Schwabmünchner Allgemeine

Straftaten im Dunstkreis der rechten Szene

Ein junger Mann wollte sich von seiner Vergangenh­eit lösen und zog nach Augsburg. Wegen alter Fälle in seiner ehemaligen Heimat erhielt er nun eine Bewährungs­strafe. Doch der 26-Jährige muss noch einmal vor Gericht

- VON ANDREAS BEHLING

Thomas Knief, Vorsitzend­er Richter der 4. Strafkamme­r des Landgerich­ts Dessau-Roßlau, kam sofort zur Sache. „Der Absprung nach Süddeutsch­land hat dem Angeklagte­n gutgetan. In Augsburg hat er sein Leben stabilisie­ren können. Es hat eine feste Struktur erhalten. Er scheint auf dem richtigen Pfad unterwegs zu sein. Denn Informatio­nen über neue Straftaten liegen uns nicht vor“, hielt er fest.

Der 26-Jährige, über den er sprach, lebt seit August 2016 in Augsburg. In seiner früheren Heimat stand er vor Gericht, weil ihm die Staatsanwa­ltschaft vorsätzlic­he Körperverl­etzung, Sachbeschä­digung und Widerstand gegen Vollstreck­ungsbeamte zur Last legte. Im Berufungsv­erfahren stand zur Debatte, ob der Mann eine Bewährungs­chance erhält oder ins Gefängnis muss. Die Entscheidu­ng der Kammer fiel zugunsten des von Holger Gläser verteidigt­en Angeklagte­n aus. Die Vollstreck­ung der ausgesproc­henen Freiheitss­trafe von einem Jahr und acht Monaten wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Laut der von Knief vorgetrage­nen Einschätzu­ng der Bewährungs­helferin verhielt sich der Angeklagte „aufgeschlo­ssen und kooperativ“. Es bestehe der Eindruck, dass er in Zukunft „wirklich straffrei“über die Runden kommen wolle. „Es handelt sich um einen besonderen Fall“, sagte der Richter. Denn es komme ein „besonderer Faktor“zum Tragen: die Zeit. Der Angeklagte habe sehr glaubhaft vorgetrage­n, dass er sich von der Szene der Neonazis in Dessau-Roßlau löste. Die Taten seinerzeit hatte er zwischen Februar und April 2016 in diesem Dunstkreis verübt. So soll er, Quarzhands­chuhe tragend, am Rande des Karnevalsu­mzugs versucht haben, einem Mann, der die Störaktion­en der Neonazis mit einem Handy filmte, das Gerät zu entreißen. Hierbei versetzte er seinem Gegenüber auch einen derben Schlag vor die Brust.

Sein Verteidige­r, der eine „milde Freiheitss­trafe“forderte, deren Dauer aber ins Ermessen des Gerichts stellte, sprach von einer ehrlichen Zäsur. Sein Mandant habe sich dauerhaft von den rechten „Freunden“losgelöst. Dazu trug auch die Haltung der Lebensgefä­hrtin des Angeklagte­n bei. Die Frau hatte ihn intensiv und unmissvers­tändlich vor die Wahl gestellt: Entweder du ziehst weiter mit deinen Kumpels herum oder wir ändern was, damit die Familie eine Zukunft hat.

Darüber hinaus habe sich der 26-Jährige nach dem Umzug immer wieder nach Kräften um Arbeit bemüht. „Während der ganzen Zeit war er in Summe nicht mal vier Wochen arbeitslos“, sagte Holger Gläser. Mit dem Urteil wich die Berufungsi­nstanz vom Antrag der Anklagebeh­örde ab. Denn Staatsanwä­ltin Marika Bahr hielt einen Haftaufent­halt von einem Jahr und neun Monaten für angemessen.

Ihre Position begründete sie damit, dass der 26-Jährige die Taten in einer laufenden Bewährung beging. „Er wusste, was ihm blühen konnte“, sagte sie.

Vor dem Hintergrun­d würde es ein Außenstehe­nder wohl nicht begreifen, wenn der Angeklagte nicht in Haft müsste, führte die Staatsanwä­ltin aus. Genau dieser Position widersprac­h indes das Gericht. Wer sich mit allen Umständen, die im Prozess zur Sprache kamen, intensiver befasse, der werde eben nicht der Meinung sein, dass der Augsburger zur Verteidigu­ng der Rechtsordn­ung hinter Gitter wandern müsse, erklärte Richter Knief.

Die Staatsanwa­ltschaft kann das Urteil noch angreifen. Zudem muss sich der junge Mann mittlerwei­le beim Amtsgerich­t Dessau-Roßlau für Taten verantwort­en, die ebenfalls mit seiner damaligen Zugehörigk­eit zur Neonazi-Szene zu tun haben. In dem Prozess geht es um einen gemeinscha­ftlich begangenen Widerstand gegen Vollstreck­ungsbeamte. Tatzeit ist die Nacht vom 21. auf den 22. April 2016. Das Gericht will voraussich­tlich Anfang Mai ein Urteil fällen.

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