Schwabmünchner Allgemeine

Wenn der Kanal seine Geheimniss­e preisgibt

Einmal im Jahr senkt die Stadt den Wasserspie­gel in den fließenden Gewässern. Auf rund 180 Kilometern Strecke gibt es dann viel zu tun und auch einiges zu finden

- VON MICHAEL EICHHAMMER

Im April gilt das Buddha zugeschrie­bene Zitat auch für die Kanäle der Wertach in Augsburg: „Drei Dinge können nicht lange verborgen sein: die Sonne, der Mond und die Wahrheit“. Denn wenn die Stadt in den Bächen und Kanälen das Wasser ablässt, kommen Wahrheiten ans Licht, die zuvor unter dem Wasserspie­gel verborgen lagen. Auf der Wertachsei­te läuft die Maßnahme noch bis Samstag. Im Mai und Herbst folgen die vom Lech gespeisten Gewässer, im Oktober die des Lochbachs. Wenn die Wasserader­n der Stadt durchschni­ttlich einen Meter tiefergele­gt werden, geben sie ihre Geheimniss­e preis.

Gegenständ­e etwa, die teils aus Versehen, teils vorsätzlic­h in das Wasser geworfen wurden. In der Altstadt ist das oft Geschirr und Besteck aus den flussnahen Cafés. Am Plärrer finden sich Maßkrüge. In Göggingen ist ein Kanalabsch­nitt als „Golfball-Biotop“bekannt – dort landen die Golfbälle, die die Singold von einem angrenzend­en Golfplatz mitbringt.

Gesunkene Schiffe gibt es nicht, wohl aber gesunkene Mülltonnen und Einkaufswä­gen. Kameras, Laptops und Handys tauchen ebenfalls auf. „Fernseher und Kühlschrän­ke haben wir auch schon entsorgen müssen“, erzählt Rudolf Wörle, Hauptwerkm­eister beim Wasserund Brückenbau der Stadt.

In der Hoffnung auf versunkene Schätze marschiere­n bisweilen Menschen mit Metalldete­ktoren auf eigene Faust durch den abgesenkte­n Fluss. Vor allem an den Badestreck­en hoffen sie auf Münzen, Uhren und Schmuck. Das ist nicht nur juristisch fragwürdig, sondern auch vergeblich­e Liebesmüh: Gefundene Geldbeutel sind nahezu immer leer, sagt die Stadt, weil es sich um Spuren von Diebstähle­n handelt, welche die Täter verschwind­en lassen wollen. Elektronis­che Geräte haben längst ihren Geist aufgegeben, wenn sie aus dem Wasser gefischt werden. Fahrräder finden sich zwar oft, doch die wertvollen Gangschalt­ungen sind von den Dieben längst abmontiert worden. Im Fluss landen nur die Rahmen. Zum Vorschein kommt all das erst, wenn der Wasserspie­gel gesenkt wird.

Manchmal bekommt die städtische Abteilung für Wasser- und Brückenbau auch Anrufe wie: „Mir ist mein Schlüsselb­und durch die Brückenrit­ze gefallen, kann man da nichts machen?“Die Frage muss Markus Haller verneinen. „Ob Handtasche­n oder Schlüssel, so schnell kann man gar nicht schauen, wie die weg sind“, weiß er. „Bei Strömungen und Fließgesch­windigkeit­en von eineinhalb Meter in der Sekunde, nimmt der Fluss die Sachen mit und bringt sie irgendwohi­n. Die finden wir nie wieder.“Es gibt allerdings Ausnahmefä­lle.

Auf polizeilic­he Anordnung führt das Amt auch außerhalb der Ablässewoc­hen aufwendige Sonderablä­sse durch. Das war beispielsw­eise der Fall, als beim früheren Bischof Walter Mixa eingebroch­en wurde. Der Wasserpege­l des Senkelbach­s wurde im März 2014 gesenkt, damit Polizeitau­cher das Diebesgut sicherstel­len konnten. Auch nach dem Polizisten­mord 2011 wurde das Wasser des Eiskanals für die Spurensuch­e teilweise abgelassen. Doch warum muss die Stadt überhaupt das Wasser ablassen? „Im ersten Schritt wird geprüft, ob an den Uferwänden oder an den Bauwerken Sanierungs­arbeiten notwendig sind“, erklärt Karoline Pusch vom Tiefbauamt, „das ist unter Vollfüllun­g nicht machbar.“ Als Abteilungs­leiterin des Bereichs Wasser- und Brückenbau ist sie für 180 Kilometer Fließgewäs­ser und rund 500 Brücken zuständig.

Fürs Abstellen der Turbine im Wertach-Kraftwerk während der Ablässewoc­hen sind dagegen Margit und Heinrich Winter zuständig. Als Kraftwerks­besitzer bewohnen sie seit den Achtzigerj­ahren eine ganz besondere Immobilie. Weniger besonders sind dagegen die üblichen Fundstücke, auf der 1,8 Kilometer langen Strecke, für die die Winters zuständig sind: keine Flaschenpo­st, sondern nur leere Flaschen, die gedankenlo­s versenkt wurden.

 ?? Foto: Michael Eichhammer ?? Einmal im Jahr senkt die Stadt den Wasserspie­gel in den fließenden Gewässern, etwa an der Wertach – und wenn das Wasser abgelassen ist, kommt einiges zum Vor schein.
Foto: Michael Eichhammer Einmal im Jahr senkt die Stadt den Wasserspie­gel in den fließenden Gewässern, etwa an der Wertach – und wenn das Wasser abgelassen ist, kommt einiges zum Vor schein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany