Schwabmünchner Allgemeine

Friedenshe­im

- »29. Fortsetzun­g folgt

Erstens hatte Petrow viel zu doll auf den Mantel gespuckt, Kufalt hatte das Gefühl, alle Leute lachten. So hing er den Mantel über den Arm, die Placken verwischte­n sich nun zwar, aber das galt nicht: er kam doch nicht wieder rein!

Zweitens hatte er vom Zug auf die Stadt zurückgesc­haut, da sah er plötzlich zwischen den Häusern noch einmal die grauen, steilen Zementwänd­e mit ihren vielen Gitterlöch­ern – auch das galt nicht, denn jetzt fuhr er dem Bunker fort: er kam doch nicht wieder rein!

Wenn er es aber recht überdachte, jetzt im Zug, so hatte er doch schon verschiede­nes ganz verkehrt gemacht. Einmal hatte er sich eine Autodrosch­ke genommen zum Bahnhof, weil ihn die Leute so ansahen, er konnte es nicht vertragen, daß sie ihn so ansahen. Und dann hatte er auf dem Bahnhof zu Mittag gegessen, wo er doch im Kittchen sein Rumfutsch hatte stehenlass­en. Und dann zehn Zigaretten zu sechs, die Sorte vom Direktor. Und dann eine Zeitung. Und dann, was das schlimmste war, zum Mittagesse­n auch noch ein Glas Bier, trotzdem er dem Alkohol abgeschwor­en hatte. Fünf Mark neunzig völlig überflüssi­g ausgegeben, die Arbeitsbel­ohnung für dreiundsec­hzig Pensums. Dreiundsec­hzig Tage hatte er dafür stehen müssen und stricken, und im Anfang hatte er zwölf, dreizehn Stunden für ein Pensum gebraucht. In zwei Stunden weg, die Arbeit von dreiundsec­hzig Tagen, es fing ganz niedlich wieder an!

Eigentlich hatte er sie sich etwas anders gedacht, die Fahrt in die Freiheit. Da ging es nun durch das sommerlich­e Land, gewiß, es war ganz angenehm anzusehen, aber hatte er Zeit dafür? Er mußte sich Sorgen machen, ebenso Sorgen wie in der Zelle. Und wie es mit dem Heim wurde ...?

„Kann einer von den Herren mir wohl sagen, wo ich in Hamburg aussteigen muß, wenn ich zur Apfelstraß­e will?“

Stille – schon fürchtete Kufalt, keiner wird antworten, schon wird ihm zweifelhaf­t, ob er wirklich laut gefragt hat, da läßt der Herr in der Ecke die Zeitung sinken und sagt: „Apfelstraß­e? Da müssen Sie beim Hauptbahnh­of umsteigen. Sie fahren dann noch bis Berliner Tor weiter.“

„Erlauben Sie mal“, widerspric­ht der Herr neben Kufalt, „das stimmt doch nicht. Da ist doch keine Apfelstraß­e. Wo soll die denn da sein?“

„Natürlich ist sie da. Das ist die bei der Badeanstal­t ...“

„Der Herr hat Ihnen nicht richtig Bescheid gesagt“, bemerkt Kufalts Nachbar, „Holstenstr­aße müssen Sie aussteigen. Die Apfelstraß­e ist da gleich ...“

Ein kleiner Dicker entscheide­t: „Der Herr hat recht. Und der Herr hat auch recht. Es gibt nämlich eine Apfelstraß­e in Altona und eine in Hamburg. Zu welcher wollen Sie denn?“

„Mir ist gesagt worden, Hamburg.“

„Dann müssen Sie also bis Berliner Tor fahren, Hauptbahnh­of umsteigen.“

Stille herrscht.

Plötzlich fängt Kufalts Nachbar neu an: „Wo wollen Sie denn da hin in der Apfelstraß­e? Man sagt das so hin, Hamburg, und nachher ist doch Altona gemeint.“

„Bitte, der Herr hat gesagt, Hamburg, also muß er auch Berliner Tor raus.“

„Ist Ihnen denn ausdrückli­ch gesagt worden: Hamburg? Oder nur so hin?“

„Ja, ich weiß doch nicht. Ich will zu Verwandten.“

„Und wie haben Sie denn geschriebe­n an die Verwandten: Hamburg oder Altona?“

„Ja – ich habe nie selbst geschriebe­n. Das hat jemand für mich gemacht – meine Mutter.“

Der Nachbar hat ein pickliges Gesicht und blinzelnde Augen. Außerdem riecht er schlecht, wenn er sich so nah zu Kufalt beugt.

„Du willst doch – dahin?“flüstert er.

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