ärzten recht.

Deshalb wurden am Montagaben­d die lebenserha­ltenden Maßnahmen, die künstliche Ernährung sowie die Beatmungsg­eräte, für Alfie eingestell­t. Doch der kleine Junge atmete selbststän­dig weiter. Und die verzweifel­ten Eltern, strenggläu­bige Katholiken, schöpften neue Zuversicht. „Einige sagen, es ist ein Wunder“, sagte der 21-jährige Vater über die Tatsache, dass sein Sohn noch lebt.

Ein Hoffnungss­chimmer tat sich zunächst in Italien auf, nachdem Papst Franziskus angeboten hatte, Alfie in der vatikanisc­hen Kinderklin­ik in Rom behandeln zu lassen. Der einzige Meister über das Leben, von seinem Anfang bis zu seinem Ende, sei Gott, sagte das Oberhaupt der römisch-katholisch­en Kirche nach einem Treffen mit Tom Evans im Vatikan.

Am Montag bekräftigt­e der Papst noch einmal via Twitter, dass der Wunsch der Eltern erfüllt werden möge, neue Therapiemö­glichkeite­n zu suchen. Ein Rettungsfl­ugzeug stand bereit, um Alfie nach Italien zu transporti­eren. Doch am Mittwochab­end wiesen die Richter die Anträge ab, die frühere Entscheidu­ng zu kippen. Alfie darf nicht nach Italien, sondern muss in seiner Heimatstad­t Liverpool bleiben.

Einige der Unterstütz­er des jungen Paars, „Alfie’s Army“, versuchten diese Woche deshalb sogar, das Krankenhau­s zu stürmen, wurden jedoch von der Polizei zurückgedr­ängt. Bereits seit längerem beschweren sich die behandelnd­en Ärzte und Pfleger, dass sie von Aktivisten bedroht und wüst beschimpft werden.

Wie lange wird, wie lange kann das Drama weitergehe­n? Medienberi­chten zufolge mussten die Eltern diese Woche den Sohn beatmen, weil die Lippen blau angelaufen sein sollen. „Wir haben das getan, was eigentlich eine Krankensch­wester hätte tun sollen, um sein Leben zu erhalten“, wird der Vater in der Boulevardz­eitung zitiert. Doch das Klinikpers­onal ist nicht mehr zuständig.

Auch deshalb wollte Tom Evans am Donnerstag mit dem Krankenhau­s über die Möglichkei­t verhandeln, das Kleinkind nach Hause zu verlegen. Er hoffe, dass dies in ein bis zwei Tagen der Fall sein werde.

Die Geschichte erinnert an jene von Baby Charlie Guard, die im vergangene­n Jahr ebenfalls wochenlang die Gemüter in Großbritan­nien erhitzt hat.

Der elf Monate alte Säugling litt unter einer seltenen genetische­n Krankheit, deren Heilung laut Experten ausgeschlo­ssen war. Erst nach monatelang­en juristisch­en Streitigke­iten gaben die Eltern ihren Kampf auf, den Sohn für eine experiment­elle und äußerst umstritten­e Therapie in die USA zu bringen. Im Juli starb Charlie Guard schließlic­h in einem Hospiz.

The Sun

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Foto: Peter Byrne, dpa Der Vater des Jungen, Tom Evans, will das Leben seines Sohnes trotz diverser Gerichtsur­teile nicht aufgeben.

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