Straftaten im Dunstkreis der rechten Szene
Ein junger Mann wollte sich von seiner Vergangenheit lösen und zog nach Augsburg. Wegen alter Fälle in seiner ehemaligen Heimat erhielt er nun eine Bewährungsstrafe. Doch der 26-Jährige muss noch einmal vor Gericht
Thomas Knief, Vorsitzender Richter der 4. Strafkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau, kam sofort zur Sache. „Der Absprung nach Süddeutschland hat dem Angeklagten gutgetan. In Augsburg hat er sein Leben stabilisieren können. Es hat eine feste Struktur erhalten. Er scheint auf dem richtigen Pfad unterwegs zu sein. Denn Informationen über neue Straftaten liegen uns nicht vor“, hielt er fest.
Der 26-Jährige, über den er sprach, lebt seit August 2016 in Augsburg. In seiner früheren Heimat stand er vor Gericht, weil ihm die Staatsanwaltschaft vorsätzliche Körperverletzung, Sachbeschädigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zur Last legte. Im Berufungsverfahren stand zur Debatte, ob der Mann eine Bewährungschance erhält oder ins Gefängnis muss. Die Entscheidung der Kammer fiel zugunsten des von Holger Gläser verteidigten Angeklagten aus. Die Vollstreckung der ausgesprochenen Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Laut der von Knief vorgetragenen Einschätzung der Bewährungshelferin verhielt sich der Angeklagte „aufgeschlossen und kooperativ“. Es bestehe der Eindruck, dass er in Zukunft „wirklich straffrei“über die Runden kommen wolle. „Es handelt sich um einen besonderen Fall“, sagte der Richter. Denn es komme ein „besonderer Faktor“zum Tragen: die Zeit. Der Angeklagte habe sehr glaubhaft vorgetragen, dass er sich von der Szene der Neonazis in Dessau-Roßlau löste. Die Taten seinerzeit hatte er zwischen Februar und April 2016 in diesem Dunstkreis verübt. So soll er, Quarzhandschuhe tragend, am Rande des Karnevalsumzugs versucht haben, einem Mann, der die Störaktionen der Neonazis mit einem Handy filmte, das Gerät zu entreißen. Hierbei versetzte er seinem Gegenüber auch einen derben Schlag vor die Brust.
Sein Verteidiger, der eine „milde Freiheitsstrafe“forderte, deren Dauer aber ins Ermessen des Gerichts stellte, sprach von einer ehrlichen Zäsur. Sein Mandant habe sich dauerhaft von den rechten „Freunden“losgelöst. Dazu trug auch die Haltung der Lebensgefährtin des Angeklagten bei. Die Frau hatte ihn intensiv und unmissverständlich vor die Wahl gestellt: Entweder du ziehst weiter mit deinen Kumpels herum oder wir ändern was, damit die Familie eine Zukunft hat.
Darüber hinaus habe sich der 26-Jährige nach dem Umzug immer wieder nach Kräften um Arbeit bemüht. „Während der ganzen Zeit war er in Summe nicht mal vier Wochen arbeitslos“, sagte Holger Gläser. Mit dem Urteil wich die Berufungsinstanz vom Antrag der Anklagebehörde ab. Denn Staatsanwältin Marika Bahr hielt einen Haftaufenthalt von einem Jahr und neun Monaten für angemessen.
Ihre Position begründete sie damit, dass der 26-Jährige die Taten in einer laufenden Bewährung beging. „Er wusste, was ihm blühen konnte“, sagte sie.
Vor dem Hintergrund würde es ein Außenstehender wohl nicht begreifen, wenn der Angeklagte nicht in Haft müsste, führte die Staatsanwältin aus. Genau dieser Position widersprach indes das Gericht. Wer sich mit allen Umständen, die im Prozess zur Sprache kamen, intensiver befasse, der werde eben nicht der Meinung sein, dass der Augsburger zur Verteidigung der Rechtsordnung hinter Gitter wandern müsse, erklärte Richter Knief.
Die Staatsanwaltschaft kann das Urteil noch angreifen. Zudem muss sich der junge Mann mittlerweile beim Amtsgericht Dessau-Roßlau für Taten verantworten, die ebenfalls mit seiner damaligen Zugehörigkeit zur Neonazi-Szene zu tun haben. In dem Prozess geht es um einen gemeinschaftlich begangenen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Tatzeit ist die Nacht vom 21. auf den 22. April 2016. Das Gericht will voraussichtlich Anfang Mai ein Urteil fällen.