Das Bahnhofsgebäude hängt bald in der Luft
Kommende Woche werden im Erdgeschoss die Wände des Bauwerks eingerissen, damit im Tramtunnel weiter gebaut werden kann. Das 1500 Tonnen schwere Denkmal ruht dann für mehrere Monate auf Stahlstützen
Sieben Jahre nach dem Baustart und fünf Jahre vor der geplanten Fertigstellung sind die Bauarbeiten für den Bahnhofstunnel in ihrer kompliziertesten Phase angekommen: Momentan sind die Ingenieure und Bauarbeiter dabei, die Untertunnelung des denkmalgeschützten Bahnhofsgebäudes in Angriff zu nehmen. Dazu müssen die Mauern im Erdgeschoss abgebrochen werden – in den kommenden Monaten wird das Gebäude aus dem Jahr 1845 auf einem Stahlgerüst „schweben“. Rund 1500 Tonnen lasten dann auf den Stahlträgern.
Ganz risikolos ist die Operation nicht. Um die Außenwände des Gebäudes zu versteifen, wurden die Fenster zugemauert und das Mauerwerk mit eingespritztem Kunstharz stabilisiert. Die Ingenieure rechnen damit, dass sich das ganze Gebäude im Zuge der Arbeiten setzen wird. Ein Messsystem registriert Bewegungen des Mauerwerks, mit Hydraulikpressen kann dann gegengesteuert werden, um Risse im ältesten noch in Betrieb befindlichen Bahnhofsgebäude Deutschlands zu verhindern. „Wenn Setzungen auftreten, bekommen wir sofort eine SMS aufs Handy und können reagieren. Das Messsystem ist darauf abgestellt“, so Oberbauleiter Thomas Weinl. Man habe alles getan, um Schäden am Gebäude zu verhindern.
In den vergangenen Monaten wurde in das Erdreich unter dem Gebäude bis in eine Tiefe von etwa 20 Metern Zement unter hohem Druck eingespritzt, um den Boden für die anstehenden Erdarbeiten zu verfestigen. Der Bahnhof ist auf unterschiedlichem Untergrund – mal Keller, mal direkt auf Kies – aufgebaut, so Gesamtprojektleiter Dietmar Orwat. Dies mache die Arbeiten nicht einfacher.
Bis 2021 werden die Bauarbeiter im und unter dem Bahnhofsgebäude zugange sein. So lange werden auch die Geschäfte wie die Bahnhofsbuchhandlung, Bäcker und Imbiss im Containerdorf vor dem BohusCenter untergebracht sein. Für den etwa 30 Meter langen Abschnitt des Tunnels werden die Arbeiten sich mehr als drei Jahre hinziehen. „Es ist ein relativ kurzes Stück, aber an der Bauzeit sieht man, dass es komplex ist“, so Weinl. Das Gebäude hat inzwischen eine neue Bodenplatte bekommen, die gleichzeitig die Decke des Tunnels sein wird. Ab dem kommenden Jahr wird das Erdreich unter der Bodenplatte mit Minibaggern abgebaggert und dann von Kippern über die Abfahrtsrampe in der Halderstraße abtransportiert.
2023 soll dann die erste Straßenbahn durch den neuen Tunnel unter dem Hauptbahnhof rollen. Zunächst werden die Linie 3 nach Stadtbergen (die bestehenden Gleise in der Pferseer Unterführung werden herausgerissen) und die Linie 4, die in der dortigen Wendeschleife umdreht, den Tunnel nutzen. Frühestens ab 2024 kommt die geplante Linie 5 zum Klinikum dazu. Auch für Fußgänger gibt es mit Fertigstellung des Tunnels eine direkte Verbindung zwischen Bahnhof und dem Thelottviertel. Fahrgäste aus der Straßenbahn können künftig von der unterirdischen Haltestelle über Aufzüge und Rolltreppen bequem zu den Bahnsteigen gelangen.
Auf der Innenstadt-Seite ist der Tunnel bis unter den Bahnhofsvor- platz fertiggestellt, auf der Westseite arbeiten sich die Bauarbeiter gerade in den Gleisbereich des Personenbahnhofs vor. Zum Fahrplanwechsel am 9. Dezember soll der neue Nahverkehrs-Bahnsteig F in Betrieb gehen, der als Ausweichkapazität dient, wenn während der Tunnelarbeiten im Gleisbereich jedes Jahr zwei Gleise samt Bahnsteigen vorübergehend außer Betrieb genommen werden müssen.
Dass die Arbeiten unter dem Bahnhofsgebäude anspruchsvoller sind als gedacht, machte sich zuletzt an den Kosten bemerkbar. Zusammen mit gestiegenen Baupreisen sorgte das für prognostizierte Kosten von 181,4 Millionen Euro (wir berichteten). Zuletzt lag die Berechnung bei 159,3 Millionen Euro. Insgesamt haben sich Stadt und Stadtwerke einen Kostenrahmen von 193,75 Millionen Euro gesetzt. Nach derzeitigem Stand kann er eingehalten werden, so die Stadtwerke.
Allerdings gibt es eine Unbekannte: Im Mai werden die Bauarbeiten für die unterirdische Haltestelle unter den Bahnsteigen des Bahnhofs ausgeschrieben. Unklar ist, mit welchen Angeboten die Baufirmen einsteigen werden. Bei der letzten Ausschreibung hatten die Unternehmen jedenfalls deutlich höhere Preise angesetzt, als die Stadtwerke gedacht hatten. Dem Kostenrahmen zugrunde liegt eine jährliche Preissteigerungsrate von drei Prozent, die aufgrund der starken Auftragslage im Bausektor zuletzt überschritten wurde. Gut die Hälfte des Betrags wird von Bund und Land gefördert. Bahn und Stadtwerke sind mit 20 bzw. 25 Prozent beteiligt. Die Stadt Augsburg steuert etwa zwei Prozent der Kosten zu.