Schwabmünchner Allgemeine

Heraus auf die Straße!

Zu Beginn der Bürgerbete­iligung provoziert der Chef des Leipziger Stadtmuseu­ms: Es reicht nicht mehr, schöne alte Dinge zu sammeln und zu präsentier­en

- VON STEFANIE SCHOENE

Als Kind hasste er Museen. Langweilig, dunkel, viel zu gediegen, die Objekte unnahbar, mit drögen Inventarnu­mmern und Hinweisen beschrifte­t. „Wieso muss unter einer Brille ,Brille‘ stehen?“, fragt Volker Rodekamp. Der Direktor des stadtgesch­ichtlichen Museums Leipzig liebt es, sein Publikum und auch die anwesenden Museumspra­ktiker der Stadt zu provoziere­n. „Wir müssen uns neu aufstellen, öffnen, auf gesellscha­ftliche Debatten reagieren, kreativ sein, moderieren“, fordert er vor den etwa 130 Zuhörern im Stadtwerke­saal, die zur ersten Bürgerbete­iligung am Museumsent­wicklungsk­onzept gekommen sind.

Statt weiterhin der alten Logik – Sammeln, Bewahren, Forschen und Ausstellen – zu folgen, sollten Museen die Dinge Dinge sein lassen und sich auf die Menschen zubewegen, meint Rodekamp. Dafür dürften die Ausgaben für Kuratoren nur noch ein Viertel der Personalet­ats betragen, damit mehr für Kommunikat­ion und Partizipat­ion bleibt. Ein Museum ohne Objekte? Gegen Ende seines Impulsvort­rags „Museen im Wandel“, den er auf Einladung des städtische­n Kulturrefe­rats hielt, wird die Bewahrung der Din- ge zum Glück doch wieder zu einer der Kernaufgab­en. Immerhin verwahrt er selbst in seinem Leipziger Haus auch 600 000 Dinge. In den acht Museen der Kunstsamml­ungen Augsburg gibt es 300 000 Objekte, plus 60000 Bücher.

Im Rahmen der Suche nach einem neuen Museumskon­zept für Augsburg ist Rodekamp jedoch für Visionen zuständig, nicht fürs Konkrete. Also fordert er neue Zugänge zum kulturelle­n Erbe. Auch an einer digitalen Strategie führe für die bundesweit 6700 Museen kein Weg vorbei. Für Christof Trepesch, den Direktor der Augsburger Kunstsamml­ungen, ist das Wasser auf die Mühlen. „Genau das, was wir wollen. Allerdings hatten wir dafür in den letzten 14 Jahren nur eine Fachkraft in Teilzeit zur Verfügung. 8000 Objekte sind lediglich digital erfasst. Mit mehr Personal ließe sich die berechtigt­e Forderung nach besserer Forschung und einem barrierefr­eien Zugang tatsächlic­h erfüllen“, erklärt er am Rand der Veranstalt­ung.

Rodekamps Leipziger Stadtmu- seum legte in den vergangene­n Jahren neue Programme auf: raus auf die Straße, rein in die Quartiere. Die Beteiligun­g der Menschen sorge für eine neue Verankerun­g der Häuser in der Stadtgesel­lschaft. Und das, so der Experte, ist nötig. „Ich will kein Museum mehr für Eliten, in dem die Museumsmac­her selbstgefä­llig entscheide­n, was relevant ist“, betont Rodekamp. Mehr Geld müsse es für diesen Wandel nicht unbedingt geben, wichtiger sei die Haltung. Die Hälfte der aktuell 6700 Museen in Deutschlan­d sei erst in den letzten zehn Jahren eröffnet worden, die Budgets wurden also bereits erhöht.

Eine anschließe­nde Trendabsti­mmung im Stadtwerke­saal zeigt, dass hundert Prozent der Augsburger Zuhörer für ein neues Römermuseu­m sind. Dieses eindeutige Votum und auch die zahlreiche­n Einzelmeld­ungen zum Römer-Erbe versetzen zwar nicht das mit Augsburger Museumsmac­hern besetzte Podium in Staunen, wohl aber die Moderatore­n der Veranstalt­ung.

Matthias Henkel, Inhaber der Berliner Agentur Embassy of Culture, und Jochen Ramming, Geschäftsf­ührer von Frankonzep­t in Würzburg, haben seit November den Auftrag, die Augsburger Museumslan­dschaft zu analysiere­n und die Bürgerbete­iligung zu organisier­en. Auf die Diskussion am ersten Abend folgte am nächsten Abend im Stadtwerke­saal eine etwa dreistündi­ge Ideenwerks­tatt mit den Moderatore­n, an der etwa 80 vorwiegend jüngere Menschen teilnahmen, außerdem zahlreiche Experten von Universitä­t und Kunstsamml­ungen.

Auf hunderten Karteikart­en standen die Ergebnisse: Die Augsburger Museen werden als Treffpunkt­e gewünscht, die Vermittlun­g soll weniger wissenscha­ftlich sein, Toiletten, Gastronomi­e und vor allem der Zugang barrierefr­ei verbessert werden. Inhaltlich fordern die Beteiligte­n ein Römisches Museum, mehr Partizipat­ion, eine Stadtgesch­ichte des 20. Jahrhunder­ts, Migrations­geschichte und die Realisieru­ng der Halle 116 im Reesepark als Gedenkort.

Zum Römischen Museum ruft Christof Trepesch die Rathauspol­itiker auf: „Der Stadtratsb­eschluss für ein zusätzlich­es neues Haus neben der Dominikane­rkirche liegt seit 2009 vor, wird aber nicht umgesetzt. Dies ist ein Appell an die Politik!“Die Ergebnisse der Bürgerbete­iligung werden jetzt ausgewerte­t und mit den Fachleuten in das neue Museumskon­zept eingearbei­tet. Die Öffentlich­keit soll im Herbst erfahren, was das Konzept vorsieht.

Die Augsburger wünschen sich dringlich wieder ein Römisches Museum

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Foto: Silvio Wyszengrad Der Traum von einem Museum: ein volles Haus, ein bunt gemischtes Publikum (hier bei der Langen Kunstnacht 2015 im Maximilian­museum).

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