Visionen fürs neue Stadtviertel
In Haunstetten Südwest sollen in den kommenden Jahrzehnten 12 000 Bewohner Platz finden. Die Stadt will das Areal an der B 17 zum Stadtviertel der Zukunft entwickeln. Auch Alt-Haunstetten soll etwas davon haben
Bis die ersten Baumaschinen auffahren, wird es wohl noch um die sieben Jahre dauern, doch die Planungen für das neue Stadtviertel Haunstetten Südwest laufen schon. „Was wir hier bauen, wird für unsere Kinder und Enkelkinder sein“, sagt Baureferent Gerd Merkle (CSU). Dass auf den Ackerflächen zwischen Haunstetten und der B17 einmal 12 000 Menschen leben sollen, wird die größte Entwicklungsmaßnahme in Augsburg auf Jahrzehnte sein. Die Stadt hat ehrgeizige Pläne: „Wir können hier nicht unter dem Gesichtspunkt ,weiter wie bisher‘ bauen, sondern müssen zukunftsorientiert denken“, so Merkle. In den vergangenen Tagen hatte die Stadt zehn Experten aus Europa – vor allem Stadt- und Grünplaner – eingeladen, die sich Gedanken machten, wie das Viertel aussehen könnte.
Am Donnerstag fassten die Planer ihre Ideen zusammen. Die Vision: ein Viertel, in dem Autoverkehr kaum eine Rolle spielt und Autos in Quartiersgaragen am Rande der Bebauung abgestellt werden. Hauptsächlich die nach Königsbrunn verlängerte Straßenbahnlinie 3 soll das Viertel erschließen, autonom fahrende Elektrobusse die Anbindung aus dem Quartier übernehmen. Paketautos werden nicht mehr in die Wohnstraßen fahren, sondern ihre Fracht an Übergabepunkten am Rand abladen, von wo aus sie mit dem Lastenrad weiterverteilt werden. „Eine Verkehrswende besteht aus mehr als einem Technologiewechsel“, sagt Verkehrsberater Burkhard Horn, der bis 2017 oberster Verkehrsplaner in Berlin und im Augsburger Expertengremium vertreten war. Es gehe nicht nur darum, Verbrennungsmotoren durch Batterien zu ersetzen, sondern den ganzen öffentlichen Raum anders zu planen. Im Viertel soll Raum sein für hochwertig gestaltete öffentliche Plätze und Grünflächen, vielleicht mit einem See in der Mitte.
Solche Freiflächen wären auch die Voraussetzung dafür, eine relativ dichte Bebauung, eventuell mit sechs Stockwerken, umzusetzen. Seine Energie wird das Quartier über Fotovoltaik auf Dächern und an Fassaden zum Teil selbst erzeugen und Abwärme von Gebäuden zum Beispiel in Wärmespeichern lagern, um möglichst autark zu sein. Die Ideen gehen so weit, dass auf den Dächern von Gewerbebauten, die entlang der B17 entstehen werden, Obst und Gemüse angebaut werden könnten. Denkbar wäre nach Meinung der Experten, dass die Tradition der Betriebswohnungen in Augsburg wiederbelebt werden könnte – dann aber nicht mehr durch Textilfabriken, sondern beispielsweise durch Softwarefirmen, denen München zu teuer ist und die gut ausgebildetes Personal mit Wohnraum locken. Es stelle sich die Frage, ob Augsburg „nur“ein neues Wohnviertel bauen wolle, oder sich auch ein neues Profil geben möchte.
In jedem Fall, so die Stadtplaner, müsse man das neue Viertel mit dem bestehenden Stadtteil im Verbund sehen. Es müsse so geplant werden, dass es auch Impulse fürs Bestandsviertel geben könne. Wie berichtet, hat Haunstetten seit Jahren zu kämpfen, weil sich der Einzelhandel schrittweise zurückzieht, etwa in der Hofackerstraße. Grund dürfte auch das Gewerbegebiet am Unteren Talweg sein. Auf jeden Fall müsse die Achse Haunstetter-/ Landsberger Straße (B 17 alt) erneuert werden. Sie trenne Haunstetten. „Die alte B 17 ist eigentlich ein Verbrechen“, sagt der schwedische Architekt Johannes Tovatt. Die Stadt habe aus Bequemlichkeit oder Feigheit nichts unternommen, um die Straße umzugestalten, obwohl nach dem Bau der B17 neu Jahrzehnte Zeit gewesen wären. „Es sieht aus wie vorher. Mit Zukunft hat das nichts zu tun.“Tovatt würde eine Reduzierung auf zwei Spuren, die Verlängerung der Linie 2 zum Offenbach-Karree und Radwege sowie Bäume als Zukunftsvision sehen.
Klar ist allerdings auch, dass nicht alle Überlegungen in HaunstettenSüdwest in Reinform umgesetzt werden. Allerdings gibt es für viele der Ideen weltweit schon Beispiele – die Idee, Dachflächen zum Lebensmittelanbau zu nutzen, findet sich unter anderem in Toronto auf einem Hotel. Die Stadt will noch vor der Sommerpause mit den Bürgern über die Visionen diskutieren. 2019 will die Stadt dann einen Ideenwettbewerb für Architekten veranstalten, der die Visionen in konkretere Formen übersetzt. Im Anschluss daran kann einen Bebauungsplan fürs Viertel entwerfen, in dem konkret festgelegt wird, wo Straßen verlaufen, in welchem Maß Mehr- und Einfamilienhäuser entstehen und wo Gebäude mit welcher Höhe stehen.
Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) sagt, man dürfe „keine Angst vor Visionen“haben. Das Viertel solle Heimat für Alt- wie NeuAugsburger werden. Es gehe der Stadt nicht darum, einfach zu wachsen. Es gehe darum, qualitativ zuzulegen und eine lebenswerte Stadt zu bleiben.
Augsburg legte in den vergangenen Jahren um rund 5000 Einwohner pro Jahr zu, was zu steigenden Immobilienpreisen führte. Zuletzt
Obstanbau auf Dächern? Die Ideen gehen weit
flachte das Bevölkerungswachstum deutlich ab, was möglicherweise auf den ausgereizten Wohnungsmarkt zurückzuführen ist. Momentan weist die Stadt neue Wohnungsbauprojekte vor allem auf Flächen im bebauten Stadtgebiet aus, um eine Zersiedelung zu vermeiden. Allerdings hinkte der Zuwachs an Wohnungen, etwa durch die Bebauung des Reese-Areals, zuletzt deutlich hinterher.